Vor 40 Jahren endete der Prozess gegen das Lagerpersonal des KZ Majdanek

Blumen für das Lagerpersonal

Vor 40 Jahren endete in Düsseldorf der dritte Majdanek-Prozess gegen ehemalige KZ-Aufseherinnen und -Aufseher. Von Respekt für die ehemaligen Gefangenen konnte während der Verhandlungen keine Rede sein.

Im Konzentrationslager Majdanek ermordeten die Nazis etwa 78 000 Menschen. 13 SS-Angehörige wurden in den ersten zwei Majdanek-Prozessen in Polen 1944 und 1946–1948 für ihre Taten zum Tode verurteilt. Erst rund 30 Jahre nach dem ersten Prozess, 1975, klagte auch ein deutsches Gericht Angehörige des ehemaligen Wachpersonals an. Am 30. Juni jährte sich die Urteilsverkündung des längsten und kostspieligsten NS-Prozesses der BRD-Geschichte zum 40. Mal.

Der Prozess am Landgericht Düsseldorf dauerte fünf Jahre, und trotz der zahlreichen Schilderungen von rund 350 Zeuginnen und Zeugen sowie Auslandsreisen des Gerichts erhielten sieben Angeklagte jeweils eine Haftstrafe von nur dreienhalb bis zwölf Jahren, ein weiterer Angeklagter wurde freigesprochen. Nur eine ehemalige Auf­seherin, Her­mine Braunsteiner-Ryan, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Bei acht weiteren Angeklagten kam es aus verschiedenen Gründen gar nicht erst zu Verhandlungen. Die milden Urteile sorgten für Entsetzen bei den ehema­ligen Gefangenen und deren Unterstützerinnen und Unterstützern. Im Prozess offenbarte sich ein gesellschaftliche Klima, in dem die NS-Täter und -Täterinnen in Schutz genommen und die Opfer diskreditiert wurden.

Unter den Zuschauenden befanden sich etliche die Angeklagten unter­stützende Personen mit national­sozialistischer Einstellung.

Das KZ Majdanek befand sich in der Stadt Lublin im Südosten des heutigen Polens. 60 000 der dort Ermordeten waren Jüdinnen und Juden. Allein während der »Aktion Erntefest« im November 1943 erschossen die SS und das Reserve-Polizei-Bataillon 101, eine paramilitärische deutsche Polizeieinheit, in nur wenigen Stunden 17 000 Jüdinnen und Juden im KZ Majdanek. Neben der systematischen Ermordung der Gefangenen starben viele Menschen aufgrund der unhygienischen Zustände sowie an den Gewalttaten des Wachpersonals, das mit Peitschen, Pistolen und Schäferhunden ausgerüstet war.

Im Düsseldorfer Gerichtssaal saßen ehemalige KZ-Gefangene ihren Peinigern und Peinigerinnen gegenüber. Bestürzende Szenen spielten sich ab. Zum Beispiel prüfte das Gericht absurde Ablehnungsanträge der Verteidiger mit respektvoller Sachlichkeit, anstatt den Prozess zügig fortzuführen. So stellte der rechtsextreme Verteidiger und einstige NPD-Bundestagskandidat Ludwig Bock einen Antrag, Wolfgang Scheffler, einen Experten für die Geschichte des KZ Majdanek, wegen Befangenheit als Sachverständigen vor Gericht abzulehnen. Scheffler mangele es an Objektivität, da er seiner Berufslaufbahn bereits mit jüdischen Gelehrten zusammengearbeitet hatte, so Bocks Argumentation.

Am 467. Verhandlungstag begannen die Plädoyers der Verteidiger damit, dass sie die Vergasung von Kindern mit Schwangerschaftsabbrüchen verglichen. Ihren traurigen Höhepunkt erreichte die respektlose Behandlung der Zeuginnen und Zeugen schließlich, als Bock am 2. Juni 1977 die Festnahme der polnischen Zeugin Henryka Ostrowska wegen angeblicher Beihilfe zum Mord beantragte. Ostrowska hatte ausgesagt, dass sie als KZ-Gefangene Zyklon B in die Gaskammern bringen musste. Der Richter Günther Bogen lehnte den Antrag Bocks als unbegründet und rechtsmissbräuchlich ab. Nachdem herauskam, dass sich Bock als Geschichtsstudent ausgegeben hatte, um noch vor dem Prozess Überlebende des Lagers in Israel zu befragen, wurde er schließlich von seiner Funktion im Prozess entbunden.

Auch unter den Zuschauenden befanden sich etliche die Angeklagten unterstützende Personen mit nationalsozialistischer Einstellung. Im und vor dem Gerichtssaal verteilten einige von ihnen vor den Augen der KZ-Überlebenden Pamphlete mit Titeln wie »Anne Frank’s Tagebuch – Der Große Schwindel« und »Die Auschwitz-Lüge« sowie die rechtsextreme National-­Zeitung mit der Schlagzeile »Wie Judenmorde erfunden werden«. Die Mitglieder des Vereins »Stille Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte« brachten den Angeklagten Speisen und Blumen in den Gerichtssaal, unterstützten sie finanziell und besuchten sie im Gefängnis. Der Verein half Personen, die an NS-Kriegsverbrechen und Gewalt­taten beteiligt waren, und ermöglichte einigen von ihnen die Flucht nach Südamerika. Noch bis 1999 galt er in der BRD als gemeinnützig.

Eines der bekanntesten Mitglieder der »Stillen Hilfe« war Josefine Jürgens, die enge Kontakte zur rechtsex­tremen »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS« (HIAG) pflegte. Die Presse lobte sie als »Engel der Gefangenen«; sie hatte sich ursprünglich für lebenslänglich Inhaftierte, seit den siebziger Jahren aber vor allem für NS-Täter eingesetzt. Für ihren Einsatz erhielt Jürgens, die seit 1971 auch SPD-Mitglied war, auf Vorschlag der Düsseldorfer Staatskanzlei das Bundesverdienstkreuz. Dieses wurde ihr erst aberkannt, als sie öffentlich behauptete, dass im Düsseldorfer Majdanek-Prozess »nicht im Namen des Volkes Recht gesprochen« werde, sondern »im ­Namen von Kommunisten und Juden«. Daraufhin musste sie auch die SPD verlassen.

Während die männlichen ehemaligen KZ-Aufseher Haftstrafen von maximal zehn Jahren erhielten, ergingen die höchsten Strafen des Prozesses gegen ehemalige KZ-Aufseherinnen. Hildegard Lächert, die wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 1 196 Gefangenen und der Mittäterschaft an der Ermordung von über 203 weiteren Menschen angeklagt wurde, verließ das Gericht allerdings als freie Frau. Ihre Haftstrafe von zwölf Jahren konnte sie mit ihren Haftjahren in Polen und in der Untersuchungshaft ausgleichen. Die Anklage Braunsteiner-Ryans lautete gemeinschaftlicher Mord in 1 181 Fällen und Beihilfe zum Mord in 705 Fällen. Sie wurde in drei Fällen verurteilt und bekam als einzige die Höchststrafe, lebenslange Haft. Johannes Rau (SPD), der damalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, begnadigte Braunsteiner-Ryan bereits 1996 wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes.