Das Wiederaufleben antiamerikanischer Ressentiments

Zombies in der Zeitschleife

Derzeit erlebt der Antiamerikanismus eine kleine Renais­sance, mit all seinen hässlichen Ressentiments. Ein prominentes Beispiel ist der Soziologe Wolfgang Streeck.
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Ein beliebtes Missverständnis besagt, der Antiamerikanismus bestünde in übertriebener oder einseitiger Fixierung auf die negativen Aspekte der US-amerikanischen Gesellschaft. Aber was an den USA zum Ressentiment reizt, ist nicht deren Gewalttätigkeit, sondern das, was über die Gewalt hinausweist: die Largesse, nicht das Blut, womit diese erkauft ist. Mit einem tumben Schutzgelderpresser an der Spitze können die Amerikahasser gut leben (zumal wenn er sich ständig selbst ins Knie schießt); nicht leben können sie mit dem Verdacht, dass die USA an Reichtum und Glanz, an Kultur und Glücksversprechen mühelos alles übertreffen, was das »Land der Dichter und Denker« hervorzubringen vermag.

Mit der Abwahl Donald Trumps meldete sich daher auch der Antiamerikanismus in der Öffentlichkeit zurück. Wirklich glorreich macht er sich dort freilich nicht. Vor 40 Jahren, bei den großen Friedensdemonstrationen, zelebrierten noch Hunderttausende die Wiedergeburt der Nation im Friedenskampf gegen die Supermächte. Heute singt Dieter Dehm, der Rex Gildo der Linkspartei, seinen neuen Schunkelschlager »Ami Go Home« vor gerade einmal ein paar hundert verbissen mitwippenden Ü50-Demonstranten (Kostprobe: »Zwar wurd’ hier viel Scheiß auch gebaut / Aber heut’ singen wir souverän«). Und auch die anderen bekannten Wortführer wirken doch eher abgehalftert – von Oskar Lafontaine mit seinem gerade neu erschienenen Buch »Ami, it’s time to go« bis Jürgen Elsässer, der für diesen Samstag zur »Ami Go Home«-Demonstration nach Leipzig aufruft.

Das könnte hoffnungsfroh stimmen – wüsste man nicht, dass Zombies im Spätkapitalismus Hochkonjunktur haben. Ein Fingerzeig ist da der Werdegang des Soziologen Wolfgang Streeck. Der emeritierte Leiter des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftswissenschaften, der einst als Berater des Bundeskanzlers Gerhard Schröder die »Agenda 2010« vorzubereiten half, machte sich später mit »Gekaufte Zeit« (2013) einen Namen als Kritiker des Neolibera­lismus. Im November dieses Jahres nun erschien auf dem Blog der altehrwürdigen New Left Review sein Essay »Getting Closer« (die deutsche Fassung findet sich in dem vergleichsweise obskuren Makroskop, das sich als »das einzige Magazin für Wirtschaftspolitik aus einer keynesianischen Perspektive« bezeichnet und ansonsten gerne Elon Musks gegen den »woken Kapitalismus« verteidigt).

Streeck wartet darin nicht nur mit den üblichen dumpflinken Gewissheiten über den Ukraine-Krieg auf, welcher natürlich nur geführt werde, weil die Ukrainer partout die Krim zurückerobern und die Amis ihr Flüssiggas verkaufen wollen. Er versammelt noch jedes abgestandene reaktionäre Klischee. Statt, wie es der Amtseid verlange, »Schaden vom deutschen Volk abzuwenden«, mache sich die Bundesregierung freiwillig zu einer »transatlantischen Kolonie der Großen Amerikanischen Kriegsmaschinerie«, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was dem Land drohe, wenn erst die Amis in der Ukraine eine Atombombe zünden.

Der besondere Zorn des Autors gilt dabei den Grünen (ganz besonders natürlich Außenministerin Annalena Baerbock), welche Deutschland »ohnehin nicht besonders bewahrenswert« fänden: Aufgewachsen unter dem Einfluss »amerikanischer soft power«, von der Popmusik bis zur Mode, sei bei ihnen »der Nationalismus anathema«, an dessen Stelle der »Kosmopolitismus« trete. Wer aber als Dissident gegen diese wurzellosen Gesellen aufzubegehren wagt, werde einerseits, was auch sonst, mundtot gemacht, andererseits aber, schlimmer noch, in Talkshows geladen, wo eine »Armada« von »Neokriegern« auf einen warte. Gulag »Anne Will«: Sind wir schon wieder so weit?

Das ist natürlich alles einigermaßen bräsig. Aber wer weiß: Sollte wirklich der Keynesianismus, worauf manches hindeutet, in der nächsten Krise seine Renaissance erfahren, so wird er auch auf seine ideologischen Legitimationsressourcen zurückgreifen wollen; und Streeck ist nun einmal nicht umsonst hierzulande einer seiner namhaftesten Fürsprecher. Die Rückkehr der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik klingt sympathisch, solange man übersieht, dass sie ohne Nostalgie für die Goldenen Nachkriegsjahrzehnte nicht zu haben ist – für jene Zeit also, in der man noch ungestraft über die »chewing gum kauenden Yankees« mit ihrer »Negermusik« zetern durfte.