Eine neue Studie untersucht die Verbreitung der Verschwörungsmythen von Qanon

Nicht totzukriegen

Eine Ende März veröffentlichte Studie zur Verbreitung der Verschwörungs­theorien von Qanon legt nahe, dass die deutsch­sprachige Qanon-Szene die größte außerhalb der USA sei.

Viele hatten gehofft, dass der Zulauf der Verschwörungssekte Qanon nach der Abwahl von US-Präsident Donald Trump und dem Versiegen der Botschaften ihres Propheten »Q« Ende 2020 abflauen würde. Die Gläubigen waren eigentlich davon ausgegangen, dass Trump einen vermeintlich satanistischen deep state zerschlagen und die »pädophile Elite« bestrafen würde, wozu es jedoch nicht gekommen ist. Doch Qanon ist anscheinend nicht totzukriegen.

In den USA nutzen republikanische Politiker immer wieder Versatzstücke der Verschwörungstheorie. So weit ist es in der Bundesrepublik bislang nicht. Dennoch hat sich Qanon auch hierzulande etabliert. Das legt zumindest der Ende März veröffentlichte Forschungsbericht »Q vadis? Zur Verbreitung von Qanon im deutschsprachigen Raum« des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) nahe. Mit einer repräsentativen Studie untersuchten die Forschenden die Resonanz von Qanon in Deutschland und Österreich. Außerdem schätzen sie in dem Bericht die Entwicklung und Reichweite der Szene auf dem Instant-Messaging-Dienst Telegram ab.

Der Studie zufolge trug die Covid-19-Pandemie maßgeblich zum Wachstum der Reichweite von Qanon-Kanälen und -Gruppen auf Telegram bei. Ab März 2020 stieg die Zahl der Abonnentinnen und Mitglieder demnach rapide. Auch die Abwahl Trumps habe die Reichweite nicht geschmälert, es gebe sechs deutschsprachige Qanon-Kanäle mit jeweils mehr als 100 000 Abonnentinnen, die teilweise erst im vergangenen Jahr gegründet worden seien. Zu diesem Wachstum sagte der Co-Autor Josef Holnburger der Jungle World: »Qanon war nie weg.«

Der Cemas-Studie zufolge trug die Covid-19-Pandemie maßgeblich zum Wachstum der Reichweite von Qanon-Kanälen und -Gruppen auf Telegram bei.

Dass andere Plattformen wie Youtube, Twitter und Facebook große Qanon-Kanäle und -Accounts löschten, machte Telegram zum wichtigsten Medium der Szene. Die Größe der Kanäle – beispielsweise hat einer namens »Qlobal-Change« etwa 140 000 Abonnenten – stützt der Cemas-Studie zufolge die Annahme, die deutschsprachige Qanon-Szene sei die größte außerhalb der USA.

Einige Hunderttausend sind zwar immer noch ein winziger Bruchteil der Bevölkerung. Die Verschwörungstheo­rien wirken jedoch über Telegram hinaus. In der Cemas-Studie gaben 8,5 Prozent der Befragten in Deutschland und 5,8 Prozent der Befragten in Österreich an, viel über Qanon gelesen zu haben. Und noch viel mehr stimmen typischen Behauptungen von Qanon zu: 12,4 Prozent in Deutschland und 16,2 Prozent in Österreich.

Parteipolitisch zeigen sich deutliche Korrelationen. Während der Cemas-Studie zufolge knapp 44 Prozent der AfD-Anhänger Qanon-Behauptungen zustimmen, lehnen die Wählerinnen aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien diese mit jeweils über 90 Prozent ab. Auch eine weitere Korrelation ist wenig überraschend: Die Zustimmung zu Qanon-Mythen ist unter jenen, die nicht gegen Covid-19 geimpft sind, höher als unter Geimpften. Außerdem nutzen die Anhänger von Qanon der Studie zufolge überdurchschnittlich oft Telegram als Informationsquelle. Mit Bezug auf die dortigen Gedankenwelten sieht die Co-Autorin Pia Lamberty im Gespräch mit der Jungle World einen »selbstverstärkenden Effekt«.

Ihr Kollege Holnburger sagte, dass Verschwörungstheorien, wie Qanon sie propagiert, über das eigene Milieu ­hinaus Zweifel säten, was sich unter anderem in der Ausbreitung von Impfskepsis oder bei der Bewertung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zeige. Qanon bleibe eine Gruppe, in der neue Verschwörungserzählungen geschaffen und verbreitet würden, die dann politisch aufgegriffen werden könnten, so Holnburger, zum Beispiel kürzlich über angebliche US-amerikanische Biowaffen­labore in der Ukraine.

Miro Dittrich, ein Mitgründer von Cemas, weist im Gespräch mit der Jungle World zudem auf die Unterstützung von autoritären Regimen weltweit durch Qanon-Anhängerinnen hin. Auch wenn in Deutschland der direkte parteipolitische Einfluss fehle, so stehe man doch vor dem Problem, dass ein Teil der Bevölkerung sich in eine »alternative Wirklichkeit verabschiedet« habe, so Dittrich. Selbst wenn die Covid-19-Pandemie irgendwann abgeklungen sein wird, dürfte die Verschwörungsmentalität langfristig ein Problem darstellen. Die einmal etablierten Erklärungsmuster und Netzwerke könnten in der nächsten Krise wieder genutzt werden, so Dittrich.