Die Begnadigung katalanischer Politiker

Neue Runde, neues Glück

Die spanische Regierung hat neun Anführer der katalanischen Separatisten begnadigt. Die Regionalregierung hält an der Forderung nach einem Unabhängigkeitsreferendum fest.
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Für Pablo Casado handelte es sich schlicht um »Verrat«. Mit diesem wenig schmeichelhaften Urteil bedachte der spanische Oppositionsführer vom rechtskonservativen Partido Popular vorige Woche die Entscheidung des Ministerpräsidenten Pedro Sánchez und ­seines Kabinetts, die inhaftierten Anführer der katalanischen Separatistenbewegung zu begnadigen. Seit über drei Jahren saßen sie im Gefängnis, weil sie im Oktober 2017 den Versuch gemacht hatten, Katalonien vom spanischen Staat abzuspalten. Dafür hatte die spanische Justiz sie zu Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren verurteilt.

Die Begnadigung war in Spanien sehr umstritten, Umfragen zufolge sprach sich eine Mehrheit im Land gegen sie aus, auch unter den Wählern des Sozialdemokraten Sánchez. Vorige Woche traf er sich erstmals mit dem katalanischen Regionalpräsidenten Pere Aragonès von der linksseparatistischen ERC, im September wollen sich beide an den »Dialogtisch« begeben. Aragonès hatte die Begnadigung als »ersten Schritt« begrüßt, hält aber weiterhin an der Forderung fest, ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens zu veranstalten. Ein solches Referendum verstieße gegen die spanische Verfassung. Sánchez lehnt es ab, ist aber auf die Stimmen der ERC-Abgeordneten im spanischen Parlament angewiesen, um seine Minderheitsregierung an der Macht zu halten.

In den vergangenen gut zehn Jahren ist die Zahl der Separatisten gestiegen. Hatte zunächst ein Viertel der katalanischen Bevölkerung sie unterstützt, waren es bei der Regionalwahl im Februar 52 Prozent, allerdings bei geringer Wahlbeteiligung wegen der Pandemie. Begonnen hatte alles mit der Forderung des ehemaligen Regionalpräsidenten Artur Mas nach einem »Fiskalpakt«, der den Beitrag Kataloniens – mit rund 20 Prozent des spanischen Brutto­inlandsprodukts eine der ökonomisch stärksten Regionen Spaniens – für die strukturschwächeren Regionen vermindern sollte.

Es ist also durchaus folgerichtig, dass Unabhängigkeitsbewegungen nur in den hochindustrialisierten Teilen Spaniens, im Baskenland und in Katalonien, Fuß fassen und politische Durchschlagskraft erringen konnten. Im Kern setzt sich die national-separatistische, teils ethnisch aufgeladene Ideologie der lokalen Bourgeoisie durch, die mit ihrem bornierten Interesse direkt zusammenhängt, ärmere Regionen nicht zu alimentieren. In den abgehängten Teilen des Landes, in Andalusien beispielsweise, die von den Zuwendungen des spanischen Zentralstaats abhängig sind, konnte eine solche separatistische Bewegung nie entstehen. Dort fetischisiert man eher den Zentralstaat und hegt bisweilen auch schon mal Sympathien für den autoritären Zentralstaat faschistischer Prägung nach der Art Francos. Das bezeugt das Wahlergebnis der extrem rechten Partei Vox, die bei den andalusischen Regionalwahlen 2018 elf Prozent der Stimmen gewann.

Der lokalchauvinistische Charakter der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien hat Linke und Linksradikale nicht daran gehindert, für die Separatisten Partei zu ergreifen. Auf dem Höhepunkt der katalanisch-separatistischen Mobilisierung im Oktober 2017, mit einem von den katalanischen Unternehmern befeuerten Pseudo-Generalstreik und Demoparolen wie »Besatzer raus«, brachen selbst in der anarchosyndikalistischen CNT erbitterte Debatten aus, ob die Organisation eingeschworener Staatsfeinde die lokalnationalistische Variante des bürgerlichen Staats favorisieren solle.

Doch auch wenn ein großer Teil der Hausbesetzer in Barcelona, sturzsolidarisch mit den bürgerlichen Separatisten, die Katalanen-Flagge an ihren Fassaden drapiert, macht das die sogenannte katalanische Frage nicht revolutionärer. Ein unabhängiger katalanischer Staat wäre auch nichts anderes als der ideelle Gesamtkapitalist, der an die Hungerleider in anderen spanischen Regionen dann gar keine Beiträge mehr abführen würde – im alleinigen Interesse des katalanischen Kapitals.