Russlands Justiz verbietet älteste Menschenrechtsorganisation des Landes

Erschwerte Opposition

Die russische Regierung geht seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine verstärkt gegen ihre Kritiker vor. Nun wurde auch die Moskauer Helsinki-Gruppe aufgelöst.

Frieden, Fortschritt und Menschenrechte – diese drei Ziele seien untrennbar miteinander verbunden. Es sei unmöglich, eines von ihnen zu erreichen, wenn man sich über die beiden anderen hinwegsetze. Was der sowjetische Physiker und Dissident Andrej Sacharow 1975 zum Erhalt seines Friedensnobelpreises vorlesen lies – er selbst wurde an der Ausreise gehindert –, gilt auch für das heutige Russland. Der russische Machtapparat geht vehement gegen Institutionen vor, die Sacharows Erbe über viele Jahre bewahrt haben. Wer sich gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht, macht sich strafbar, grundlegende Rechte werden außer Kraft gesetzt. Am 25. Januar verfügte ein Gericht die Auflösung der Moskauer Helsinki-Gruppe, der ältesten Menschenrechtsorganisation Russlands. Am Tag zuvor waren dem Sacharow-Zentrum die von der Stadt zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten gekündigt worden.

Im Mai 1976 wurde die Helsinki-Gruppe in Sacharows Wohnung gegründet, um die Einhaltung der im Vorjahr von der Sowjetunion in Helsinki mitunterzeichneten Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in der die Menschenrechte und Grundfreiheiten festgeschrieben sind, zu überwachen und Verstöße zu dokumentieren. Der sowjetische Geheimdienst KGB verfolgte die elf Gründungsmitglieder. Einige Jahre später befanden sich nur noch drei von ihnen auf freiem Fuß, sie stellten ihre Arbeit ein, erst 1989 ging es weiter.

Nun begründete das Gericht die vom Justizministerium beantragte Auflösung der NGO damit, dass sie gegen ihren Status verstoße, der ihre Aktivitäten auf die Region Moskau beschränke, da sie Prozesse außerhalb beobachtet und an Veranstaltungen regionaler Partner teilgenommen hatte. »Das ist ein völlig absurder Vorwurf«, sagte Dmitrij Makarow, einer der NGO-Vorsitzenden, der Jungle World. »Es handelt sich um eine ganz frische Auslegung durch das Justizministerium, die in unserem Fall erstmals zur Anwendung kam.«

Vor nicht langer Zeit erhielt die Gruppe sogar noch staatliche Fördermittel. Vor dem Eintrag ins Register »ausländischer Agenten« bewahrte sie der Umstand, dass sie nur mit in Russland akquirierten Geldern arbeitete. Lageberichte über die Zustände im Justizvollzug, Bildungsprogramme, Rechtsbeistand und humanitäre Hilfe für Geflüchtete aus Belarus und der Ukraine – die Vielfalt der Tätigkeiten ist groß. Alles soll weiterlaufen, nur unter erschwerten Bedingungen, hat sich die Gruppe vorgenommen. »Jede Form des Aktivismus in Russland bewegt sich im Moment auf dünnem Eis«, kommentiert Makarow die Situation.

Das Sacharow-Zentrum hingegen, ein zentraler Veranstaltungs- und Begegnungsort auch für anarchistische und linke Gruppen, wurde 2014 als »ausländischer Agent« registriert und hatte seither mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen, zum Beispiel mit Bußgeldforderungen des Staats von mehr als 65 000 Euro. »Wir rechneten schon im März nach Kriegsbeginn mit einer präventiven totalen Säuberungswelle«, so der Geschäftsführer des Zentrums, Sergej Lukaschewskij, im Gespräch. Eine Verschärfung des »Agentengesetzes« im Dezember schreckte die Organisation zunächst nicht.

»Wir dachten, das bedeutet lediglich, dass wir keine staatlichen Gelder bekommen können, die hatten wir aber ohnehin nie.« Die Behörden werteten auch die unentgeltliche Nutzung städtischer Räume als mit dem neuen Gesetz unvereinbar. Überrascht habe Lukaschewskij lediglich, dass die Stadt dem Sacharow-Zentrum neben den Veranstaltungsräumen auch die ehemalige Wohnung Sacharows entzieht, die das Archiv beherbergt. »Unsere Bildungsprojekte bleiben auch nach Kriegsbeginn gefragt, sogar mehr als früher, weil die Menschen jetzt neben Wissen auch eine Community benötigen.«

Offen diskutieren konnte das Sacharow-Zentrum in seinen Räumen nach Kriegsbeginn nicht mehr. »Über das Hauptthema zu sprechen, war nicht mehr möglich, nicht darüber zu sprechen, wäre merkwürdig«, beschreibt Lukaschewskij das Dilemma. Auch das russische oppositionelle Nachrichtenportal Meduza im lettischen Exil, seit letztem Jahr bereits als »ausländischer Agent« registriert, haben russische Behörden jüngst als »unerwünschte Organisation« eingestuft: Das Teilen der Inhalte in sozialen Medien, Verbindungen zu Meduza oder Spenden sind nun Ordnungswidrigkeiten, im Wiederholungsfall Straftaten.