Paul Thomas Andersons »Licorice Pizza« schwelgt in Nostalgie nach den Siebzigern

Dating unter Palmen

Paul Thomas Andersons neuer Film »Licorice Pizza« betört mit popsatten Bildern. Seine ­Paarkonstellation verspricht den Bruch mit Hollywood-Klischees. Aber so ganz kann die Coming-of-Age-Erzählung die Erwartungen nicht erfüllen.

Eine lange, am Kino von Orson Welles, Jean-Luc Godard und Robert ­Altman geschulte One-Shot-Eröffnungsszene: Die Kamera begleitet eine junge Frau über das Gelände einer Highschool unter der gleißenden Sonne Südkaliforniens. Rasensprenger verteilen großzügig Wasser über die gepflegten Rasenflächen, während Schülerinnen und Schüler in langen Reihen anstehen, um sich für ihr Jahrbuch fotografieren zu lassen. Die Frau jobbt als Fotoassistentin, und einen der Schüler hält es kaum an seinem Platz, als er ihrer ansichtig wird. Er lädt sie, kaum dass sie die ersten Worte gewechselt haben, ins angesagte Restaurant der Gegend ein.

Der Schauplatz des neuen Films von Paul Thomas Anderson ist das San Fernando Valley der frühen siebziger Jahre, wo bereits sein zweiter Film »Boogie Nights« (1997) angesiedelt war. In diesem ging es um verlorene Gestalten der lokalen Pornoindustrie, die sich in der dargestellten Zeit im Umbruch befand; aus dem semikünstlerische Sexfilme produzierenden Nischenbetrieb entstand ein Business, das billige Videos auf den Markt schleuderte. Gezeigt wurde auch, wie ökonomische Mechanismen das Streben nach Ruhm und Anerkennung bedingen. Der neue Film »Licorice Pizza« gleicht dagegen einer nostalgischen Tour durch eine Wohlstandssuburbia, in der die Bedingungen für ein gutes Leben verwirklicht sind und sich alles Hoffen auf die eine große Liebe und den ersten Sex richtet – der sich in der Pubertät durchaus so merkwürdig wie der Verzehr der titelgebenden Lakritzpizza anfühlen kann.

Während Alana und Gary sich ihrem Spiel aus Abweisung und Anziehung hingeben, mäandert die Handlung immer unentschlossener vor sich hin.

Alana Kane, die junge Frau aus der Eingangsszene, wird von der Musikerin Alana Haim gespielt, die mit der Drei-Schwestern-Band Haim recht erfolgreich ist. Den schockverliebten Schüler Gary Valentine spielt Cooper Hoffman, der Sohn des 2014 verstorbenen Stammdarstellers im Cast von Anderson, Philip Seymour Hoffman, dessen Statur und Körperlichkeit der Sohn unverkennbar geerbt hat. Das beachtliche Doppeldebüt der beiden wird von schrägen Kurzauftritten einer Handvoll etablierter Hollywoodstars flankiert.

Von Anbeginn seiner Karriere hat Anderson betont, dass er als Auto­didakt anders arbeite, als es Filmhochschulen lehren und Studios fordern. Diese Herangehensweise und das Bestreben, den großen Momenten des Kinos zu huldigen, machen wesentlich den Reiz seiner Filme aus. Bei meist großer Lauflänge verlieren sie allerdings über ihre Begeisterung an trunkenmachenden Bildern, Dialogwitz und schwelgerischem Musikeinsatz immer wieder Plot, Plausibilität und Dramaturgie aus den Augen. Das ist im Fall seiner neuen poppig-schrägen Geschichte, die viel mehr sein will als bloß eine weitere Coming-of-Age-Liebeskomödie, nicht anders.

Zwei Dinge machen den Film interessant: Da ist zum einen der beträchtliche Altersunterschied zwischen den beiden in einer sich anbahnenden Beziehung befangenen Haupt­figuren; zum anderen ist es das Äußeres der Protagonisten, das die in Hollywood geltenden Normen angenehm unterläuft. Beide Regieentscheidungen bergen jedoch auch Fallstricke.

So ist der picklige Gary ein 15jähriger ungelenker Teenager, während Alana mit ihren 25 Jahren bereits zu den Erwachsenen zählt. Doch während sie mit ihren beiden Schwestern immer noch bei ihren Eltern (allesamt ebenfalls von Haims gespielt) lebt und nur davon träumt, frei und unabhängig zu sein, hat Gary bereits eine Karriere als Kinderserienstar hinter sich und ist nun dabei, ein seltsames Business nach dem anderen aufzuziehen. Und obwohl Alana auf Garys Einladung anfänglich abweisend reagiert und darauf beharrt, keine Teenager zu daten, erscheint sie doch am selben Abend herausgeputzt zur ersten Verabredung. Von nun an belagert sie der Junge, über dessen hörbaren Atem und ihr geltenden Hundeblicke sie sich zwar permanent lustig macht, der sie aber auch immer wieder beeindruckt; nicht zuletzt dadurch, dass er augenscheinlich über gute Kontakte ins Star- und Sternchenmilieu der Filmwelt verfügt.

Während Alana und Gary sich ­ihrem Spiel aus Abweisung und An­ziehung hingeben, mäandert die Handlung immer unentschlossener vor sich hin. Gary gründet ein Wasserbettengeschäft, wird zur Liedzeile »beating up the wrong guy« aus dem David-Bowie-Klassiker »Life on Mars« von der Los-Angeles-Polizei ebenso brutal wie grundlos verhaftet und schnell wieder freigelassen. Wenn er nicht gerade Alana belagert, dreht er sich vor allem mit unerschütterlichem Narzissmus um sich selbst.

Alana gelingt es dank seiner Kontakte, erste Schritte ins Showbiz zu machen. Sie spricht für einen Film vor und wird vom prominenten Hauptdarsteller (Sean Penn als Jack Holden, offenkundig eine Anspielung auf William Holden, einen der Superstars des klassischen Hollywood-Kinos) direkt zum Essen ausgeführt, dann jedoch von einem ­Moment auf den nächsten wieder vergessen. Desillusioniert beginnt sie, sich nach seriöseren Betätigungsfeldern umzusehen.

All das gibt immer wieder Anlass für absurde Wortgefechte und durchaus witzige Auftritte von Film­größen wie Tom Waits oder Bradley Cooper. In ihren Rollen dürfen sie sich mit Genuss ausleben und in den von ihnen verkörperten Figuren ein ums andere Mal auf Persönlichkeiten verweisen, die im Übergang vom ­alten zum neuen Hollywood tatsächlich eine Rolle gespielt haben. In ­seiner nostalgiegetränkten Episodenhaftigkeit wirkt das, als habe Quentin Tarantino sich bei den Coen-Brüdern Hilfe für ein Remake seiner ­eigenen Traumfabrik-Geschichtsschreibung geholt, ohne dabei jedoch auf die für ihn typische, letztlich ­reaktionäre Drastik zu bestehen. Auch ein zeitgeschichtliches Ereignis wie die Ölkrise macht sich gut als Dekor, um verrückte Bildideen zu generieren, und wird im Anderson-typischen popsatten Wohlfühlstil berauschend umgesetzt. Eine stringente Dramaturgie ergibt sich dadurch aber nicht.

Denn obwohl es zwischen den ­einander mal mehr, mal weniger zugeneigten Liebenden ergreifende Momente gibt, drängt sich die Frage auf, die auch Alana an ihre jüngere Schwester richtet: Ist es nicht seltsam, mit einem 15jährigen herumzuziehen, den sie nicht attraktiv finden kann? Eine befriedigende Antwort findet der Film nicht. Zwar scheint Gary mit größerem Ernst an Alana ­interessiert zu sein als jene Männer, die ihrer Jugendlichkeit lediglich für Augenblicke verfallen sind. Aber auch Gary denkt vor allem daran, endlich ihre Brüste anzufassen. Merkwürdig ist auch, wieso Gary ständig erfolgreich als Unternehmer auftreten kann, obgleich er in der Bar nichts Stärkeres als Cola bekommt. Doch das sind für einen Großkünstler wie Anderson wohl allzu banale Fragen.

Wichtiger als die Glaubwürdigkeit des Plots ist jedoch, wie der Film Körperlichkeit inszeniert. Während Gary tatsächlich durchgehend juvenil plump gezeigt wird, muss Alana beständig die Projektionsfläche für erotisierte Männerwünsche abgeben. Kaum eine Szene zeigt sie anders als in kürzesten Röcken und enganliegenden Oberteilen, durch die sich ihre stets erigierten Brustwarzen abzeichnen. Hinzu kommt, dass sich in der Beziehung letztlich alle tradierten Geschlechterrollen bestätigen, die vordergründig unterlaufen werden sollen: Gary ist der Chancen ­ergreifende Entrepreneur, sie die Personifizierung seines jungmännlichen Begehrens. Trotz aller Schrägheiten ist diese Konstellation dann doch erstaunlich konventionell.

Licorice Pizza (USA 2021). Regie und Buch: Paul Thomas Anderson. Darsteller: Alana Haim, Cooper Hoffman, Sean Penn, Tom Waits. Kinostart: 27.Januar