Die Bundesregierung hat Kinder und Erwachsene, die dem »Islamischen Staat« angehörten, zurückgeholt

Knast statt Kalifat

Die Bundesregierung hat in einer vorerst letzten Rückholaktion vier deutsche IS-Anhängerinnen, ihre Kinder sowie einen jungen Mann zurück nach Deutschland gebracht – sie befanden sich bislang in kurdischer Haft. Den erwachsenen Rückkehrern droht eine Verurteilung.

Auf die einen wartet die Freiheit, auf die anderen eine Verurteilung. Sieben Kinder sind in der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober aus dem Lager Roj in Nordostsyrien nach Deutschland gebracht worden. Neben den Kindern befanden sich auch vier erwachsene Frauen und ein 20jähriger in der Maschine, die vorvergangene Woche in Frankfurt am Main landete. Gegen die Frauen und den jungen Mann ermittelt bereits unter anderem die Bundesanwaltschaft wegen zahlreicher Delikte im Bereich des Terrorismus. Alle fünf Erwachsenen wurden direkt am Flughafen festgenommen.

Insgesamt sechs solcher Rückhol­aktionen hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben seit August 2019 veranlasst und damit insgesamt 76 Kinder, 26 Frauen und einen jungen Mann nach Deutschland zurückgeholt, die zuvor in von der Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) kontrollierten Gebieten gelebt hatten und zuletzt in kurdischen Flüchtlings- und Gefangenencamps untergebracht waren.

Dem Verfassungsschutz zufolge befindet sich noch eine Zahl im »unteren dreistelligen Bereich« von deutschen IS-Kämpfern in Syrien und im Irak in Haft oder Gewahrsam.

Bislang hat sich die Bundesregierung vor allem darum bemüht, Kinder und deren Mütter zurückzuholen, die über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Dieses Ziel betrachtet sie als mit der jüngsten Rückholaktion weitgehend erreicht. Bis auf einen weiteren Fall seien alle Kinder zurückgebracht worden, deren Mütter ihre Zustimmung zur Rückkehr erteilt haben. Diese ist dem Auswärtigem Amt zufolge notwendig, um die Kinder nach Deutschland bringen zu können. In weiteren Fällen wünschten die Mütter der Bundes­behörde zufolge keine Rückholung.

Wie jedoch soll man mit denen verfahren, die jahrelang unter dem Einfluss des IS gestanden haben und nun nach Deutschland zurückkehren? Noch drängender würde diese Frage, wenn sich die Bundesregierung endlich dazu durchringen sollte, auch die verbleibenden inhaftierten Kämpfer des IS zurück nach Deutschland zu holen. Wie viele das sind, lässt sich aus öffentlich zugänglichen Quellen nur annäherungsweise rekonstruieren. Dem Verfassungsschutzbericht 2021 zufolge befindet sich noch eine Personenzahl im »unteren dreistelligen Bereich« in Syrien und im Irak in Haft oder Gewahrsam. Dem Inlandsgeheimdienst zufolge waren seit 2011 über 1 150 Menschen aus Deutschland in den Irak und nach Syrien aufgebrochen, um sich dem IS anzuschließen; mindestens 270 von ihnen könnten vor Ort gestorben sein.

Was die nach Syrien und in den Irak verschleppten Kinder angeht, sind die Ziele klar. Diese haben oft einen großen Teil oder gar ihr ganzes Leben unter traumatisierenden Bedingungen im Gebiet des IS und in kurdischen Gefangenenlagern verbracht. Entsprechend stehen die Bewältigung des Erlebten sowie die psychologische und pädagogische Betreuung im Vordergrund. Dar­über hinaus muss der jahrelangen Indoktrination durch den IS entgegengewirkt werden. Bei den erwachsenen Zurückgekehrten handelt es sich dagegen meist um Personen, die sich willentlich dem IS angeschlossen haben. Viele von ihnen werden sich vor Gericht verantworten müssen, nur wenige sind bisher verurteilt worden. Schätzungsweise ist bisher eine mittlere zweistellige Zahl von Rückkehrerinnen und Rückkehrern rechtskräftig verurteilt worden.

Häufig geht es dabei um die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroris­tischen Vereinigung. Darüber hinaus spielen die vor Ort begangenen Straf­taten eine Rolle. Im Fokus stehen vor allem Tötungsdelikte, Kriegsverbrechen und andere Gewalttaten, aber auch Verstöße gegen das Waffenrecht. Auch die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Straftaten – ein nicht unumstrittener Tatbestand – könnte je nach Sachlage zur Anwendung kommen. Die juristische Aufarbeitung ist jedoch schwierig, denn Zeuginnen und Zeugen zu vernehmen und Beweise auszuwerten, ist aufgrund fehlender Rechtshilfe und unsicherer Bedingungen in Syrien und im Irak oft kaum möglich.

Jenseits der strafrechtlichen Verfolgung spielt auch die sogenannte Deradikalisierung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern eine entscheidende Rolle bei staatlichen Maßnahmen. Hierzu wurden mit Unterstützung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ­eigene Stellen in bislang sieben Bundesländern geschaffen. Diese sollen zwischen staatlichen Institutionen, wie Schulen, Arbeitsagenturen, aber auch Ordnungsbehörden, und zivilgesellschaftlichen Initiativen, wie Beratungsstellen und Vereinen, vermitteln. So soll es möglich werden, in den verschiedenen Fällen individuell angemessen vorzugehen. Während manche der Zurückgekehrten noch immer ideologisch gefestigt sind, sind andere desillusioniert oder haben psychische und physische Schäden davongetragen. Auch hier gibt es selbstverständlich große Unterschiede zwischen denen, die als Erwachsene ins IS-Gebiet gereist sind, und denen, die von ihren Eltern dorthin mitgenommen wurden oder dort erst auf die Welt kamen.

Nicht immer gelingt es, dass sich die Rückkehrerinnen und Rückkehrer von der Ideologie des IS lösen. Deshalb sind auch das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter und das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern in die Deradikalisierung eingebunden. Diese sollen im Blick behalten, welches Risiko von den Rückkehrerinnen und Rückkehrern ausgeht.

Sicher ist, dass die Deradikalisierung nicht einfacher wird, je länger die Betroffenen in den Camps der kurdischen Selbstverwaltung inhaftiert bleiben, da sie dort immer noch dem Einfluss des IS ausgesetzt sind. Dieser hat sich die prekären Bedingungen vor Ort zunutze gemacht und vielerorts durch eine Mischung aus Terror und Indoktrination die Vorherrschaft in den Lagern ­erlangt. Nicht ohne Grund bittet die kurdische Selbstverwaltung die Bundesregierung regelmäßig, die verbleibenden deutschen Gefangenen zurückzuholen und selbst die Verantwortung für sie zu übernehmen.