Der Abhörskandal in Griechenland weitet sich aus

Griechenland sucht seine Abhöropfer

Der griechische Abhörskandal weitet sich aus, der Druck auf Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis steigt. Recherchen einer ­griechischen Wochenzeitung zufolge sind auch hochrangige Armeeangehörige abgehört worden.

Predator hat wieder zugeschlagen. Nachdem bereits Ende Juli öffentlich geworden war, dass der griechische ­Geheimdienst EYP griechische Politi­ker:innen, Beschäftigte aus der Verwaltung und Journalist:innen abgehört hatte, veröffentlichte die Wochenzeitung Documento Ende November eine Liste von 33 Personen, der zufolge auch ranghohe Mitglieder der Armeeführung betroffen seien. Bei den Abhöraktionen wurde die illegale Spionagesoftware Predator des griechischen Unternehmens Intellexa verwendet. ­Unter den Abgehörten sollen sich der Stabschef der griechischen Verteidigungskräfte, Konstantinos Floros, und der Generalstabschef der griechischen Armee, Charalampos Lalousis, befinden. Zuvor hatte Documento berichtet, dass auch einflussreiche Mitglieder der rechtskonservativen Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) abgehört wurden, die als potentielle Konkurrenten von Ministerpräsident und ND-Vorsitzendem Kyriakos Mitsotakis galten.

Diese Abhörpraxis wurde Ende vergangenen Jahres zum Skandal, als die linke Zeitung Efimerida ton Syntakton (Efsyn) einen Bericht über irreguläre Abhör- und Überwachungsaktionen des EYP veröffentlichte, in dem sich der Journalist Stavros Malichudis wiedererkannte. Der Regierungssprecher Ioannis Ikonomou kommentierte damals, dass der Geheimdienst sich mit den »Gefährdungen der Sicherheit der Bürger und des normalen sozialen Lebens« befasse. »Gründe der nationalen Sicherheit« – so lautet die übliche Begründung, mit der ohne weiteres Verfahren bisher ein:e Staatsanwält:in die Überwachung von Bürger:innen anordnen dürfen; künftig muss die Anordnung von zwei Staatsanwält:innen kommen. Im vergangenen Jahr betraf dies der griechischen Behörde für Kommunikations­sicherheit und Datenschutz (ADAE) zufolge 15 475 Personen. Auch Malichudis’ Kollege Thanasis Koukakis fand es selbst heraus, dass auch er überwacht wurde. Jedoch kennt er, wie viele an­dere Abgehörte auch, den Grund dafür nicht. Koukakis ermittelte für eine ­Finanzreportage die verschlungenen Wege der Geldwäsche durch griechische Banken.

Die Regierung soll aus einem bisher geheimen Fonds sieben Millionen Euro für die Spionagesoftware Predator und 150 000 Euro pro Monat und pro zehn Abgehörte gezahlt haben.

Die griechische Regierung hat ein Gesetz erlassen, das es verbietet, unschuldig Abgehörten den Grund für die Maßnahme mitzuteilen. Unter dem Druck des Skandals möchte sie dieses Gesetz nun novellieren: Künftig könnten dann jene, die herausgefunden haben, dass sie abgehört wurden, nach drei Jahren Informationen darüber beantragen, der Antrag könnte allerdings von einem Richter abgelehnt werden, sofern Gründe nationalen Interesses vorliegen. Rückwirkend, also für die bereits Abgehörten, solle diese Reform jedoch nicht gelten. Auch im Parlament und in den Ausschüssen gibt es keine Aufklärung über die Tätigkeit des Geheimdiensts. Sämtliche verantwortlichen Politiker, die Staatsanwältin und Regierungsbeamte be­rufen sich auf eine Geheimhaltungspflicht, die nur die Regierung aufheben könne.

Koukakis hatte ebenso wie Nikos Androulakis, Europaabgeordneter und Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei Pasok, nachweisen können, dass er zusätzlich zur konventionellen Überwachung durch die EYP die Spyware Predator auf seinem Smartphone hatte. Mit Predator kann ein Mobiltelefon vollständig überwacht und über die Kamera und das Mikrophon selbst zur Spionage eingesetzt werden. Koukakis ließ sein Smartphone auf eigene Ini­tiative überprüfen, das von Androulakis hatten EU-Behörden ausgewertet – Androulakis hat inzwischen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen. Auf den in Griechenland kursierenden Listen von Abhör­opfern finden sich auch Personen wie Alexis Papahelas, der Chefredakteur der wichtigsten konservativen Tageszeitung, Kathimerini; Antonis Delatolas, der Herausgeber der linksliberalen Wochenzeitung To Pontiki; sowie Giannis Kourtakis, der Herausgeber der bislang regierungsfreundlichen Wochenzeitung Parapolitika.

Die Regierung bestritt vehement, ­etwas mit den Abhöraktionen zu tun zu haben. Ihr zufolge haben staatliche Stellen Predator weder gekauft noch angemietet oder auf andere Art genutzt. Dass Abhöropfer der EYP auch auf den Predator-Listen stünden, stellte sie als Zufall dar. Allerdings gab es keine Ermittlungen gegen die Unternehmen, die 2019 nach einer bis heute nicht aufgeklärten Abhöraffäre von Zypern nach Griechenland zogen, um von dort aus Predator zu vertreiben.

Der ebenfalls überwachte Investi­gativjournalist Tasos Telloglou und seine Kollegin Elisa Triantafyllou fanden indes Hinweise, dass die Regierung aus einem bisher geheimen Fonds sieben Millionen Euro für Predator und zusätzlich 150 000 Euro pro Monat und pro zehn Abhörziele an Intellexa zahlte. Die Software gelangte über gefälschte Websites auf die Telefone. Die Opfer erhielten eine SMS mit gefälschten Absenderdaten (»Spoofing«), die einen Link zu einem Artikel enthielt, hinter dem sich dann die Software auf dem Telefon installierte. Die bei den bekannten Opfern eingesetzten gefälschten Websites basieren überwiegend auf Kopien griechischer Nachrichtenseiten, aber auch von Youtube-Videos.

Dies alles haben investigative Journalist:innen wie Telloglou oder Koukakis aufgedeckt, dafür droht ­ihnen juristischer Ärger: Das Journalistenkollektiv Reporters United, die Zeitung Efsyn, Koukakis, Nikolas Leontopoulos und Thodoris Chondrogiannis müssen sich gegen eine Klage des früheren Generalsekretärs des Büros des Ministerpräsidenten, Grigoris Dimitriadis, auf Verleumdung, wehren. Dieser, ein Neffe von Mitsotakis, musste wegen des Abhörskandals zurück­treten und hat sie unter anderem auf insgesamt 400 000 Euro Schadens­ersatz und die Entfernung der entsprechenden Artikel von den Websites ­verklagt.