Der Künstler Lu Yang kreiert Avatare

Virtuelle Unsterblichkeit

In Berlin zeigt der Künstler Yu Lang eine Ausstellung, in deren Multimediaarbeiten immer wieder Avatare von ihm selbst auftauchen. Diese künstlichen Alter Egos sind derzeit nicht nur in der bildenden Kunst sehr beliebt.

Dass internationale Banken Kunst sammeln und ihr Image durch den Erwerb der Werke namhafter Künstlerinnen und Künstler pflegen, ist keine Neuigkeit. Auch nicht, dass Kunst für Bankhäuser als Vorsorge für schlechte Zeiten dienen kann. So wohnt der Kunst an den Wänden der Büros und Eingangshallen großer Bankhäuser neben der repräsentativen Funktion auch eine ganz pragmatische inne – wenn etwas für die Sammlung angekauft wird, muss es prestigeträchtig sein und sich im Notfall wieder zu Geld machen lassen.

Bei Lu Yang hallen posthumanistische Debatten nach, die Arbeiten behandeln in aktualisierter Form das Bewusstsein der eigenen Existenz

Die Deutsche Bank betreibt seit den achtziger Jahren eine firmeninterne Kunstsammlung mit Schwerpunkt auf Papierarbeiten und Fotografie nach 1945. Die umfangreiche Sammlung dient nicht nur zur Befriedigung ästhetischer Bedürfnisse der Angestellten – auch die Öffentlichkeit soll sich an den Werken erfreuen dürfen. Bis 2020 sahen sich Kunden im Foyer der Filiale in der New Yorker Wall Street dem bunten Triptychon »Faust« von Gerhard Richter gegenüber. Dann wurde es für einen Millionenbetrag versteigert. Die Leitung der Unternehmenssammlung hat mitgeteilt, sie trenne sich von Werken, die nicht mehr ins Konzept passen. Ob das sieben Meter große Kunstwerk aus der Lobby nicht doch eher weichen musste, um den Firmenetat aufzubessern, darüber kann nur gemutmaßt werden.

Sicher ist aber, dass mit dem Preis »Artist of the Year«, der seit 2010 von der Deutschen Bank verliehen wird, eher junge Künstlerinnen und Künstler geehrt werden, keine bekannten Größen wie Gerhard Richter. Auch der Preis des Jahres 2022 zeigt das: Den erhielt der aus Shanghai stammende Lu Yang, ein international nachgefragter chinesischer Künstler, der sich virtuellen Welten verschrieben hat. Damit erweitert die Unternehmenssammlung tatsächlich ihr Konzept, denn die Konservierung digitaler Kunst erfordert andere Archivbedingungen als die klassischen Werke.

Mit dem jährlich von einer internationalen Jury vergebenen Kunstpreis der Deutschen Bank sollen Künstler gefördert werden, die aktuelle gesellschaftliche Debatten aufgreifen. Eine Präsentation von Arbeiten geht mit der Auszeichnung einher. An Aktualität ist die Ausstellung Yangs, die derzeit in bester Berliner Zentrumslage im 2018 von der Deutschen Bank eröffneten Palais Populaire gezeigt wird, wahrlich schwer zu übertreffen. In seinen multimedialen Installationen greift der nichtbinärgeschlechtliche Künstler, der für sich das männliche Pronomen wählt, Themen wie hinduistische und buddhistische Kosmologie, den Posthumanismus, verschiedene Musikgenres und Tanzstile, Manga und zu guter Letzt Anime auf und vereint ­diese in der Kunstfigur Doku, einem geschlechtsneutralen Avatar, der in unterschiedlichen Formaten und in unterschiedlichen Verkörperungen auftritt.

Richters abstrakte Bilder haben also ausgedient, nun präsentiert die Deutsche Bank digitale Körperkunst. Ob sie damit dem Diversitätsgedanken Rechnung tragen will oder doch queerbaiting betreibt, soll hier nicht zur Debatte stehen. Nicht up to date zu sein, kann man der Deutschen Bank angesichts der noch bis Mitte Februar laufenden Ausstellung »Lu Yang: Doku Experience Center« wahrlich nicht nachsagen. Hier wird durch den Einsatz von hypermoderner Technologie ein experimenteller Raum geschaffen, in dem neue Körpermodelle thematisiert werden.

Spätestens seit den neunziger Jahren wird die Auflösung des Menschen durch das Digitale diagnostiziert und von manchen geradezu herbeigesehnt. Bei Lu Yang hallen diese posthumanistischen Debatten nach, die Arbeiten behandeln in aktualisierter Form das Bewusstsein der eigenen Existenz, Körper und Geschlecht und die Überwindung von Identität in digitalen Sphären. Auf einer großen Leinwand läuft als eines der Hauptwerke der Ausstellung der Film »Doku the Self«, der zum ersten Mal 2022 auf der Biennale in Venedig gezeigt wurde.

Als Ausstellungsbesucher sollte man besser nicht unter Flugangst leiden, der Film basiert nämlich auf ­einer turbulenten Flugreise, die Yang 2020 in China er- und überlebte. In dem animierten Film sieht man ein Flugzeug, dass durch einen Sturm zu navigieren versucht. Darin sitzt der Protagonist des Films, die digitale Reinkarnation des Künstlers mit dem Namen Doku Human, und schaut sich auf seinem Sitzbildschirm Videos von Naturkatastrophen an, während das Flugzeug wackelt und rumpelt. Eine Stimme aus dem Off philosophiert derweil über den Sinn des Lebens beziehungsweise über die Frage, wie das Selbst – also das Bewusstsein des eigenen In-der-Welt-Seins – produziert wird.

Ist ein Traum nicht genauso real wie die Wirklichkeit? Als Antwort erhält der Zuschauer eine Absage an die Realität des Körpers. Die digitale Replikation wird im Laufe des Films ausgelöscht, Stück für Stück wird der Körper aufgelöst, bis am Ende nur noch das Gehirn mit seinen Nervensträngen zurückbleibt. Und selbst das zersplittert in winzige Einzelteile. Mit dem Satz »Stop creating illusions« endet der Film, der vermutlich auf die buddhistische Vorstellung verweist, dass nichts real und ein Festhalten am eigenen Ego daher unnütz sei.

Dass die buddhistische Ideenwelt Lu Yangs Arbeit bestimmt, zeigen auch die insgesamt sechs verschiedenen Avatare, die nicht nur im Film auftreten, sondern auch mal zusammen als Band in einem Musikvideo auftauchen, welches ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. Die Ava­tare verkörpern jeweils eine der sechs Wiedergeburten des karmischen Lebensrads, auch als Samsara bekannt, das den Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt darstellt. Auch im mitunter dystopisch anmutenden Film wird immer wieder das Thema Wiedergeburt zur Sprache gebracht. Ein digitales Double Yangs trägt einen Pullover mit der Aufschrift »To be willing to die over and over again«. Das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit soll vielleicht die Angst vor dem Tod, vor einer Naturkatastrophe oder einem Unfall wie einem Flugzeugabsturz nehmen. Es sind große, dichte Reflexionen, die Yang in seinem digitalen, philosophischen Filmessay zusammenführt.

Während sich Yang noch an der Illusion des Selbst abarbeitet und Körper und Geist (so scheint es) am liebsten verlassen will, sieht es so aus, als produzierten andere ihr digitales Abbild als Garant für ihre virtuelle Unsterblichkeit, um so vielleicht die narzisstische Kränkung des eigenen Verfallsdatums zu verarbeiten. So treten Avatare nicht nur in der zeitgenössischen Kunst auf, zuletzt haben die »Abbatare« der schwedischen Musikband Abba für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Aber auch von der 2012 verstorbenen Whitney Houston wurde bereits für eine Welttournee ein hyperrealistisches Hologramm entworfen, um sie auferstehen zu lassen. Und dass Paris Hilton mit Hilfe neuester Bildgebungsverfahren einen Avatar produzieren ließ, dem Fans nun in einem Videospiel begegnen können, verwundert nicht. Alter Ego und Ego liegen eben nah beieinander. Avatare sind also derzeit vor allem in der Unterhaltungsindustrie äußerst beliebt.

Die Technik der Übertragung des menschlichen Körperbildes in sein digitales Abbild wird auch immer öfter für die Zeitzeugenarbeit in Mu­seen verwendet, um Erinnerungen zu dokumentieren und zu archi­vieren. Als lebensgroße Körperhologramme werden sie den Besuchern zukünftiger Ausstellungen erscheinen, erste Projekte mit Überlebenden der Shoah gibt es bereits.

Avatar ist übrigens Sanskrit und bezeichnet die Inkarnation einer Gottheit auf Erden. Die Avatar-Stars und Popsternchen kann man also auch in Zukunft anhimmeln und vergöttern, noch lange nach ihrem Tod. Lu Yang bildet derweil seinen Avatar mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz zum Künstler aus, der dann wiederum eigene Welten erschaffen soll. Vielleicht treten darin die Band-Avatare von Lu Yang gemeinsam mit den Abbataren auf?

Die Ausstellung »Lu Yang: Doku Experience Center« läuft noch bis zum 13. Februar im Palais Populaire in Berlin.