Antisemitismus im Ökumenischen Rat der Kirchen

Hass für die Welt

Der Ökumenische Rat der Kirchen will Ende August in Karlsruhe seine Vollversammlung abhalten. Der Umgang mit dem sogenannten Nahost-Konflikt soll ein wichtiges Thema sein, dabei wäre eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Antisemitismus wohl sinnvoller.

»Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt« – so lautet das Motto der elften Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), die vom 31. August bis zum 8. September in Karlsruhe stattfinden soll. Im ÖRK haben sich 352 orthodoxe, protestantische und anglikanische Kirchen sowie kirchliche Gemeinschaften zusammengeschlossen, die für sich in Anspruch nehmen, etwa 580 Millionen Christinnen und Christen weltweit zu vertreten.

Die Vollversammlung ist das höchste Entscheidungsgremium und wird in diesem Jahr von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Evangelischen Landeskirche in Baden und weiteren Kirchen gemeinsam ausgerichtet. Man erwartet rund 4 000 Gäste. Der DPA zufolge verlautbarte die Bischöfin der Badischen Landeskirche, Heike Springhart, dass der Umgang mit dem »Nahost-Konflikt« ein wichtiges Thema sein werde.

Vor dem Hintergrund der judenfeindlichen Tendenzen im ÖRK wirkt diese Ansage geradezu bedrohlich. Seit seiner Gründungsversammlung 1948 vertritt der ÖRK eine oberflächliche Ablehnung von Antisemitismus und ein bestenfalls gespaltenes Verhältnis zum Selbstbestimmungsrecht des jüdischen Volks; seit Jahrzehnten dämonisiert der ÖRK die Idee des Zionismus und unterstützt regelmäßig Boykottaufrufe gegen Is­rael. Im Gespräch mit der Jungle World sagt der Publizist Daniel Killy, der ÖRK sei »eine der wirkmächtigsten Stimmen des kirchlichen Antisemitismus«.

Der ÖRK hat die Entstehung des 2009 publizierten, aus palästinensischer Feder stammenden Kairos-Palästina-Dokuments und dessen Verbreitung finanziert. Der Text, dessen vollständiger Titel lautet: »Die Stunde der Wahrheit. Ein Wort des Glaubens und der Hoffnung aus der Mitte des Leidens der Palästinenser«, wurde in ausdrücklicher Anlehnung an das Kairos-Dokument benannt, einem Aufruf südafrikanischer Kirchen aus dem Jahr 1985 gegen das Apartheidregime in ihrem Land. Kairos ist ein griechischer Begriff, der in etwa »rechter Moment« bedeutet.

»Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine der wirkmächtigsten Stimmen des kirchlichen Anti­se­mi­tismus.« Daniel Killy, Publizist

Mit dem Kairos-Palästina-Dokument schien der »rechte Moment« gekommen, um Kirchen weltweit darauf festzulegen, antiisraelische Kampagnen zu unterstützen. Es ruft dazu auf, »sich für den Rückzug von Investitionen und für Boykottmaßnahmen der Wirtschaft und des Handels gegen alle von der ­Besatzung hergestellten Güter einzusetzen«. Welche Gebiete als besetzt gelten, bleibt unklar. Im Papier wird die missliche Situation der Palästinenserinnen beklagt, aber nicht kontextualisiert.

Im Gespräch mit der Jungle World sagt der Religionsexperte und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, besonders problematisch sei an dem Text dessen Theologie: »Es ist ein Beispiel von Überwindungs- und Substitutionstheologie, die man in den großen protestantischen und der katholischen Kirche nach der Shoah überwunden hatte.« Substitutionstheologie bedeutet, die Kirche an die Stelle des jüdischen Volks als Gottes Auserwählte zu setzen, denn die Juden seien seit Christi Tod verflucht. Das Papier bleibe darüber hinaus »gegenüber terroristischer Gewalt unklar«, so Beck. »Zudem wird nicht deutlich, ob das zu befreiende Gebiet nur Ramallah und Gaza oder auch Haifa, Tel Aviv und Be’er Sheva meint.«

Die politische Praxis des ÖRK ist das Ökumenische Begleitprogramm für Palästina und Israel (Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel, kurz: EAPPI), ein Freiwilligenprogramm, das unter anderem aus Spendengeldern für »Brot für die Welt« finanziert wird und junge Menschen, die zweifelhafterweise als Touristen ausgewiesen werden, nach Israel bringt, um belastendes Material über die israelische Politik in den Palästinensergebieten zu sammeln. Nach ihrer Rückkehr verbreiten sie in Kirchen und politischer Öffentlichkeit ein einseitiges und ausschließlich negatives Bild Israels.

Die Vizepräsidentin der NGO »NGO Monitor«, Olga Deutsch, verdeutlicht im Gespräch mit der Jungle World das Ausmaß der Judenfeindschaft beim ÖRK: »Wie Recherchen von NGO Monitor zeigten, haben EAPPI-Aktivisten Israel mit den Nazis verglichen.« 2017 habe der ÖRK die Mitgliedskirchen ermutigt, einen Brief zu lesen und weiterzuverbreiten, in dem das Vereinigte Königreich aufgefordert werde, sich für die »ungerechte und rechtswidrige« Balfour-Deklaration von 1917 zu entschuldigen, in der die britische Regierung ihr Einverständnis mit dem Ziel des Zionismus erklärte, in Palästina eine »nationale Heimstätte« des jüdischen Volks zu errichten. Nach Ansicht des ÖRK habe diese Erklärung den Weg geebnet für »das Konzept eines ethno-­religiösen Staats«, woran die Region heute leide, berichtet Deutsch.

»Die vermeintlich progressiven Pro-Ökumene-Kleriker wünschen sich«, sagt Killy, »ein Heiliges Land als christlichen Jurassic Park. Das Einzige, was bei der Etablierung solch weihevoller Gedankenspiele stört, ist der demo­kratische Staat Israel.«
Anfang Juli dämonisierte der geschäftsführende ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca den jüdischen Staat in einem offenen Brief an den US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden, in dem er unter anderem beklagte, dass die Enteignung und Vertreibung palästinen­sischer Familien und Gemeinden »immer stärker um sich greift«, ohne irgendwelche Belege für seine Vorwürfe zu liefern. Ähnliche Israel anprangernden Texte hat der ÖRK im vergangenen Jahr über ein Dutzend Mal veröffentlicht.

Im Juni wurde mit Jerry Pillay ein BDS-Hardliner zum zukünftigen Generalsekretär des ÖRK gewählt, das Amt soll er am 1. Januar 2023 antreten. 2016 hatte Pillay Israel und den angeblich »ausschließenden und gewalttätigen Charakter des israelischen zionistischen Projekts« mit dem südafrikanischen Apartheidregime verglichen.

Den israelbezogenen Antisemitismus des ÖRK zu konfrontieren, ist eine Mammutaufgabe, der sich die von Albrecht Lohrbächer initiierte Initiative gegen Judenfeindschaft im ÖRK angenommen hat. Man wolle, sagt Lohrbächer im Gespräch mit der Jungle World, die Vollversammlung dafür nutzen, die Öffentlichkeit für die gravierenden judenfeindlichen Aktivitäten des ÖRK zu sensibilisieren und die ihn tragenden deutschen Kirchen zu veranlassen, sich von Projekten abzuwenden, die den jüdischen Staat delegitimieren. Zumindest solle die »Widersprüchlichkeit kirchlichen Redens und Handelns wenigstens ansatzweise aufgedeckt werden«, so Lohrbächer, denn »sehr viele Spender und Mitglieder wissen nichts davon«.

ÖRK-Generalsekretär Sauca wies die Vorwürfe der Initiative im Mai scharf zurück und erklärte, der ÖRK habe seit seiner Gründung 1948 den Staat Israel immer unterstützt, ein Ende der Gewalt, die Ablehnung aller Formen des Antisemitismus, ein Ende der illegalen Siedlungen in den besetzten palästinen­sischen Gebieten und eine verhandelte Zweistaatenlösung für den dortigen Konflikt gefordert. Die evangelische Landesbischöfin Springhart sagte der DPA Ende Juli, dass Kritik an Israel möglich sein müsse und es eine große Herausforderung sei, »wie wir das in einer Form formulieren, die für jüdische Ohren hörbar ist, aber die Solidarität mit Palästinenserinnen und Palästinensern nicht aufgibt«.

Lohrbächer sagt, der Kampf gegen den Antisemitismus werde vom ÖRK zwar als eine zentrale Aufgabe benannt, die politische Linie des ÖRK werde aber heutzutage von »Kirchen aus der arabischen Welt sowie aus den Ländern der südlichen Halbkugel« bestimmt, die »theologisch weitgehend den europäischen Antijudaismus – Substitu­tionstheologie, Gottesmordvorwurf – übernommen« hätten.

Die Vollversammlung des ÖRK könnte also sogar den Antisemitismusskandal der Documenta fifteen in den Schatten stellen. Wie die Organisatoren der Documenta weist auch der ÖRK die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zurück. 2019 schrieb der ÖRK in einer »Reaktion auf anhaltende Anti­semitismusvorwürfe von ›NGO Monitor‹«, die Antisemitismusdefinition der IHRA sei »schwammig« und helfe »jenen Personen und Instanzen, die jede Art von Kritik an der Politik der israelischen Regierung als antisemitisch motiviert darstellen wollen«.

Die Vollversammlung des ÖRK beschäftigt auch den Beauftragten der baden-württembergischen Landesregierung gegen Antisemitismus, Michael Blume, der auf Anfrage der Jungle World mitteilt: »Ich habe auch im direkten Gespräch mit den Landeskirchen darauf hingewiesen, dass sich der israelbezogene Antisemitismus nicht durch Verschweigen besänftigen lässt.

Die gastgebenden Kirchen tragen eine Verantwortung, zumal auch diese ÖRK-Versammlung in Karlsruhe ganz rechtmäßig aus Steuermitteln unterstützt wird.« Konkret habe er unter anderem vorgeschlagen, »gemeinsame Veranstaltungen« mit ihm und den jüdischen Landesgemeinden auszurichten, »die nicht länger – wie noch bei der Documenta in Kassel – übergangen werden sollten. Das Reden und Beschließen in Kirchen und Kultur über die demokratisch gewählten, jüdischen und israe­lischen Vertretungen hinweg muss ein Ende haben.«