Pedro Castillos viertes Kabinett wird die Regierungskrise in Peru kaum lösen

Vier Regierungen und ein Problemfall

In Peru hat Präsident Pedro Castillo seit seinem Amtsantritt im Juli 2021 das Kabinett bereits vier Mal umgebildet. Die anhaltende Regierungskrise wird er damit kaum lösen.

Die Analysen selbst linksliberaler peruanischer Zeitungen wie La República sind eindeutig: Als »Kabinett ohne Weitblick« betitelte das Blatt die neue Regierung des Ende Juli 2021 vereidigten peruanischen linkspopulistischen Präsidenten Pedro Castillo. Das Kabinett, das am 8. Februar ernannt wurde, ist mittlerweile sein viertes. Die kritische Wochenzeitung Hildebrandt en sus trece schreibt, Castillo unternehme »titanische Anstrengungen, sich selbst zu zerstören«.

Eine Personalie, die dazu passt, ist der am Dienstag voriger Woche vereidigte neue Gesundheitsminister Hernán Condori Machado. Die peruanische Ärztekammer (Colegio Médico del Perú) läuft bereits Sturm gegen den Nachfolger von Hernando Cevallos, der als Initiator der recht erfolgreichen peruanischen Impfkampagne angesehen wird. 71,5 Prozent der gesamten Bevölkerung haben dem Gesundheitsministerium zufolge bereits die zweite Impfung gegen Covid-19 erhalten, womit Castillo eines seiner Wahlversprechen eingelöst hat. Warum er Cevallos nun gegen einen Chirurgen austausche, der für fragwürdige Medikamente wirbt, darunter ein angebliches Heilwasser gegen Covid-19 sowie eine Krebstherapie, deren Wirksamkeit nicht wissenschaftlich bewiesen ist, und gegen den obendrein ein Korruptionsverfahren läuft, verstehe sie nicht, so die Juristin Ana María Vidal.

»Interessengruppen nutzen die Führungsschwäche der Regierung gnadenlos zum eigenen Vorteil aus.« Ana María Vidal, Juristin

Vidal vertritt indigene Frauenorganisationen, koordinierte früher die Arbeit der Dachorganisation der peruanischen Menschenrechts-NGOs und vermutet klientelistische Interessenpolitik hinter der Umbesetzung: »Es fehlt an Transparenz, die Polarisierung der politischen Lager ist geradezu fühlbar und Interessengruppen nutzen die Führungsschwäche der Regierung gnadenlos zum eigenen Vorteil aus«, meint die in Lima arbeitende Anwältin. Dies treffe auch auf den Transportminister Juan Francisco Silva zu; der soll mit zwielichtigen Transportunternehmen verbandelt sein und wurde obendrein wegen familiärer Gewalt angezeigt. Er ist einer der wenigen Ministerinnen und Minister, die bisher jedem Kabinett Castillos angehörten.

Fingerspitzengefühl bei der Personalwahl hat der Präsident wahrlich nicht bewiesen. Der dritte Ministerpräsident seit Juli 2021, Héctor Valer, ist dafür das beste Beispiel. Am 1. Februar vereidigt, musste er wenige Tage später abdanken, weil Frauenorganisationen vor dem Ministerium für Frauenrechte gegen seine Ernennung protestiert hatten. Eine der Protestierenden war Sofía Mauricio Bacilio, die sich für die Rechte von Hausangestellten einsetzt. »Gegen Valer liegen mehrere Anzeigen wegen häuslicher Gewalt und sexueller Belästigung vor. So ein Mann ist einfach nicht tragbar«, empört sie sich. Ihre Erwartungen und Hoffnungen in die Regierung von Castillo seien enttäuscht worden.

Die Zahl der Peruanerinnen und Peruaner, denen es ähnlich wie ihr geht, wächst. Für die Juristin Vidal ist ein grundlegendes Problem, dass Castillo eigene Fehler selten einsehe und aus ihnen folglich kaum lerne, er verliere die Nähe zu seinen Wählerinnen und Wählern – darunter ein großer Teil der indigenen Landbevölkerung sowie der unteren sozialen Schichten. Castillo verteile Ämter und revanchiere sich für Gefälligkeiten, sei ihr Eindruck, so Vidal. Der Politologe Alberto Vergera hat dafür den Begriff des »linken Fujimorismo« geprägt. Dass Castillo mittlerweile schon mit dem wirtschaftsliberalen Präsidenten Alberto Fujimori, der Peru von 1990 bis 2000 autokratisch regierte, verglichen wird, zeigt, wie wenig mittlerweile vom Image als reformwilliger linker Dorflehrer aus der Andenregion Cajamarca geblieben ist.

Probleme bereitet Castillo auch die peruanische Rechte. Die Medienholding El Comercio S.A., deren Blätter, darunter die konservative Tageszeitung El Comercio, 80 Prozent der Auflage der gesamten Tagespresse ausmachen, spielt eine wichtige Rolle für die öffentliche Meinungsbildung, aber auch das Gros der Fernsehkanäle des Landes steht Castillos Regierung kritisch gegenüber. Hinzu kommt, dass im Einkammerparlament, dem Kongress, die Opposition mit 86 von 130 Mandaten in der Mehrheit ist. Castillo versucht, durch Postenvergabe Fraktionen an sich und seine Regierung zu binden. Das sorgt auf der anderen Seite jedoch dafür, dass Reformprojekte wie die Universitätsreform nicht weiterkommen, weil sie von manchen Ministern und den jeweiligen Fraktionen im Parlament nicht mitgetragen werden.

Der Präsident hat bereits mehrere seiner wichtigsten Mitstreiter und Mitstreiterinnen verprellt. Dazu zählen etwa der ehemalige Wirtschaftsminister Pedro Francke, der die versprochene Steuerreform einleiten sollte, sowie die ehemalige Ministerpräsidentin Mirtha Vásquez – die zweite in diesem Amt seit Juli 2021 –, die beide am 1. Februar ihren Rücktritt einreichten. Vásquez gilt als überaus geschickte Verhandlerin, traf jedoch unter anderem auf Widerstand aus Castillos eigener Partei, Perú Libre. Als Grund für ihren Rücktritt nannte sie die »Unmöglichkeit, Kompromisse zum Wohl des Landes zu erzielen«. Eine Clique von Beratern halte den Präsidenten von seinen eigenen Ministern fern und treffe Regierungsentscheidungen, so Vásquez.

Vásquez’ Rückzug könnte Castillo schwer schaden, denn die engagierte Umweltjuristin hätte die sich abzeichnenden Konflikte im Bergbausektor des Landes wie kaum eine andere moderieren können, meint José De Echave von der bergbaukritischen Entwicklungsorganisation Cooperacción. »Es gibt in allen Landesregionen Konflikte um den Bergbau und die Bevölkerung erwartet von der Regierung Lösungen, Kontrolle, Regulierungen. Doch wer soll sie aushandeln? Ich sehe niemanden im Kabinett.« Unter Vásquez habe es, soviel bekannt ist, keine Polizeiübergriffe auf und Kriminalisierung von Umweltschützern gegeben, wie es in Peru ansonsten immer wieder der Fall ist, lobt Echave. Allerdings seien die Weltmarktpreise für Industriemetalle derzeit hoch und die Bergbaulobby wolle sie natürlich fördern lassen, da seien Konflikte programmiert, die die Regierung schnell unter Druck setzten könnten.

Viele fordern Castillos Rücktritt. Abgeordnete versuchen bereits, ein Misstrauensvotum gegen den Präsidenten zustande zu bringen – das hat in Peru fast schon Tradition. Castillos Umfragewerte sinken, dazu tragen auch seine öffentlichen Auftritte bei. Bei Linken sorgte insbesondere ein Treffen Castillos mit Brasiliens rechtsextremem Präsidenten Jair Bolsonaro Anfang Februar in Porto Velho für Entsetzen, bei dem beide scherzten und Bolsonaro Castillos Hut aufsetzte. Auch der ehemalige Präsident Martín Vizcarra, der selbst im November 2020 einem Misstrauensvotum des Parlaments zum Opfer gefallen ist, plädiert für Castillos Rücktritt und Neuwahlen, da das Parlament in der Bevölkerung kaum Rückhalt habe. Damit liegt er durchaus richtig. Doch bereits der Ausgang der Parlamentswahlen von 2021 hat gezeigt, dass diese die Zusammensetzung im Parlament nicht unbedingt zum Besseren verändern. Doch auch vom neuen Kabinett unter Ministerpräsident Aníbal Torres, vormals Justizminister, halten Kritiker wenig. Es habe »alles andere als an politischer Qualität gewonnen«, so José De Echave.