Small Talk mit Nora Brezger über die Abschiebepraxis des rot-grün-roten Senats in Berlin

»Völlig unwürdig für einen rot-grün-roten Senat«

Am 19. Oktober hat die Berliner Polizei versucht, den an Schizophrenie und Epilepsie erkrankten Diallo T. abzuschieben. Die Jungle World sprach mit Nora Brezger vom Verein Flüchtlingsrat Berlin über den Fall und die Abschiebepraxis des rot-grün-roten Senats.
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Was ist am 19. Oktober passiert?

Bislang wissen wir, dass die Polizei gegen zwei Uhr nachts an die Wohnungstür von Diallo T. geklopft hat. Ein Mitbewohner öffnete den Beamten, woraufhin diese sich ohne Durchsuchungsbeschluss Zutritt zum Zimmer von T. verschafften. Die Polizei nahm T. direkt nach dem Eindringen sein Handy ab, fesselte ihn an Beinen und Füßen und brachte ihn mit einem Flugzeug nach Brüssel. Von dort aus sollte er in den Senegal abgeschoben werden. In Brüssel wollte der Pilot des Abschiebeflugs T. aber nicht mitnehmen, weil dieser offensichtlich psychische Probleme hat.

All das sind typische Praktiken. 80 Prozent der Abschiebungen finden nachts statt, obwohl die Rechtsprechung sagt, dass dies nur in absoluten Ausnahmefällen erfolgen darf. Die Wegnahme des Handys verhindert den effektiven Rechtsschutz, weil Betroffene keinen Anwalt informieren können. Und auch dem Bundesgesetz, dem zufolge das Eindringen in die Wohnung zum Zwecke der Abschiebung ohne richterliche Anordnung rechtens ist, wurde vor kurzem vom Berliner Verwaltungsgericht mit Verweis auf das Grundgesetz widersprochen.

Das Besondere in diesem Fall ist, dass der Anwalt von T. bereits einen Folgeantrag auf Asyl gestellt hat, der dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorliegt. Solange über diesen noch nicht entschieden ist, darf gar nicht abgeschoben werden.

Ist die Ausländerbehörde verpflichtet, dies beim Berliner Ausländerregister abzufragen?

Nein. Aber wenn man keinen Rechtsbruch begehen möchte, muss man nachfragen, vor allem wenn es – wie im Fall von T. – entsprechende Gutachten über seinen Gesundheitszustand gibt. Was die Ausländerbehörde dann aber gemacht hat, war, einen Amtsarzt zu schicken, der bestätigt hat, dass T. reisefähig sei. Es passiert sehr oft, dass Amtsärzte ärztliche Gutachten außer Kraft setzen oder eben nur die Reisefähigkeit beurteilen. Jemanden, der schizophren, aber medikamentös gut eingestellt ist, kann man so als reisefähig titulieren und abschieben – und das in ein Land wie den Senegal, in dem schizophrene Menschen mitunter als vom Teufel besessen gelten und geschlagen werden. Die Attestierung der Reisetauglichkeit ist in diesem Fall also überhaupt nicht hinreichend.

In Berlin werden derzeit sehr oft Menschen mit Behinderung oder einer psychischen Erkrankung abgeschoben. Das halten wir für völlig unwürdig für einen rot-grün-roten Senat. Überhaupt stellen wir fest, dass sich, seit dieser Regierungskoalition besteht, die Berliner Abschiebepolitik nicht zum Besseren geändert hat. Im Gegenteil, während der Covid-19-Pandemie haben die meisten Bundesländer die Abschiebungen zahlenmäßig halbiert, nur Berlin ist auf dem gleichen Stand wie zuvor geblieben.

Der Senegal gilt aber als sicheres Herkunftsland. Ist eine Abschiebung dorthin nicht rechtens?

Wir halten schon allein das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten für nicht rechtens, weil der individuelle Asylrechtsanspruch dadurch ausgehöhlt wird. Aufgrund seiner Krankheit fordern wir für T. ein humanitäres Abschiebeverbot. Das ist übrigens möglich, auch wenn der Senegal als sicheres Herkunftsland gilt.