Eine Bilanz der sportpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung

Politik, Sport und Corona

Anfang 2018 schlossen CDU, CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag unter der verheißungsvollen Überschrift »Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land«. Knapp eine seiner 175 Seiten ist der Sportpolitik gewidmet, ein paar Zeilen zu E-Sport finden sich in einem Unterkapitel zum Thema ­Digitalisierung. Das ist kein Zeichen mangelnder Wertschätzung des Sports, sondern der föderalistischen Kompetenzverteilung geschuldet. Sport ist wie Kultur in erster Linie Sache der Bundesländer und Kommunen. Der Bund konzentriert sich auf Ereignisse, die der »gesamtstaatlichen Repräsentation« dienen, wie die Olympische Spiele, Paralympics, Deaflympics – das sind die Spiele der Gehörlosen –, Welt- und Europameisterschaften, die Sportkontakte ins Ausland und die Unterstützung nationaler Sportverbände wie des Deutschen Sportbunds. Ob Schwimmbäder erhalten bleiben, ein Fußballverein Rollrasen bekommt oder es ausreichend Turnhallen für den Schulsport gibt, fällt nicht in seinen Aufgabenbereich.

E-Sport wird im Gegensatz zu den meisten anderen Sportarten weiterhin nicht als gemeinnützig anerkannt.

So konzentrierte sich die Sportpolitik des Bundes vor allem auf Regelungen zur Bekämpfung von Doping, den Umgang mit Gewalt im Umfeld von Stadien und seit 2020 auf die Unterstützung von Sportlern und Verbänden während der Coronapan­demie. Mal abgesehen von dem eher peinlichen Versuch Nordrhein-Westfalens, sich um die Olympischen Spiele 2032 zu bewerben, den sowohl die Bundesregierung als auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nicht weiter ernst nahmen, gab es keine Bewerbungen für sportliche Großereignisse.

Am 16. März 2020 beschloss die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern, den Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und pri­vaten Sportanlagen, Schwimm- und Spaßbädern, Fitnessstudios und ähn­lichen Einrichtungen auszusetzen. Später wurde, je nach Verlauf der Pandemie, immer mal wieder etwas gelockert und dann wieder verschärft, aber vor allem der Amateursport ist seit einem Jahr fast völlig zum Erliegen gekommen. Wer heute noch Sport treibt, praktiziert ihn ­allein zu Hause oder im Park. Vereine und Fitnessstudios fürchten einen Mitgliederschwund: Viele, die sich einmal daran gewöhnt hätten, allein zu trainieren, könnten nicht wiederkommen. Die große Ausnahme war der Profifußball – hier wurde bereits ab Mitte Mai vergangenen Jahres wieder gespielt, auch wenn es immer wieder zu Coronainfektionen von Spielern und Absagen einzelner Spiele gekommen war.

Der Bund konzentrierte sich bei seinen wirtschaftlichen Hilfen im Sportbereich auf die Profivereine: 200 Millionen Euro wurden im Juli bereitgestellt, um sie vor der Insolvenz zu bewahren. Nicht nur Fußballvereine, sondern auch Handballer, Eishockeyclubs und Basketballer profitierten davon. Um die Amateure kümmerten sich die Länder und Städte. Dieselbe Summe gab es dann auch für semiprofessionelle Vereine. Mit einem Nachtrag zum Haushalt hat der Bundestag zudem 600 Millionen Euro für die Sanierung kommunaler Sportstätten bereitgestellt – eine Hilfe für Städte, Vereine und die Unternehmen, die von den Aufträgen in den kommenden Jahren profitieren werden.

Der im Koalitionsvertrag erwähnte intensivere Kampf gegen das Doping scheint tatsächlich aufgenommen zu werden. Seit April liegt ein »Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Anti-Doping-Gesetzes« vor. Sein Kernpunkt ist eine Kronzeugenregelung, mit der es gelingen soll, nicht nur die betroffenen Sportler zu bestrafen, sondern auch die Hintermänner. In dem Gesetzesentwurf stellt die Bundesregierung fest: »Den Ermittlungsbehörden lagen selten Informationen vor, die einen Anfangsverdacht für eine entsprechende Straftat begründeten.« Das soll sich ändern, wenn Sportler auspacken.

Mit dem Thema E-Sport hat sich die Bundespolitik zumindest im Ansatz beschäftigt. Im Februar 2019 fand im Sportausschuss eine Anhörung statt, an der unter anderem Ralf Reichert, der Gründer des E-Sport-Unternehmens ESL, Lars Pickardt, der damalige Vizepräsident des Deutschen Behindertensportverbandes, Veronika Rücker, die Vorstandsvorsitzende des DOSB, und die Sportwissenschaftlerin Carmen Borggrefe teilnahmen.

Als Ergebnis dieser Anhörung blieb vom im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel, »E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht« anzuerkennen, jedoch nicht viel übrig. Nur der Unternehmer Reichert sprach sich deutlich dafür aus, die »Stigmatisierung« des ­E-Sports zu beenden. Rücker sagte, der DOSB habe lange mit sich gerungen, aber dann für sich festgestellt, dass E-Sport kein Sport »im eigentlichen Sinne« sei. Die Sportwissenschaftlerin Borggrefe forderte, der herkömmliche Sport solle sich vom E-Sport »konsequent abgrenzen«. Etwas ausgewogener fiel das Urteil von Pickardt aus: Der Behindertensportverband sehe im E-Sport große Chancen insbesondere für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen. Man sehe auch Anwendungsmöglichkeiten für den Rehasport und den Bereich der Prävention. Dennoch gebe es auch große Risiken wie das sogenannte Cybergrooming: So würden Chatfunktionen von Spielen von Erwachsenen genutzt, um Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen.

Am Ende setzten sich die E-Sport-Kritiker durch. Auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen), wie es um die Umsetzung der im Koalitionsvertrag beschriebenen E-Sport-Pläne stehe, antwortete das auch für Sport zuständige Bundesinnenministerium im Februar: »Die Bundesregierung strebt für diese Legislaturperiode keine weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen zur Förderung des E-Sports an.« E-Sport wird damit auch weiterhin nicht als gemeinnützig anerkannt, im Gegensatz zu den meisten anderen Sport­arten. »Dem vollmundigen Versprechen des Koalitionsvertrages keine Taten folgen zu lassen, ist ein schweres Versäumnis für die nachhaltige Entwicklung des E-Sport- und Gaming-Standortes Deutschland«, sagte Daniel Luther, der Präsident des E-Sportbunds Deutschland.

Was sich nach der Bundestagswahl in Sachen Sportpolitik tun wird, ist noch nicht absehbar, sehr wohl aber, dass mit den wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie, der Energiewende und dem Klimawandel andere Themen wichtiger bleiben werden. Wer damit hadert, kann sich damit trösten, dass bei der ersten Bundestagswahl 1949 in den sehr bescheidenen Wahlprogrammen der Parteien Sport als eigenständiger Politikbereich noch gar nicht auftauchte.