Slowakei unter Palmen
Der slowakische Schriftsteller und Journalist Michal Hvorecky ist einer der bekanntesten Intellektuellen seines Landes und einer der klügsten und witzigsten Kritiker der dortigen Gesellschaft. In seinem 2018 in deutscher Übersetzung erschienenen Roman »Troll« warnte Hvorecky vor den Gefahren einer digital gesteuerten Diktatur in Osteuropa. Auch in seinem neuen Buch »Tahiti Utopia« geht es um die Bedrohung der Gesellschaft durch Nationalismus, Verschwörungsmythologien und Illiberalismus.
Es ist das Jahr 2020. Bereits die dritte Generation von emigrierten Slowaken und Slowakinnen lebt auf Tahiti. Statt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Tschechoslowakei zu gründen, waren die Gründer der slowakischen community aus Großungarn nach Tahiti ausgewandert. Dort hatte dann General Milan Štefánik 1922 den Inselstaat »Neu-Slowakien« ausgerufen.
Um den frühen Tod des slowakischen Politikers Milan Štefánik, der auch Dichter, Flieger, Hobbyastronom und Abenteurer war und als einer Gründerväter der Tschechoslowakei gilt, ranken sich bis heute viele Mythen. Die Umstände seines Absturzes mit einem Doppeldecker nahe Bratislava im Jahr 1919 wurde nie vollständig aufgeklärt. Das verlockte den Autor Michal Hvorecky: »Ich wollte der Figur Štefánik ein längeres Leben geben.«
Der Roman strotzt vor kuriosen Gedichten, nationalistischen Texten und Schullektüren, die allesamt Erfindungen des Autors sind. Zudem spielt Hvorecky geschickt mit den romantisierenden Südseevorstellungen der Europäer und Europäerinnen, besonders was die »Eingeborenen« angeht, die man mit Herablassung behandelt; die Insel, auf der sich die slowakischen Abenteurer niederließen, war ja alles andere als unbewohnt. So ist der Roman auch ein kluger Kommentar zur Debatte über das koloniale Erbe der europäischen Großmächte und zu Flucht und Migration.
Michal Hvorecky: Tahiti Utopia. Aus dem Slowakischen von Mirko Kraetsch.Tropen-Verlag, Stuttgart 2021, 256 Seiten, 20 Euro