Small Talk mit Sergej Kriwenko über die Konsequenzen der russischen Teilmobilmachung

»Ein Stempel im Militärausweis«

Der russische Präsident Wladimir Putin dekretierte wegen des Ukraine-­Kriegs eine Teilmobilmachung. Über die Konsequenzen sprach die Jungle World mit dem Direktor der Menschenrechtsorganisation »Bürger. Armee. Recht«, Sergej Kriwenko, der seit vielen Jahren russische Kriegsdienstverweigerer berät.
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Wer kann nun einberufen werden?

Im Prinzip können die Wehrersatzämter alle einberufen, die zur Reserve zählen. Darunter fallen alle im Alter bis zu 50 Jahren, die einen Wehrdienst abgeleistet haben. Bei Unteroffizieren reicht die Altersgrenze bis 60, bei höheren Rängen bis 65 Jahre.
In den Nachrichten war auch die Rede davon, dass Männer ohne militärische Grundausbildung eingezogen wurden, deren Alter weit über 50 Jahren lag.

Vom Gesetz ist das nicht gedeckt. Überhaupt handelt es sich bei der Mobilisierung nur um ein Rahmengesetz, das weitaus weniger detailliert ausfällt als das Gesetz zur Regelung des regulären Wehrdienstes. Aber »Reserve« ist ein juristisch eindeutiger Begriff.

Das Verteidigungsministerium hat verlautbart, dass bei einem Nichterscheinen im Wehrersatzamt nach einer schriftlichen Vorladung nur eine Geldstrafe droht. Stimmt das?

Zumindest bei einem erstmaligen Nichterscheinen sind keine strafrechtlichen Konsequenzen vorgesehen, lediglich eine Geldbuße in Höhe von bis zu 50 Euro.

Was passiert, wenn man die erste Vorladung ignoriert?

Dann kann eine erneute Vorladung erfolgen. Mehrmaliges Nichterscheinen kann als Verweigerung des Wehrdienstes interpretiert werden, was strafrechtlich mit einer Höchststrafe von zwei Jahren Freiheitsentzug geahndet werden kann. Aber es ist völlig unklar, ab welchem Moment eine Strafverfolgung droht.

Welchen Rechtsstatus haben Rekrutierte?

Im Präsidentendekret steht, dass die Mobilisierten den Status von Zeitsoldaten erhalten. Der gilt ab dem positiven Tauglichkeits­befund. Ein Vertrag muss dafür nicht unterschrieben werden, es reicht ein Stempel im Militärausweis. Von diesem Moment an sind sie Teil der Armee und für sie gelten die kürzlich verschärften drakonischen Strafen für unerlaubtes Entfernen von der Truppe. Hinzu kommt, dass es keine Möglichkeit gibt, den Militärdienst zu quittieren, solange die Mobilisierung nicht beendet ist.

Im Oktober beginnt außerdem – wie jedes Jahr im Herbst – die Einberufung zum einjährigen Wehrdienst. Gesetzlich können Soldaten auch im Rahmen der regulären Wehrpflicht bereits nach einer viermonatigen Grundausbildung in einen Kampfeinsatz entsendet werden, aber das sorgt für öffentlichen Unmut und findet deshalb kaum Anwendung.

Was raten Sie denen, die sich der Mobilisierung entziehen wollen?

Vorladungen zum Wehrersatzamt ignorieren und sich dort nicht melden. Als Zivilist kann man sich noch mit rechtlichen Mitteln schützen, als Armeeangehöriger ist das fast unmöglich.