Erneut wurden Chats bekannt, in denen Polizisten antisemitische Inhalte geteilt haben

Eine unvollständige Chronologie von Einzelfällen

Immer wieder werden Chatgruppen bekannt, in denen Polizisten antisemitische und rassistische Inhalte teilen. In einigen Fällen waren die Beschuldigten gar zuständig für den Schutz jüdischer Einrichtungen. An Maßnahmen gegen Antisemitismus in der Polizei mangelt es jedoch.

Das Phänomen ist bekannt. Einer Untersuchung der EU-Grundrechteagentur von 2018 zufolge werden nur etwa 20 Prozent aller antisemitischen Vorfälle gemeldet. In einem Gastbeitrag im Tagesspiegel nannte der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin, Samuel Salzborn, zwei Gründe hierfür. Zum einen fehle das Vertrauen von Jüdinnen und Juden in staatliche Stellen; zum anderen liege es am fehlenden fachlichen Wissen bei der Anzeige­aufnahme. Für Letzteres haben die Berliner Polizei und die Staatsanwaltschaft 2021 einen Leitfaden zur Erfassung antisemitischer Straftaten ent­wickelt. Der Leitfaden soll als Handreichung dienen, antisemitische Motive zu erkennen. Was aber, wenn die Polizei selbst zum Problem wird?

»Wenn solche Fälle bekannt werden, ist das für das Vertrauen in den Schutz der Polizei natürlich nicht förderlich«, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, im Gespräch mit der Jungle World. Kürzlich musste sich ihr ehemaliger Personenschützer vor dem Münchner Verwaltungsgericht verantworten. Der Polizist soll in einer Chatgruppe wie auch in persönlichen Nachrichten mit einem Kollegen nationalsozialistische und antisemitische Äußerungen getätigt haben. Auf die Aussage seines Kollegen, man könne ja wieder ein Konzentrationslager aufmachen, soll er mit »Ja« geantwortet haben. In Sprachnachrichten habe er die Stimme Hitlers imitiert. Über seine ehemalige Schutzbefohlene soll er geschrieben haben: »Ich scheiß’ ihr vor die Tür, schön braun, mit Fähnchen.« Das allerdings habe sich nicht auf Knobloch bezogen, wie sich der Angeklagte vor Gericht zu rechtfertigen versuchte. Es sei dabei um ­ihren damals kranken Hund gegangen, der gestunken und Durchfall gehabt habe. Für die Richterin offenbar nichts Neues: »Sie sind nicht der erste Beamte, den ich mit derartigen Sachen hier ­sitzen habe.« Der Beschuldigte bleibe Polizist, werde lediglich um zwei Stufen in das Amt eines Kriminalmeisters zurückgestuft, so das Urteil. Trotz des Vorfalls habe Knobloch weiterhin »großes Vertrauen in die Polizei«, wie sie der Jungle World mitteilte.

»Wenn solche Fälle bekannt werden, ist das für das Vertrauen in den Schutz der Polizei nicht förderlich.« Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

Ruben Gerczikow hingegen zeichnete in der Jungle World ein anderes Stimmungsbild: »In den vergangenen Jahren ist in meinem jüdischen Umfeld das Vertrauen in die Menschen geschwunden, die in der Regel täglich (schwer) bewaffnet vor jüdischen Einrichtungen stehen.« (Jungle World 50/2022) »Rechtsextreme Chatgruppen«, in denen Polizisten etwa anti­semitische Nachrichten verbreiten, so Bianca Loy, Projektleiterin des Projekts Austausch von Polizei und Zivilgesellschaft zu Antisemitismus vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e. V. (Rias-Bundesverband), im Gespräch mit der Jungle World, »wirken auf Jüdinnen und Juden verunsichernd und stören das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden bei manchen Betroffenen nachhaltig.« Dass solche Fälle immer wieder bekannt werden, sei »besorgniserregend«.

Bereits 2019 wurden vier Münchner Polizisten von Dienst suspendiert, nachdem sie sich in einer privaten Whatsapp-Gruppe unter anderem judenfeindliche Videos geschickt hatten. Vor ihrer Suspendierung waren die vier beim Unterstützungs- und beim Sondereinsatzkommando der Münchner Polizei (USK und SEK) tätig.

Besonders heikel sind solche Fälle, in denen die beschuldigten Beamten für den Schutz jüdischer Einrichtungen zuständig waren. Zum Beispiel wurde 2020, nachdem aus einem vor der Aachener Synagoge stationierten Streifenwagen »Sieg Heil« und »Heil Hitler« über den Polizeifunk zu hören gewesen waren, gegen zwei Polizisten ­ermittelt. Wie sich später herausstellte, hatten die beiden die Fernsehserie »Hunters« im Dienstwagen gesehen. Wegen eines technischen Fehlers soll der Ton im gesamten Polizeifunk zu hören gewesen sein. Zwei Jahre später musste sich einer der beiden wegen Volksverhetzung und der Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole vor Gericht verantworten. Geschehen war dies in einer Whatsapp-Gruppe, in der sich 22 Polizisten insbesondere über Dienstpläne ausgetauscht haben.

Anfang 2022 wurde ein hessischer Wachpolizist verurteilt. Nachdem er auf Facebook durch das Posten rechtsextremer Inhalte aufgefallen war, ging eine anonyme Anzeige gegen ihn ein. Bei einer Hausdurchsuchung fand die Polizei eine Schrotflinte, für die er keinen Waffenschein besaß, sowie eine Hakenkreuzfahne. Verurteilt wurde er schließlich wegen Volksverhetzung und unerlaubten Waffenbesitzes. Vor Gericht gab er zu verstehen, es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass seine Nachrichten strafrechtlich relevant seien. Nach eigenen Angaben bewachte er hauptsächlich jüdische Einrichtungen in Frankfurt.

Am 7. Dezember vergangenen Jahres wurde im Zuge der bundesweiten Reichsbürgerrazzia ein Kriminalhauptkommissar festgenommen. Er steht unter Verdacht, an den Plänen zu einem bewaffneten Umsturz beteiligt gewesen zu sein. Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 war er zuständig für die Planung von Sicherheitskonzepten für jüdische Einrichtungen in Niedersachsen. 2020 war er bei der Kundgebung der Gruppe »Querdenken 231« in Dortmund aufgefallen, wo er in einer Rede Parallelen zwischen den damaligen Coronamaßnahmen und dem Nationalsozialismus gezogen hatte. Franz Reiner Ernst, niedersächsischer Landesbeauftragter gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens, sagte der Welt damals: »Wer die derzeitige – gewiss nicht einfache – Situation direkt mit der NS-Zeit vergleicht, beweist mindestens eines, nämlich dass er vom Nationalsozialismus und dessen unsäglicher Menschenverachtung nichts, aber auch gar nichts verstanden hat.«

Einer Recherche des Mediendienstes Integration von 2022 zufolge scheint dieses Problem auch mit der Polizeiausbildung zusammenhängen. In der Ausbildung spiele die Prävention von Antisemitismus kaum eine Rolle. Lediglich in fünf der 16 Bundesländer gebe es entsprechende Module, und es gebe auch keine Fortbildungen für ältere Beamte – weder in den Landespolizeien noch bei der Bundespolizei. Insgesamt mangele es an strukturellen Maßnahmen gegen Antisemitismus in der Polizei.

Bianca Loy vom Bundesverband Rias sagte der Jungle World, dass sich »Sachkenntnisse über antisemitische Erscheinungsformen und Sensibilität für die Belange der Betroffenen auf Seiten der Polizisten« unmittelbar »positiv auf das Vertrauen der Betroffenen« auswirkten. Speziell geschulte Kontaktbeamte für antisemitische Straftaten könnten hier helfen, stünden »in der Breite der Polizeibehörden aber in der Regel nicht zur Verfügung«. ­Daher gelte es, »bundesweite Angebote für Betroffene auszubauen und das Vertrauen zu stärken«.

Kurz nachdem der Vorfall mit dem ehemaligen Personenschützer Knob­lochs bekannt geworden war, flog ein weiterer Gruppenchat auf, diesmal an der Polizeifachhochschule Aschersleben in Sachsen-Anhalt. In einem 18 Personen umfassenden Chat sollen antisemitische und volksverhetzende Inhalte geteilt worden sein. Dabei soll es sich unter anderem um ein Bild Hitlers mit antisemitischer Aufschrift gehandelt haben. Entdeckt wurde dieser Chat jedoch nur durch Zufall: Ursprünglich hatte das Landeskriminalamt im Rahmen eines Betäubungsmittelverfahrens ermittelt. Nach derzeitigen Erkenntnissen haben elf Personen aktiv antisemitische oder volksverhetzende Nachrichten in die Chatgruppe eingestellt. Gegen acht der 18 Polizeibediensteten habe die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg nun strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen, wie der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtete. Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) hatte angekündigt, alle 18 Personen entlassen zu wollen. Doch selbst wenn das geschehen sollte, verbleiben ja diejenigen immer noch Polizeidienst, die ­davon wussten und nichts meldeten.

Die Studie des Mediendienstes Integration kam außerdem zu dem Ergebnis, dass bis dahin erst in drei Bundesländern unabhängige Studien zu Diskriminierung in der Polizei liefen. In Hamburg sei eine solche zuletzt gar von der Polizeigewerkschaft blockiert worden.