Die Legalisierung von Cannabis könnte dem deutschen Staat Milliardenbeträge einbringen

Smoke and Mirrors

Wenn die neue Bundesregierung sich an ihren Koalitionsvertrag hält, dürfen Erwachsene bald Cannabis in lizenzierten Geschäften zu Genusszwecken kaufen. Tatsächlich progressiv wäre die deutsche Drogenpolitik damit noch immer nicht.

Es war das einzige Ergebnis der an­sonsten ungewohnt diskret verlaufenen ­Koalitionsverhandlungen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, das vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangte: Die Ampelkoalition wolle Cannabis legalisieren. Das sollte eigentlich nicht überraschen. Grüne und FDP hatten bereits in ihren Bundestagswahlprogrammen die Legalisierung in Aussicht gestellt, die SPD immerhin deren Erprobung in »Modellprojekten von Ländern und Kommunen«. Außerdem versprechen sich die Herrschenden nicht nur Einnahmen aus der vom Liedermacher Götz Widmann besungenen »Zaubersteuer« (»Stell dir vor, es gäb’ ’ne Steuer, die die Leute gerne zahlen / Und so oft sie sie bezahlen, danach völlig selig strahlen (…) Um diese Steuer zu kassieren / Muss man nur Hasch legalisieren«), sondern auch eine Entlastung von Polizei und Justiz. Neben der Entkriminalisierung können Konsumentinnen und Konsumenten darauf hoffen, dass das Staatsgras gewisse Qualitätskriterien erfüllt, keine problematischen Streckmittel oder synthetischen Cannabinoide enthält und dass bereits auf der Verpackung über dessen Wirkungsgrad, sprich den THC-Gehalt, informiert wird.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie schätzt den jährlichen ­Cannabisbe­darf in Deutschland auf 400 Tonnen. Derzeit dürfen aller­dings nur 2,6 Tonnen pro Jahr legal geerntet werden.

Ein bisschen überrascht hat der Plan der Ampelkoalition dann doch. Obgleich er längst überfällig und absolut sinnvoll ist, hatte man schon gar nicht mehr gewagt, auf diese Liberalisierung zu hoffen. Ins Bild passte da eine Agenturmeldung, die Ende Dezember die Runde machte: Aufgrund der Covid-19-Pandemie sei die Cannabislegalisierung für die Regierung zunächst nicht prioritär. SPD und FDP hätten keine Eile, sie zu beschließen. Und wie lange die Pandemie noch andauert, weiß nun wirklich niemand. Auch wenn der neue Beauftragte der Bundesregierung für Drogen- und Suchtfragen, Burkhard Blienert (SPD), der in der vorigen Woche ernannt wurde, schon länger als Befürworter einer Legalisierung bekannt ist, sollte man sich nicht darauf verlassen, dass Gras legalisiert wird. Vier Jahre sind schnell vorbei und so manche Regierung hält gar nicht so lange durch.

Ohnehin ist der entsprechende Passus im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vage gehalten. »Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet«, beginnt der erste von nur zwei kurzen Absätzen zur Drogenpolitik, in denen sogenannte harte Drogen übrigens nicht einmal erwähnt werden – so viel zum Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik, den manche bereits in der Ankündigung der Cannabislegalisierung sahen. Ebenfalls unbeantwortet bleiben weitere wichtige Fragen: Sollen Erwachsene Cannabis anonym kaufen können oder sollen sie sich zuvor als Kiffer regis­trieren lassen müssen? Soll die Straßenverkehrsordnung im Zuge der Legalisierung angepasst werden? Derzeit liegt der Grenzwert bei einem Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum, ist damit im internationalen Vergleich extrem niedrig und kann je nach Konsumgewohnheiten noch bis zu vier Wochen nach dem letzten Joint überschritten werden.

Und wo soll das ganze legale Gras eigentlich herkommen? In einer kürzlich veröffentlichten Studie zu den »Fiskalischen Auswirkungen einer Cannabislegalisierung in Deutschland« schätzt der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf den jährlichen Bedarf in Deutschland auf rund 400 Tonnen. Derzeit dürfen hierzulande nur drei speziell lizenzierte Firmen Cannabis für medizinische Zwecke anbauen – unter strengsten Sicherheitsauflagen in Stahlbetonbunkern. Zu den Auflagen gehört auch eine Mengenbegrenzung: Insgesamt dürfen die drei Firmen nur 2,6 Tonnen Cannabis pro Jahr ernten. Allein um den steigenden medizinischen Bedarf zu decken, muss derzeit zusätzlich etwa die zehnfache Menge importiert werden – aus Ländern wie den USA, Israel, Portugal und Dänemark, in denen die Auflagen deutlich weniger streng sind und Gras teils auch in gewöhnlichen Gewächshäusern gezogen werden darf.

Im Zuge einer Legalisierung des Freizeitkonsums müssten die Produktionskapazitäten in Deutschland erhöht und die Produktionsbedingungen vereinfacht werden – Letzteres allein schon, um einen Verkaufspreis zu erreichen, der mit dem Schwarzmarktpreis konkurrieren kann. Experten gehen davon aus, dass jener bei etwa zehn Euro pro Gramm (Steuern inklusive) liegen müsste, für besondere Sorten könnte auch mehr verlangt werden.

Von einem Einzelhandelspreis von zehn Euro pro Gramm geht auch Haucap in seiner Studie aus. Er berechnet auf dieser Grundlage mögliche Gesamtsteuereinnahmen aus einer Cannabislegalisierung in Höhe von rund 2,8 Milliarden Euro, wobei neben einer speziellen Cannabissteuer auch Einnahmen aus Umsatz-, Gewerbe-, Körperschafts- und Lohnsteuer in der Schätzung enthalten sind. Um all diese Steuereinnahmen zu generieren, müsste selbstverständlich der gesamte deutsche Cannabisbedarf hierzulande produziert werden, was aus heutiger Sicht unwahrscheinlich scheint. Indem Haucap das Sozialversicherungsaufkommen sowie Einsparungen bei Polizei und Justiz einberechnet, kommt er sogar auf ein jährliches Plus für den Staatshaushalt von gut 4,7 Milliarden Euro.

Insbesondere die möglichen Einsparungen bei Polizei und Justiz machen deutlich, weshalb eine Cannabislegalisierung überfällig ist. Gras ist – nach Alkohol und Tabak, die Wissenschaftler als wesentlich gesundheitsschädlicher einstufen – die meistkonsumierte Droge hierzulande. Daher beschäftigt sie erschütternd häufig die Ordnungsbehörden. 2020 wurden dem Bericht »Rauschgiftkriminalität« des Bundeskriminalamts zufolge 365 753 Verfahren wegen »Rauschgiftdelikten« geführt, auf Cannabis entfielen davon 220 414 Verfahren, wovon rund 80 Prozent gegen Konsumentinnen und Konsumenten geführt wurden.

Die Prohibitionspolitik ist gescheitert, denn konsumiert wird trotzdem, nur eben ohne Verbraucher- oder Jugendschutz. Ausgerechnet Letzteren führen Polizeigewerkschaften und mehrere CDU-Landesinnenminister nun gegen eine Cannabislegalisierung an. Dabei kann wohl, wenn überhaupt, nur ein kontrollierter Verkauf von Gras Jugendlichen den Zugang erschweren.

Ein weiteres Argument von Gegnern der Legalisierung ist, dass Cannabis durch diese zu einer »dritten Volks­droge« würde. Dabei ist sie das längst, wenn man sich denn auf diesen Begriff einlassen will. Ob die Zahl der Konsumierenden durch eine Freigabe steigt oder sinkt, ist hingegen unklar. Studien aus anderen Ländern, die eine kon­trollierte Abgabe bereits eingeführt haben, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. In einigen Ländern ging der Konsum zurück. Eine signifikante, geschweige denn problematische Konsumsteigerung gab es allerdings nirgendwo. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kam bereits 2019 in einem Sachstandsbericht zu dem Schluss, dass »die Verfolgung einer strikten Drogenpolitik wenig bis keinen Einfluss auf das Konsumverhalten hat«.

Ein Problem bleibt jedoch: Von dem Milliardengeschäft mit Cannabis werden diejenigen am wenigsten profitieren, die sich derzeit um die Distribution der Blüten kümmern. Zynischerweise dürften bei der häufig beschworenen »Austrocknung des Schwarzmarkts« die ohnehin schon illegalisierten Straßendealer in den Großstädten gleich mit ausgetrocknet werden. Anfänglich dürften sie sich wohl noch auf einen Preiskampf mit den lizenzierten Grasgeschäften einlassen, den sie vermutlich nicht gewinnen können – sonst würde man hinterher auch sagen: Der Staat hat bei der Legalisierung versagt, weil er den Markt verfehlt hat.

Doch irgendwann, wenn es genügend Grasläden gibt, was in den Großstädten eher früher als später der Fall sein dürfte, werden die heutigen Verkäufer ihr Geschäft wohl aufgeben oder auf sogenannte harte Drogen umsteigen müssen (die einige bereits jetzt mitvertreiben). Spätestens dann dürften auch die Solidaritätskampagnen für Straßendealer an Zulauf verlieren, während der Repressionsdruck aufgrund freiwerdender Ressourcen bei Polizei und Justiz noch weiter steigen dürfte. Selbst die Legalisierung aller Drogen würde daran nichts ändern, solange sie nicht mit der Legalisierung aller Menschen einhergeht.