Russlands Strategie zielt auf ein Ende der westlichen Unterstützung für die Ukraine

Putins Leuchtfeuer

Die Ukraine ist von westlicher Hilfe abhängig, um sich im Krieg weiter behaupten zu können. Hier setzt die russische Strategie an.
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Der russische Präsident Wladimir Putin verbrennt Geld, allerdings nicht ganz freiwillig. Den Berechnungen des Analytik-Unternehmens Rystad Energy zufolge werden in Portowaja nahe der finnischen Grenze täglich 4,34 Millionen Kubikmeter Erdgas mit einem Marktwert von etwa zehn Millionen US-Dollar abgefackelt – dabei entstehen etwa 9 000 Tonnen CO2. In Portowaja gibt es eine Anlage zur Verarbeitung von Flüssiggas (LNG), in der Nähe liegt die Verdich­terstation für die Befüllung der nach Deutschland führenden Pipeline Nord Stream 1. Eine größere Hitzeentwicklung war im Juni registriert worden, als Russland erstmals die Gaseinleitung in die Pipeline wegen angeblicher technischer Probleme drosselte.

Russland gehört zu den weltweit führenden LNG-Exporteuren, doch die wichtigsten Terminals und Käufer (Japan und Südkorea) befinden sich im Fernen Osten. Kurzfristig lässt sich das überschüssige Gas also offenbar nicht vermarkten, und den Ausbau der LNG-Infrastruktur behindern Sanktionen, die unter anderem den deutschen Konzern Linde zum Rückzug aus dem lukrativen Geschäft zwangen.

Doch wie in den meisten anderen Bereichen der Wirtschaft werden die Sanktionen nur langfristig wirken. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert für dieses Jahr einen Rückgang der russischen Wirtschaftsleistung um sechs Prozent. Das ist eine Krise, unter der vor allem die von der hohen Inflation besonders betroffenen Armen leiden, aber kein Zusammenbruch. Der Kurs des Rubel hat sich stabilisiert und Russland verfügt noch immer über etwa die Hälfte seines Auslandsvermögens von 600 Milliarden US-Dollar.

Russland kann den Ukraine-Krieg ökonomisch weiter durchhalten. Militärische Erfolge, die hinreichend für eine halbwegs glaubwürdige russische Siegeserklärung wären, sind jedoch nicht zu erwarten. Allerdings dürfte es auch den ukrainischen Streitkräften schwerfallen, die russischen Invasoren zu vertreiben. Etwas mehr als ein halbes Jahr nach dem russischen Angriff ist der Konflikt weitgehend zu einem Stellungskrieg auf Artilleriereichweite geworden. Die Ukraine ist aufgrund westlicher Hilfe technologisch über­legen, Russland verfügt aber über die größere Feuerkraft und es ist unklar, ob etwa die höhere Treffgenauigkeit der von den USA gelieferten Himars-Raketenwerfer für erfolgreiche Offensiven ausreicht.

In Portowaja Geld zu verbrennen, ist daher für Putin möglicherweise durchaus sinnvoll. Russland könnte den Krieg noch gewinnen, wenn die westliche Unterstützung für die Ukraine endet. Um den wirtschaftlichen Einbruch in der Ukraine – die Prognosen für dieses Jahr liegen zwischen 30 und 45 Prozent – zu kompensieren, muss westliche Finanzhilfe fließen, auch der Bedarf an militärischem Nachschub ist immens. Der Abfluss der hier fälligen zweistelligen Milliardenbeträge ist für die Bevölkerung der westlichen Staaten nicht spürbar. Anders verhält es sich mit den steigenden Energiepreisen und der Inflation.

Preiserhöhungen sollen den Druck auf westliche Regierungen zur Aufhebung der Sanktionen erhöhen. Diese Strategie erscheint insbesondere im Hinblick auf Deutschland erfolgversprechend, da hierzulande die Zahl derer, die offen oder verklausuliert eine Kapitulation der Ukraine fordern, besonders hoch ist. Auch andere große EU-Staaten »haben im Juli keine nennenswerten Militär- oder Finanzhilfen angekündigt«, stellte der Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Mitte August fest. Entscheidend sind jedoch die USA, die allein für etwa drei Viertel der Ukraine-Hilfe aufkommen. Einer Umfrage zufolge, die Reuters und Ipsos Mitte August durchgeführt haben, befürworten 53 Prozent der US-Bevölkerung (66 Prozent der Demokraten und 51 Prozent der Republikaner) die Unterstützung der Ukraine bis zum Rückzug der russischen Truppen, doch zahlreiche Politiker der republikanischen Rechten agitieren gegen die Hilfsleistungen.

Putin muss keineswegs darauf hoffen, dass Massenaufstände westliche Regierungen zum Einlenken zwingen. Vielmehr steht, wenngleich in unterschiedlicher politischer Konstellation, in Deutschland und den USA eine durch bestimmte Kapitalfraktionen verstärkte Koalition der Willigen bereit, um im eigenen innenpolitischen Inter­esse jeglichen tatsächlichen oder vermeintlichen sozialen Protest zum Ausdruck des Volkswillens zu stilisieren, die Russland-Sanktionen aufzuheben und die Ukraine-Hilfe einzustellen.