Vor 25 Jahren startete die Serie »Buffy the Vampire Slayer«

Mythos wider Willen

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So sind schlussendlich diese Versuche, die Serie auf Teufel (oder Dämon) komm raus zu intellektualisieren, als solche zu deuten, das eigene Dasein als Fan zu rationalisieren – eine extrem masochistische Angelegenheit. Diejenigen, die in »Buffy« über den Umweg der Dekonstruktion »sich selbst« finden wollen, sei es ­politisch oder identitär, instrumentalisieren die Serie zwangsläufig – und verderben sie sich damit. Denn »Buffy the Vampire Slayer« ist, und darüber wird zum Beispiel in der bereits seit 2001 herausgegebenen, exklusiv nur »Buffy« gewidmeten Online-Zeitschrift Slayage wenig gesprochen, eine Fantasy- und vor allem eine Actionserie. Jede Episode von »Buffy« läuft auf einen Kampf hinaus, und dieser hat es für gewöhnlich in sich, inklusive Kung-Fu-Einlagen. Diejenigen, die sich wissenschaftlich gerne mit Affekttheorie beschäftigen, kehren ausgerechnet ihren eigenen Affekten den Rücken, wenn sie bei solch einem Kampf mitfiebern könnten. Und diejenigen, die so gerne ­Metaphern entziffern und sich dabei wohl besonders schlau vorkommen, sind ausgerechnet keine Fans der sechsten und siebten Staffel von »Buffy«, die ohne Zweifel interessantesten und vielschichtigsten der gesamten Serie. Kein Wunder, denn die Metaphern wichen fortschreitend dem ganz buchstäblichen Grauen, das gar keine Bemäntelung, gar keine Sinnbilder mehr benötigt – fehlendes Geld, Sucht und zerbrochene Liebe.

Was den Fans, die etwas Besseres als Fans sein wollen, vor lauter Überidentifikation außerdem entgeht ist, dass Buffy eine mythologische Figur ist. Wenn Buffys Mutter Joyce herausfindet, was ihre Tochter ist, und sie schockiert fragt, ob sie etwas falsch gemacht habe, antwortet Buffy nur lapidar: »It’s just fate, Mom.« Gemäß den Gesetzen dieses Serienuniversums gibt es auf der Erde immer nur eine Slayerin, ausgestattet mit Superkräften, die sich außerordentlich schnell von Verletzungen erholt. Die erste Slayerin gab es schon zu Beginn der Menschheit, Männer hatten sie durch einen Zauber dazu ver­wandelt, selber kämpfen wollten sie nicht. Stirbt eine Slayerin, wird die nächste aktiviert. Buffy ist auserwählt, das Böse zu bekämpfen – dazu entschieden hat sie sich nie. Wozu sie sich aber entscheidet, ist, Freunde zu haben – ein Novum in der Geschichte der Dämonenjägerinnen.

Tara (Amber Benson) und Willow (Alyson Hannigan)

Under her spell. Die Beziehung zwischen Tara (Amber Benson) und Willow (Alyson Hannigan) ist nicht immer so harmonisch, wie es hier den Anschein hat

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mauritius images / Cinema Legacy Collection

Genau hier, in der Fiktion, und nicht in einem Identifikationsangebot ist das feministische Moment von »Buffy« zu finden. Und nicht nur das feministische: Buffy ist eine mythologische Figur, die den mythologischen Bann bricht und mit dem fi­nalen Schlag gegen das Böse Geschichte macht – und auch Buffys Abkehr von ihrem Schicksal als Slayerin ist geschichtsträchtig (dem britischen »Council«, das sie betreut, kehrt sie beispielsweise mit dem Satz »They’re in England. I don’t think they can tell which way my back is facing« den Rücken zu). Dass die Schülerin Buffy im Fach Geschichte eine ausgesprochene Null ist, was über Staffeln hinweg betont wird, bereitet diese Wendung vor. Ritual und Wissenschaft, Übersinnliches und Technisches, Mythos und Aufklärung bilden das Spannungsfeld, in dem die Figuren der Serie agieren. Wenn ein »monster of the week« auftaucht, werden erst mal in der Bibliothek Bände gewälzt oder das (damals noch neue) Internet konsultiert, bevor man mit einer mystischen Waffe oder einem Zauber gegen das Böse angeht. Dass die Serie damit regelrecht Geschichtsphilosophie entfaltet, wird in Fan- und Akademikerkreisen sträflich vernachlässigt.

Im Sommer 2020 wurden Vorwürfe von Schauspielern des 2017 angelaufenen Superheldenfilms »Justice League« gegen ihren Regisseur laut. Gewalttätig, übergriffig und unangenehm soll er am Set gewesen sein, sein Name: Joss Whedon. Auch Charisma Carpenter, die in »Buffy« die Figur Cordelia Chase gespielt hatte, erhob im Februar 2021 Vorwürfe gegen den Showrunner. Während der Dreharbeiten zu »Buffy« und dem Spin-off »Angel« habe er ihr gegenüber diverse Male seine Macht missbraucht, sie beleidigt oder mit Kündigung gedroht. Andere Darsteller aus »Buffy« unterstützten Carpenter, ohne in ­ihren Statements so ausführlich zu werden wie sie.

Whedon galt jahrzehntelang als der Vorzeigefeminist Hollywoods, vor allem wegen »Buffy«, einer Serie, die auch heute noch in feministischen und besonders in queeren Kreisen äußerst beliebt ist. Das hat gute Gründe: In der Serie wimmelt es von, wie man sagt, starken Frauenfiguren, zwei davon sind lesbisch, und die explizite Darstellung ihrer Liebesbe­ziehung ist eine der ersten dieser Art überhaupt im Fernsehen.

Doch es gibt noch eine andere feministische Komponente in »Buffy«, und die hat mit den männlichen Figuren sowie mit der Thematisierung des ­Geschlechterverhältnisses zu tun. Die Männer in »Buffy« sind allesamt ihrer Männlichkeit beraubt: Der »Watcher« Giles (Anthony Stewart Head), sozusagen Buffys Patron, bekommt andauernd einen ihn in Ohnmacht versetzenden Schlag auf den Kopf versetzt, dem Vampir Spike (James Marsters) wird ein Chip in den Kopf eingepflanzt, der ihn durch starke Schmerzen davon abhält, Menschen zu verletzen oder zu töten (man darf das ruhig als Kastration bezeichnen), und Buffys bester Freund Xander (Nicholas Brendon) ist ein trotteliger Klassenclown, der im Gegensatz zu seinen ausschließlich weiblichen Freunden Buffy (Slayer), Willow (Hexe) und Anya (Rachedämon) nicht über übersinnliche Kräfte verfügt, aber dennoch das »Herz« der Operation Dämonenjagd ist.

»Buffy« ist nicht feministisch in dem Sinne, dass hier alles in Ordnung wäre – vielmehr würde heutzutage wohl jede Folge mit einer ausufernden Triggerwarnung versehen werden.

»Buffy« ist nicht feministisch in dem Sinne, dass hier alles in Ordnung wäre – vielmehr würde heutzutage wohl jede Folge mit einer ausufernden Triggerwarnung versehen werden. Das hat vor allem mit den Gegnern, den »villains« in der Serie zu tun, fast ausschließlich misogyne Männer. Das kulminiert in den »big bads« der sechsten Staffel, den drei Freunden Warren, Andrew und Jonathan, den Nerds, deren erst eher harmloser Sadismus gegen Buffy am Ende zu mehreren toten Frauen führt. Vielleicht ist »Buffy the Vampire Slayer« dadurch eine feminis­tische Serie, dass hier feministische Theorie gewissermaßen aufgeführt wird – genau so, wie sie keine metaphorische Serie ist, sondern eine ­Serie über Metaphern.

Diese liegen eigentlich auch eh immer auf der Hand, dann zum Beispiel, wenn Spike nach der Implantation seines Chips versucht, Willow zu beißen, daran scheitert und die beiden daraufhin ein Gespräch führen, das so klingt, als würde ein Ehepaar über die Impotenz des Mannes diskutieren.

Dass die Serie überhaupt als eine gedeutet werden kann, in der mit Metaphern gearbeitet wird, hat damit zu tun, dass es hier eine große mythologische Erzählung gibt, das eine bedingt das andere, ist auch über den Witz immer wieder zusammengebunden. Postmodern inspirierte Zuschauer müssen das aber wie ­einen alten Zopf abschneiden. Geschichte kann nicht ohne die Ver­gangenheit gemacht werden, Zukunft ist nicht ohne Bewahren möglich, das wissen die Serienmacher besser als das Gros ihres Publikums, das die »großen Erzählungen« ablehnt. Die Mythologie wiederum beschränkt sich nicht nur auf den Inhalt, sondern ist auch ein literarischer Trick, nicht nur um einen starken erzähle­rischen Rahmen zu haben, sondern auch um in einem bombastischen fiktionalen Universum immer wieder Konventionen des Erzählens, gerade im Fernsehen, zu unterlaufen.

Die lesbische Beziehung zwischen Willow und Tara wird beispielsweise als eine zwischen zwei Hexen erzählt, die gemeinsam das Zaubern lernen und dadurch ein besonderes Band zueinander fühlen. Das klingt esoterisch, ist es aber nicht, denn auch im Jahr 2000 machte einem das Studio und der Sender immer noch Druck, wenn es um Homosexualität im Plot ging. Durch diesen Trick, aus zwei lesbischen Frauen zwei Hexen zu machen, war es möglich, auch teilweise sehr Frivoles zu schreiben.

Am Ende ist »Buffy the Vampire Slayer« genau das: eine auf höchstem Niveau geschriebene Serie, die sich dessen bewusst ist, dass sie ein langer Text ist. Und dieser ist so verzwickt, so kompliziert, so subversiv, so widersprüchlich, so übersinnlich und dennoch so real, dass, und das steht ganz in der Tradition der neunziger Jahre, in der Moderne und Postmoderne die Klingen kreuzten, sich die Serie der Hermeneutik gänzlich entzog, ihr sogar mutwillig entsagte. In einem Porträt über Whedon, das Lila Shapiro im Januar im New York Magazine veröffentlichte und das sich mit den Vorwürfen gegen ihn beschäftigte, wird eine Geschichte erzählt, nämlich die, dass Buffy-Fans absolut überzeugt davon waren, dass Buffy und ihre Slayer-Kollegin Faith eine romantische Affäre miteinander hätten. Whedon, der dieser im Internet kursierenden Theorie widersprach, ließ sich allerdings von einem Fan und ihrem Essay überzeugen, die genau diese These vertrat. Mit den Worten »By God, I think she’s right!« wird er im Text zitiert.

Am Ende der Serie stehen Buffy und ihre Freunde dem »First Evil« gegenüber

Vorbereitung auf den letzten Kampf. Am Ende der Serie stehen Buffy und ihre Freunde dem »First Evil« gegenüber

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mauritius images / LANDMARK MEDIA / Alamy / Alamy Stock Photos

Wenn nicht mal der Showrunner alles über seine Figuren weiß, dann kann eine Serie auch von Feministinnen geschaut werden, ohne dass ihr Erfinder sich immer angemessen verhalten hat, zumal er nicht der einzige Autor der Serie war; verstärkt wurde er von Rebecca Rand Kirshner, der unfassbar witzigen Jane Espenson und der später sogar zur Co-Showrunnerin aufgestiegenen Marti Noxon. Dann ist auch nicht jedes darin gesprochene Wort für bare Münze zu nehmen, genauso wenig, wie jedes davon dreimal in dekonstruktivistischer Manier umzudrehen ist. Dann ist es im besten Fall die Lust am (vielleicht auch undurchdringlichen) Text, die einen zum Schauen der Serie treibt, und nicht das Versprechen von Empowerment.

In den ersten drei Staffeln gibt es eine Figur, die ein Paradebeispiel für das Spiel mit Metaphern der Serie ist: den Schulleiter Snyder (Armin Shi­merman), ein niederträchtiger Quälgeist. Über Staffeln hinweg glaubt man als Zuschauer, er sei eigentlich ein Dämon, doch am Ende ist er nur das, was er eben ist: ein mieser Lehrer. In einer Folge kämpfen Buffy und ihre Freunde auf der Theaterbühne der Schule bei geschlossenem Vorhang mit Hilfe einer lebendigen Bauchrednerpuppe gegen einen absolut eklig aussehenden Dämon, der natürlich schließlich besiegt wird. In dem Moment öffnet sich der Vorhang, und die gesamte Schule sieht die absurde Szenerie. Die Kamera geht auf den erzürnten Snyder, der sagt: »I don’t get it. Is this avant-garde?« Eine bessere Zusammenfassung davon, was »Buffy the Vampire Slayer« ist, wird man nirgendwo finden.