In der Klimapolitik baut die Koalition auf Vergünstigungen für Unternehmen

Die Pfadfinder sind auf dem Weg

Die Klimapolitik der Koalition aus SPD, Grünen und FDP sieht vor allem Vergünstigungen für Unternehmen vor, die Kosten sollen die Lohnabhängigen tragen.

Koalitionsverträge sind keine Werke, mit denen man literarische Meriten erringen will. Schon die Notwendigkeit, mühsam ausgehandelte Kompromisse als gemeinsame Ziele darzustellen, zwingt zur Phrase, überdies sind die meisten Politiker und Politikerinnen wohl so sehr an die PR-Sprache gewöhnt, dass sie sich in keinem anderen Stil als »Wir haben Lust auf Zukunft« mehr ausdrücken können. Doch das Ergebnis kann dennoch erhellend sein.

Zur Klimapolitik heißt es in der Präambel des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP: »Wir schaffen ein ­Regelwerk, das den Weg frei macht für Innovationen und Maßnahmen, um Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen.« Das ist eine wohl unbeabsichtigt realitätsnahe Formulierung. Läuft also alles wie geplant, gibt es 2025 keine Hindernisse mehr auf dem Weg zum Pfad – die Hälfte des für die Begrenzung des Klimawandels entscheidenden Jahrzehnts ist dann allerdings bereits vergangen.

Die wirtschaftsliberale Ausrichtung der Klimapolitik der Koalition ist kein Ergebnis der brillanten Verhand­­lungs­taktik Christian Lindners, sondern Ausdruck einer verbreiteten ideologischen Verblendung.

Dementsprechend gibt es keine festen Fristen des Gesetzgebers für den Ausstieg aus klimaschädlichen Produktionszweigen. Die Koalitionspartner wollen »die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen« und »den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen«. In Großbritannien soll der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2030 untersagt und die Kohleverstromung am 1. Oktober 2024 beendet werden. Ein klimapolitisches Programm, das hinter dem der dort regierenden Tories zurückbleibt, kann schwerlich als ambitioniert gelten.

Geht es um Grundsätzliches, bleiben die Formulierungen vage. »Ziel ist, die Fahrgastzahlen des öffentlichen Verkehrs deutlich zu steigern«, heißt es etwa. Das ist dürftig in Anbetracht der Tatsache, dass 55 Millionen Menschen in Deutschland keine ausreichende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr haben. Wir wär’s also mit einem Tesla, oder besser noch einem Elektroauto eines deutschen Herstellers? »Unser Ziel sind mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030« lautet hier das Plansoll, und für den Kauf gibt es auch in Zukunft eine »Innovationsprämie«. Mit viel Liebe zum Detail wird festgeschrieben, wie in Zukunft Plug-in-Hybridfahrzeuge bei der Dienstwagenbesteuerung zu bewerten sind. Weniger klar ist, was unter dem »starken sozialen Ausgleich« für steigende CO2-Preise zu verstehen ist.

Sind unternehmerische Interessen betroffen, ist man immer rücksichtsvoll. »Mit Blick auf die aktuelle pan­de­mie­­bedingte Krise der Luftfahrtbranche werden wir eine Erhöhung der Luftverkehrsabgabe erst nach 2023 prüfen«, verspricht die Koalition. Subventionen, insbesondere klimaschädliche, sollen abgebaut werden. Denn wer braucht schon Subventionen? Die Chinesen vielleicht, in Deutschland gibt es stattdessen Innovationsprämien, Investitionsprämien für Klimaschutz, Cluster-­Förderung und sogar eine »Super­abschreibung«.
Nennenswerte öffentliche Investitionen werden kaum möglich sein, weil ab 2023 wieder die Vorgaben der sogenannten Schuldenbremse eingehalten werden müssen – nicht »idealerweise«, auf seinem Interessengebiet hat der FDP-Vorsitzende und designierte Finanzminister Christian Lindner solche schwammigen Formulierungen nicht zugelassen. Stattdessen will man »­Anreize für private Investitionen setzen und Raum für unternehmerisches Wagnis schaffen«.

Man brauche »einen neuen Aufbruch, der die Ziele erfolgreicher wirtschaft­licher Entwicklung und wirksamen Klima- und Umweltschutzes mit den sozi­alen Anliegen der Menschen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens im 21. Jahrhundert zusammenführt«, hieß es im 2005 von SPD und Union geschlossenen Koalitionsvertrag. Bereits damals hoffte man, der »grüne Kapitalismus« könne Deutschland neue Export­erfolge verschaffen, doch es gelang nicht einmal, die deutsche Solarin­dustrie zu erhalten. Die »sozial-ökologische Marktwirtschaft« genannte Neuauflage ist detailreicher, aber nicht durchdachter. Da der ökonomische und ökologische Druck stärker geworden sind, ist die zukünftige Bundes­regierung bereit, viel mehr Geld auszugeben – beziehungsweise auf staatliche Einnahmen zu ­verzichten –, um die Unternehmen zu »Nachhaltigkeit« zu­ ­motivieren.

Ernstzunehmende Klimapolitik, auch marktwirtschaftlich orientierte, müsste sich jährliche Ziele zur Emissionsreduktion setzen und die beschlossenen Maßnahmen dann auf ihre Wirksamkeit überprüfen. Dergleichen ist nicht geplant, und die zahlreichen Verweise auf die zu erhaltende »Wettbewerbsfähigkeit« der Unternehmen machen deutlich, dass die höheren Energiepreise und andere Kosten vornehmlich von den Lohnabhängigen bezahlt werden sollen.

Selbst der ökonomische Erfolg der »sozial-ökologischen Marktwirtschaft« ist keineswegs gesichert. Dass dem ­in­dividuellen Verkehr der Vorrang vor dem öffentlichen gegeben und die deutsche Autoindustrie mit vielen Vergünstigungen bedacht werden wird, ­garantiert nicht, dass sie den selbstverschuldeten Rückstand bei der Elektromobilität aufholen kann. Den Unternehmen Vorschriften zu machen, scheint in Deutschland jedoch ebenso undenkbar zu sein wie klimaschädliche Produktionszweige stillzulegen und durch öffentliche Investitionen zu ­ersetzen.

Lindner kann es egal sein, wer unter ihm als Kanzler und Kabinettskollege amtiert. Die wirtschaftsliberale Ausrichtung der Klimapolitik ist jedoch kein Ergebnis seiner brillanten Verhandlungstaktik, sondern Ausdruck einer verbreiteten ideologischen Verblendung. Es mussten nicht viele Hindernisse beseitigt werden, um die Koalitionspartner auf Lindners Pfad zu bringen. Die SPD möchte bei der Unter­nehmensförderung nur einige minimale soziale Standards gewahrt wissen, bei den Grünen dominiert die Vorstellung, der Klimaschutz lasse sich marktwirtschaftlich bewerkstelligen.

Während Lohnabhängige nun höhere Kosten tragen müssen, ohne ihren Vermieter zum Einbau einer umweltfreundlichen Heizung zwingen oder einen schnellen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs erwarten zu können, ist es bestenfalls eine vage Hoffnung, dass Vergünstigungen für Unternehmen eine nennenswerte Emissionsreduktion bewirken. Es wird vom linken Flügel der SPD beziehungsweise der Grünen sowie der Klimabewegung abhängen, ob die Koalitionsregierung damit durchkommt. Nur eine Abkehr vom naiven wirtschaftsliberalen Wunschdenken und ein Bruch der Koalition mit der FDP können den Weg für ernstzunehmende Klimaschutzpolitik freimachen.