Dariya Manovas Studie »›Sterbende Kohle‹ und ›flüssiges Gold‹«

Der Rohstoff der Träume

Als plötzlich alle über Energie redeten: Dariya Manova untersucht in ihrer Studie »›Sterbende Kohle‹ und ›flüssiges Gold‹« die Debatte über den Rohstoffmangel in Deutschland in der Zwischenkriegszeit. Vor allem die Literatur gibt Auskunft über den widersprüchlichen Prozess der Amerikanisierung und die allgemeine Faszination für Petroleum.

Gemessen an seiner Bedeutung als industrielles Zentrum der Bundesrepublik wurde das Ruhrgebiet künstlerisch selten gewürdigt. Die »Tatort«-Figur Schimanski fällt einem ebenso ein wie Herbert Grönemeyers Hymne »Bochum«. Beides gehört in die achtziger Jahre, als es mit dem Standort bereits abwärts ging. Die große Hommage wurde der Region nicht zuteil. Dabei gab es Mitte der zwanziger Jahre Pläne für ein besonderes Bühnenstück: das »Ruhrepos«. Das Essener Opernhaus hatte Bertolt Brecht und Kurt Weill eingeladen, eine Revue mit Musik, Filmprojektionen und szenischen Bildern zu inszenieren – der Ruhrpott als Miniatur der Neuen Welt.

»Was sind die entscheidenden Faktoren unserer Entwicklung geworden: Seele oder Petroleum?« schrieb 1928 der Dramatiker Erwin Piscator, der im selben Jahr eine Komödie über die Ölindustrie auf die Bühne brachte.

Dass daraus nichts wurde, lag vor allem am Antisemitismus der Öffentlichkeit, betont Dariya Manova in der Studie »›Sterbende Kohle‹ und ›flüssiges Gold‹«. Ein »Shitstorm« gegen die jüdischen Künstler und ihr Vorhaben, die Ausbeutung des Proletariats in den Fabriken und Bergwerken durchschaubar zu machen, läutete das Ende des Projekts ein.

Das Schreiben über Rohstoffe wie Kohle, Erdöl, Kalk und Kautschuk lag in den zwanziger und dreißiger Jahren im Trend, wie Manova in ihrer materialreichen Studie zur »Verstofflichung der Literatur« anhand populärer wie abseitiger Beispiele zeigen kann. »Was sind die entscheidenden Faktoren unserer Entwicklung geworden: Seele oder Petroleum?« schrieb 1928 der Dramatiker Erwin Piscator, der im selben Jahr eine Komödie über die Ölindustrie auf die Bühne brachte. Upton Sinclairs 1927 erschienener Roman »Öl!« hatte eine regelrechte Welle von Petroleum­literatur ausgelöst, die auch nach Deutschland schwappte.

Politisch bedeutsam waren insbesondere vor dem Hintergrund des verlorenen Kriegs die Diskurse über die Konkurrenz von heimischer Kohle, deren Endlichkeit stets vergegenwärtigt wurde, und dem als ­exotisch wahrgenommenen Erdöl, das man in Deutschland neidvoll als unerschöpfliche Ressource der anderen imaginierte. Der Erdölreichtum der Alliierten und der heimische Mangel an »flüssigem Gold« wurden nicht nur in der nationalkonservativen Publizistik als entscheidend für die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg angesehen; das war Stoff für Opfermythen. Der Sieg der Erdöl gewinnenden Länder galt als unverdient, da er nicht als Ergebnis überlegener Kriegsführung gewertet, sondern einer zufälligen Bevorzugung durch die Natur zugeschrieben wurde.

Zahlreiche Überlegungen wurden angestellt, wie der deutsche Rohstoffhunger in Zukunft gestillt werden könne. Debatten über die nationale Energiesouveränität füllten die Zeitungen. »Blaue« und »weiße Kohle«, wie Wasser- und Windkraft umschrieben wurden, sollten den Mangel an eigenen Ölvorkommen ausgleichen helfen.

Die USA wurden in vielerlei Hinsicht zum Maßstab, an dem sich Deutschland orientierte. Das ölreiche Land diente im Hinblick auf die Bereiche Mode, Konsum, Lebensstil, Mobilität und Arbeitswelt gleichermaßen als Vorbild wie als Feindbild. Unter dem Schlagwort »Amerikanismus« wurden Zukunftsthemen diskutiert.

Mit Faszination, aber auch mit Abscheu blickte die deutsche Literatur­avantgarde auf das US-amerikanische Rohstoffwunder, das die Modernisierung in industriellen Zentren wie Detroit vorantrieb. Der Siegeszug des Taylorismus und des Fordismus, der einerseits massenhaften Konsum und wachsenden Wohlstand ermöglichte, der Arbeiterschaft andererseits ein strenges disziplinarisches Regime aufnötigte, beschäftigte die Literatur, deren Ästhetik von Tempo und Rhythmus der Automatisation geprägt wurde.

Egon Erwin Kischs Reportagesammlung »Paradies Amerika« (1930), die von den Docks New Yorks über die Börse und Schlachthöfe Chicagos zu den Fließbändern des Henry Ford in Detroit führt, legt davon beredtes Zeugnis ab. Quer über den Globus folgte der deutsche Schriftsteller B. Traven den Wegen des Erdöls bis zu dessen Quellen in Mexiko. Seine Reiseromane demaskierten die Figur des Schatzsuchers, indem sie den ehemals romantischen Abenteurer als Plünderer von Bodenschätzen zeigten.

Manovas Studie ist eher lose mit den von postkolonialen Theorien geleiteten Betrachtungen zur Bedeutung des Wissens über Bodenschätze verbunden, die Vertreter der Cultural Studies im Hinblick auf die unterschiedliche Entwicklung in den Ländern des globalen Nordens und Südens neuerdings in großer Zahl anstellen. Mit den zumeist angelsächsischen Autoren dieser Studien teilt sie das Interesse an den »Rohstoffnarrationen«.

Timothy Mitchells 2011 in den USA erschienenes Buch »Carbon Democracy. Political Power in the Age of Oil« ist der in dieser Hinsicht einflussreichste Titel. Der linke, antizionistische US-amerikanische Historiker und Politikwissenschaftler sieht in der Globalgeschichte letztlich nur das Produkt eines fossilistischen Energieregimes westlicher Eliten.

Demgegenüber betont Manova auch das emanzipatorische Potential technologischer Entwicklungen. Ein eigenes Kapitel widmet sie den »Frauen mit PS«. Das selbst gefah­rene Auto, der »Boyfriend aus Metall«, war zum Techniksymbol eines neuen Verhältnisses zwischen den Geschlechtern geworden, aber vor allem auch des Zugangs zu den bis dahin als Männerdomänen geltenden Bereichen des öffentlichen Lebens wie Reisen, Sport und Schreiben. Prototyp der unabhängigen Kosmopolitin war Erika Mann, eine Tochter Thomas Manns. Die gelernte Automechanikerin und Rallye-Fahrerin konnte über die Vorbehalte gegen die selbstfahrende Frau nur lachen.

Manova verzichtet darauf, Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Erst im Schlusswort schlägt sie fast schon dezent einen Bogen zur heutigen Debatte über ressourcenschonende Energiegewinnung und Klimaschutz. Das heißt aber nicht, dass man aus dem Buch nichts für die heutige Zeit ablesen kann. Ganz im Gegenteil zeigt es, wie stark Rohstoffe im öffentlichen Diskurs politisch aufge­laden sind und diesen bestimmen.

Dariya Manova: »Sterbende Kohle« und »flüssiges Gold«. Rohstoffnarrative der Zwischenkriegszeit. Wallstein-Verlag, ­Göttingen 2021, 356 Seiten, 41 Euro