Mit »Gott, Familie, Vaterland« wollen Giorgia Meloni und ihre Partei die Parlamentswahl in Italien gewinnen

Gott, Familie, Vaterland

Die Vorsitzende der rechtsextremen italienischen Partei Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni, versucht, ihre Popularität zu nutzen, um ihre Partei akzeptabel erscheinen zu lassen und den Faschismus zu verharmlosen.

Ein Zitat Giorgia Melonis kursiert seit drei Jahren als Meme in den sozialen Medien: »Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, eine Mutter, Italienerin, Christin.« Aus der Aufzählung, die die Vorsitzende der italienischen extrem rechten Partei Fratelli d’Italia (FdI, Brüder Italiens) im Herbst 2019 auf einer Kundgebung in Rom ihrer Anhängerschaft zurief, machten die beiden Mailänder DJs MEM & J einen kurzen Videoclip mit dem Titel »Io sono Giorgia« (Ich bin Giorgia). Dieser war als Parodie gemeint, wurde jedoch ein Propagandahit, der vor der am 25. September anstehenden Parlamentswahl wieder seine Wirkung entfaltet. Melonis Bekenntnis umschreibt die Grundpositionen ihrer Partei. Ihre Selbstbeschreibung steht für die Verteidigung der »tradi­tionellen Familie« gegen die »LGBTQ-­Lobby«, für den Schutz der nationalen Grenzen gegen eine vermeintlich unkontrollierte Immigration und für die Bewahrung »christlicher Wurzeln« gegen die »Islamisierung« Europas.

Jüngere Fratelli stehen in ihren Wahl­kreisen im Austausch mit militanten faschistischen Gruppen und organisieren das Gedenken
an Altfaschisten.

Die Neuauflage der erzkonservativen Losung »Gott, Vaterland und Familie« verspricht Erfolg. Umfragen weisen die Fratelli d’Italia seit Wochen mit circa 24 Prozent als stärkste Einzelpartei aus. Im Bündnis mit der von Matteo Salvini geführten Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia wird der extremen Rechten ein klarer Wahlsieg prognostiziert. Der Partito Democratico (PD) liegt zwar in den Umfragen mit den FdI fast gleichauf, kann aber nur auf die Unterstützung einer kleinen linksgrünen Fraktion aus Sinistra Italiana (SI) und Europa Verde zählen. Obwohl das Wahlgesetz Parteien begünstigt, die in einem Bündnis antreten, ist es nicht gelungen, eine größere Allianz aus linken und liberalen Kräften zu bilden, um in Anlehnung an die historische Widerstandsbewegung mit einer »republikanischen Einheitsfront« dem Bündnis der Rechtsextremen entgegenzutreten. Der Movimento 5 Stelle (M5S) und Azione/Italia viva, ein wirtschaftsliberales Bündnis der »Mitte«, treten als unabhängige Gruppierungen zur Wahl an.

Der Vorsitzende des PD, Enrico Letta, verfolgt dennoch die Strategie des Lagerwahlkampfs: Faschismus oder Demokratie. Sein Versuch einer antifaschistischen Mobilisierung wirkt hilflos. Die Plakatkampagne des PD bedient sich mit Suggestivfragen wie »Diskriminierung oder Rechtsschutz?« oder »­Unterbezahlung oder Mindestlohn?« populistischer Scheinalternativen. Der PD hat in neoliberaler Komplizenschaft mit der politischen Konkurrenz prekäre Arbeitsverhältnisse, repressive Migrationsgesetze und mangelnden Schutz vor Diskriminierung mitzuverantworten. Zum anderen werden nach Jahrzehnten der totalitarismustheoretischen Relativierung des historischen Faschismus und der Ba­nalisierung neofaschistischer Demons­trationen zu nostalgischer Folklore ­Meloni und ihre Kameraden nicht als ­faschistische Bedrohung wahrge­nommen.

In Interviews mit der Auslandspresse beteuert Meloni, der Faschismus sei für Italiens Rechte Geschichte; vor ihrer Anhängerschaft hält sie jedoch an der Symbolik und der Sprache der faschis­tischen Vergangenheit fest und deutet sie eine bewahrenswerte Tradition um. Symptomatisch ist hierfür, wie sie das Parteisymbol der Flamme rechtfertigt. Diese habe »nichts mit dem Faschismus zu tun«, man zeige sie »stolz« in Anerkennung der Entwicklung der »demokratischen Rechten« in Italien nach 1945. Die Flamme in den Nationalfarben führten ein Jahr nach Kriegsende die Gründer des Movimento Sociale Italiano (MSI) ein, die als Veteranen des faschis­tischen Regimes den Geist Mussolinis in der neugegründeten italienischen Republik lebendig halten wollten. Als sich der MSI Anfang der neunziger Jahre in Alleanza Nazionale (AN) umbenannte und den Faschismus als das »absolut Böse« verurteilte, loderte das Flämmchen im Parteisymbol weiter. Zugleich gründeten diejenigen, die der (neo)faschistischen Geschichte des MSI nicht abschwören wollten, eine Splitterpartei und nannten sie explizit Fiamma Tri­colore. An diese Tradition knüpften 2012 jene früheren AN-Abgeordneten an, die die 2009 von Silvio Berlusconi gegründete rechte Einheitspartei Popolo della Libertà (PdL) verließen, die Fratelli d’Italia gründeten und die MSI-Flamme in das neue Parteisymbol integrierten.

Die Wechselbeziehung zwischen parlamentarischen Rechten und militanten außerparlamentarischen Bewegungen prägt die Fratelli bis heute. Für das Parlament kandidieren neben altgedienten wirtschaftsliberalen und ultrakatholischen Männern, die schon in Berlusconis rechten Koalitionen wichtige Regierungsämter innehatten, jüngere Fratelli, die in ihren Wahlkreisen im Austausch mit neofaschistischen Gruppen stehen, gemeinsam rechte Kulturveranstaltungen organisieren und das Gedenken an Altfaschisten zelebrieren.

Meloni hat die Entwicklung der italienischen Rechten vom neofaschistischen MSI über die postfaschistische AN zu den Fratelli mitgestaltet: Anfang der neunziger Jahre trat sie der Jugendorganisation des neofaschistischen MSI bei, 2006 zog sie für die AN in die Abgeordnetenkammer ein, von 2008 bis 2011 war sie Jugendministerin, 2012 gehörte sie zur Gründungsgruppe der FdI, seit 2014 ist sie Vorsitzende der Partei und seit 2020 Präsidentin der Partei Europäische Konservative und Reformer (EKR). Wegen dieser Funktion und der Zugehörigkeit der FdI zur EKR-Fraktion des Europäischen Parlaments weist Meloni Etikettierungen wie »antieuropäisch« und »faschistisch« als anachronistisch zurück. Sie verstehe sich als »Patriotin« und bekenne sich mit den Fratelli zu europäisch-atlantischen Bündnissen, in denen die nationale Souveränität »respektiert« bleibe. In diesem Sinne stehen die FdI nicht nur in enger Verbindung zu ihren euro­päischen Fraktionspartnern, der polnischen nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und den spanischen Rechtsextremen von Vox, sondern auch zur ungarischen Regierungspartei Fidesz und dem franzö­sischen Rassemblement national, die beide schon Salvini als Modell für die souveränistische Ausrichtung der Lega dienten.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der europäischen Energiekrise werden die Rolle der Fratelli und der Lega im internationalen Netzwerk rechtsextremer Parteien unterschiedlich bewertet. Einige Kommentatoren mahnen zur Gelassenheit angesichts der internen Widersprüche in der Allianz der »Patrioten«. Die Sanktionspolitik gegen ­Russland ist auch im italienischen Wahlbündnis der Rechten umstritten: Während Meloni sie unterstützt, stellt Salvini sie offen in Frage. Uneinig sind die beiden sich auch in der Frage der Haushaltsdisziplin: Salvini fordert eine ­höhere Neuverschuldung, Meloni lehnt sie ab. Will die neue Regierung die dringend benötigten Hilfszahlungen aus dem zur Bewältigung der Pandemiefolgen eingerichteten Europäischen Wiederaufbaufonds nicht aufs Spiel setzen, wird sie genötigt sein, den von der Vorgängerregierung unter Mario Draghi ausgehandelten Reform- und Konsolidierungsplan einzuhalten.

Vor allem Verfassungsrechtler warnen hingegen davor, sich darauf zu verlassen, im Zuge der Krise die Rechts­extremen im europäischen Rahmen einhegen zu können. Melonis Propagandahit müsse als Ankündigung einer illiberalen, antipluralistischen und ­rassistischen Innen- und Sozialpolitik ernst genommen werden. Sollte es dem rechten Bündnis gelingen, in beiden Parlamentskammern eine Zweidrittelmehrheit zu erringen, könnten in der Verfassung festgeschriebene Freiheitsrechte eingeschränkt oder abgeschafft und umfassendere »Reformen« verabschiedet werden, die die Unabhängigkeit der Justiz und die Bedeutung des Parlaments zugunsten eines autoritären Präsidialsystems in Frage stellen.