13.10.2022
Small Talk mit Patrick Dörr über den verbesserten Schutz von LGBTIQ-Geflüchteten

»Unser Hauptanliegen wurde umgesetzt«

Mit einer neuen Dienstanweisung zur sogenannten Verhaltensprognose will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Schutz von geflüchteten LGBTIQ-Menschen verbessern. Die Jungle World sprach mit Patrick Dörr, Mitglied von Queer Refugees Deutschland, einem Projekt des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD).

Was bedeutete die Verhaltensprognose bisher für LGBTIQ-Geflüchtete?

Die Verhaltensprognose war ein zentrales Element bei der Bewertung, ob die offen oder nicht offen ausgelebte sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität eines Menschen ein Abschiebungshindernis darstellt oder nicht. Wenn beispielsweise ein schwuler Mann aus dem Irak geflüchtet war und man ihm zumutete, ein diskretes Leben im Herkunftsland zu führen, dann durfte dieser Mann bislang abgeschoben werden. Das soll künftig nicht mehr ­möglich sein.

Wie bewerten Sie den Schritt des Bamf?

Ich bin damit sehr zufrieden. Die in der Dienstanweisung getroffenen Aussagen finden wir gut. Unser Hauptanliegen, die Verhaltensprognose abzuschaffen, wurde umgesetzt.

Gehen Sie davon aus, dass die Dienstanweisung an der gängigen Praxis zügig etwas ändern wird?

Das lässt sich derzeit noch nicht sagen. Wir sind ­guter Hoffnung, dennoch sehen wir die Gefahr, dass Geflüchtete aus anderen Gründen abgeschoben ­werden könnten. Wir verlangen in jedem Fall, dass die Länderliste der Verfolgerstaaten entsprechend ­angepasst werden. Dabei sollte eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie gefährlich es in einzelnen Staaten ist, offen homosexuell zu leben.

Das Bamf hat den Anspruch, Entscheiderinnen und Entscheider zu schulen und zu sensibilisieren. Ist diese Praxis ausreichend?

Man muss positiv hervorheben, dass das Bamf bereits jetzt sogar erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verpflichtet, an regelmäßigen Schulungen teilzunehmen. Es werden auch die sogenannten Sonderbeauftragten geschult, die für Anhörungs­verfahren bei besonders schutzbedürftigen Gruppen wie LGBTIQ-Menschen eingesetzt werden. Ganz gezielte Schulungen mit Blick auf diese Menschen sind an dieser Stelle wichtig. Es geht auch darum, sich in Betroffene hineinversetzen zu können. Dabei müssen unter anderem Fragen beantwortet werden, beispielsweise: Wie schlimm wäre es, als lesbische Frau im etwaigen Herkunftsland zu leben? Wenn jemand geoutet würde, welches Maß an Gewalt und Diskriminierung wären in den einzelnen Verfolgerstaaten zu fürchten? Letztlich zeigt sich hier aber auch der politische Wille, LGBTIQ-Geflüchtete wirklich schützen zu wollen.

Geht es um die Sicherheit von Geflüchteten, muss nicht nur diskutiert werden, wie diese Menschen vor Abschiebung geschützt werden können, sondern auch, wie sie hierzulande untergebracht werden. Was müsste sich außer der Dienstanweisung dahingehend ändern?

Zunächst wird die Unterbringung von Geflüchteten nicht vom Bund geregelt, sondern ist Aufgabe der Länder. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag dennoch festgehalten, die Unterbringung von Geflüchteten verbessern zu wollen. Wir fordern mehr spezialisierte Unterkünfte für LGBTIQ-Geflüch­tete, also mindestens eine pro Bundesland, und eine bessere Identifizierung von besonders schutzwür­digen Geflüchteten.