Finnland und Schweden beantragen den Nato-Beitritt

In Rekordzeit in die Nato

Schweden und Finnland reichen in dieser Woche formale Beitritts­gesuche bei der Nato ein. Russland droht mit Reaktionen, sollte die Nato militärische Infrastruktur in diese Länder verlegen.

­Neben Kiew sind in den vergangenen Wochen Stockholm und Helsinki zu beliebten Reisezielen für europäische oder nordamerikanische Politikerinnen und Politiker geworden, die ein Zeichen setzen wollen: Nachdem in der vergangenen Woche der britische Premierminister Boris Johnson Schweden und Finnland besucht hatte und politische Sicherheitsgarantien während der Ratifizierung eines Nato-Beitritts versprochen hatte, kam am Wochenende auch der Fraktionsvorsitzende der Republikaner im US-Senat, Mitch McConnell, in die beiden Hauptstädte. Er versprach ebenfalls Unterstützung während der Beitrittsphase und betonte, die USA könnten die Beitrittsgesuche noch vor August ratifizieren.

Normalerweise kann es über ein Jahr dauern, bis die Parlamente aller Nato-Mitgliedstaaten einen neuen Beitritt ratifizieren. Die Zeit vom Beitrittsgesuch bis zum offiziellen Beitritt, ab dem auch die gegenseitige Beistandspflicht gemäß Artikel 5 rechtswirksam würde, gilt als besonders sensibel. Schweden und Finnland haben nun offiziell beschlossen, die Nato-Mitgliedschaft zu beantragen.

Schwedens und Finnlands Waffensysteme passen zu denen der Nato, seit Jahrzehnten wird in allen Waffengattungen gemeinsam mit Nato-Ländern in Manövern geübt.

In Finnland und Schweden wird insbesondere mit Luftraumverletzungen, Hackerangriffen und anderen Elementen hybrider Kriegsführung durch Russland gerechnet. Bereits in den vergangenen Wochen verletzten russische Militärflugzeuge wiederholt den Luftraum beider Länder. Mitte April wurden am Tag einer Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem finnischen Parlament Eduskunta die Websites des finnischen Außen- und Verteidigungsministeriums angegriffen, die daraufhin zeitweise nicht erreichbar waren.

Nach Drohungen Ende 2021 aus dem russischen Außenministerium, ein Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens hätte »politische und militärische Konsequenzen«, wurde man in Europas Norden hellhörig. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem 24. Februar hat zu einem Stimmungsumschwung in den beiden Ländern geführt. Niemals vor dem Ukraine-Krieg hatte sich dort in Umfragen eine Mehrheit für den Beitritt zum Nordatlantikpakt ausgesprochen. Doch Ende April lagen in Schweden die Zustimmungswerte bei 57 Prozent. Finnlands öffentlich-rechtlicher Rundfunk Yle kam in seiner Umfrage von Anfang Mai sogar auf eine Zustimmung von 76 Prozent.

In beiden Ländern hat im Februar ein zügiger Klärungsprozess begonnen, der in dieser Woche mit dem formalen Beitrittsgesuch sein Ende finden soll. Einer Hintergrundanalyse der wichtigsten finnischen Zeitung, Helsingin Sanomat, zufolge wurde in Ausschüssen, Parteivorstandssitzungen und den Regierungskonsultationen die Notwendigkeit des Beitritts kaum bezweifelt, vielmehr diskutierten die Gremien den zeitlichen Ablauf. Die sozialdemokratischen Schwesterparteien, die in Schweden beziehungsweise Finnland regieren, hatten sich dazu eng abgestimmt.

Obgleich die beiden Länder bisher formal neutral geblieben waren, sind sie schon lange enge Partner der Nato. Ihre Waffensysteme passen zu denen der Nato, seit Jahrzehnten wird in allen Waffengattungen gemeinsam mit Nato-Ländern in Manövern geübt. Auch an dem Großmanöver Siil 2022 (»Siil« ist Estnisch für »Igel«), das in dieser Woche in Estland und Nordlettland begonnen hat, sind finnische Truppen beteiligt. An der Übung sind über 15 000 Armeeangehörige aus Estland und zehn anderen Ländern beteiligt, es ist die bisher größte Militärübung seit Estlands Unabhängigkeit.

Für die nähere Zukunft ist damit zu rechnen, dass Finnland und Schweden sich ähnlich verhalten wie die anderen nordischen Nato-Länder. Weder in Dänemark noch in Norwegen sind Truppen aus anderen Staaten des Bündnisses stationiert; Nordeuropa wird aller Wahrscheinlichkeit nach atomwaffenfrei bleiben. Am Montag erklärte der russische Präsident Wladimir Putin noch auf einer Konferenz der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), dem russisch dominierten Militärbündnis sechs ehemaliger Sowjetrepubliken, ein Nato-Beitritt von Schweden und Finnland stelle keine Bedrohung für Russland dar. »Die Ausdehnung der militärischen Infrastruktur auf dieses Gebiet würde jedoch mit Sicherheit unsere Antwort provozieren«, so Putin.

Von besonderer Brisanz ist die Haltung der Regierung des Nato-Mitglieds Türkei zu einem Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan beschuldigt beide Länder, »wie ein Gästehaus für Terrororganisationen« zu agieren; gemeint sind die kurdische PKK und die Bewegung des ehemals mit Erdoğan verbündeten islamistischen Predigers Fethullah Gülen. Wahrscheinlich ist, dass die türkische Regierung versucht, die Eile im Beitrittsprozess auszunutzen, um Zugeständnisse herauszuschlagen. Schweden und Finnland hatten beispielsweise als Reaktion auf den türkischen Einmarsch 2019 in Rojava Beschränkungen für Rüstungsexporte in die Türkei erlassen. Diese Beschränkungen aufzuweichen, könnte ein Ziel der türkischen Kampagne sein.