Luc Bessons »Dogman«: Grell wie ein Giallo, düster wie ein Trauma-Thriller

Die Bestie kraulen

Drags, Dogs und Mafiabosse tummeln sich in Luc Bessons schrillem Psychothriller »Dogman«, der mit viel Aufwand die abgründige Geschichte eines misshandelten Teenagers erzählt – und von den Möglichkeiten, sich aus der Rolle des Opfers zu befreien.

Die ins dramatisch flackernde Blaulicht der Polizeiwagen getauchte Szenerie ist eigentlich ganz nach Dougs Geschmack. Im Marilyn-Monroe-Look mit blonder Perücke, zerrissenem Seidenkleid und verschmiertem Make-up sitzt er am Steuer seines Lastwagens, zieht noch ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er durch das Seitenfenster seines Trucks an die Beamten gewandt eine Drohung ausspricht: »Solange ihr mir nichts tut, werden sie euch nicht verletzen.« Gemeint ist ein riesiges Rudel Hunde, ein bunter Querschnitt sämtlicher Rassen, Größen und animalischer Gemüter, im Frachtraum des Wagens. Als die Cops den Laderaum öffnen, blitzen ihnen die scharfen Äuglein von Dougs treuen Begleitern ent­gegen.

Die Szene bildet den Auftakt des neuen Films von Kultregisseur Luc Besson (»Nikita«, »Léon«, »The Fifth Element«): »Dogman«, der auf den Filmfestspielen von Venedig seine gleichermaßen umjubelte wie umstrittene Uraufführung hatte und nun in den deutschen Kinos zu sehen ist. Der Zuschauer folgt dem Leben von Douglas »Doug« Munrow, das immer wieder in langen Gesprächen und Rückblenden erzählt wird: Ein misshandelter Teenager überlebt seine seelische Qual in der Gemeinschaft von Hunden und erfindet sich später als Kunstfigur neu.

Besson gelingt ein stimmiger und überraschend gewitzter filmischer Entwurf einer Charakter­metamorphose, die insbesondere im künstlerischen Ausdruck ein ungeahntes Potential erkennt.

Doch zunächst findet sich der exaltierte Doug, ziemlich genial verkörpert von Caleb Landry Jones (»Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«, »Get Out«, »The Florida Project«) schnell in einer Zelle auf dem Polizeirevier wieder. Die Cops können sich allerdings keinen Reim auf den Mann machen, der ein ganzes Hundeheer bei nächtlichen Raubzügen in der Gegend zu befehligen scheint. Schon bald ziehen sie eine Psychiaterin hinzu. Ihr offenbart Doug im intensiven Therapiegespräch seine Lebensgeschichte, die ihn an diesen Punkt gebracht hat.

Aufgewachsen in New Jersey, ist Doug (als Jugendlicher dargestellt von Lincoln Powell) der jüngste Sohn ­eines jähzornigen und psychopathischen Vaters, eines hemmungslos brutalen Wüstlings mit Schusswaffenfaible, der seinen Spross unentwegt demütigt, befeuert von dessen nicht weniger grausamem Bruder. Das ­infernalische Duo – eigentlich passen die beiden stumpfen Flinten- und Latzhosenträger besser in ein Hillbilly-Setting der Südstaaten – sperrt Doug eines Tages in den Hundezwinger. Bei den Käfiggenossen handelt es sich um abgerichtete Tiere, mit denen der Vater bei Hundekämpfen sein Geld verdient. Geschlagen und gedemütigt, findet sich der Junge also unter den Tieren dieses finsteren Verschlags wieder. Anders als vom Vater intendiert, reagieren die Hunde auf den Jungen aber keineswegs ­aggressiv. Es vollziehen sich die ersten Schritte einer weitreichenden Transformation, der von Doug zu Dogman.

Die Gewalt des Vaters dauert an, sie gipfelt darin, dass er den Jungen in seinem Verlies mit einer Schrotflinte niederschießt und ihn gelähmt zurücklässt. Doug wird nie wieder laufen können. Nach dem Exzess wird endlich auch die örtliche Polizei auf das Martyrium des Kindes aufmerksam; die Hunde spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle.

Die nächsten Jahre verbringt Doug in staatlichen Waisenhäusern. Weder zu seinen Mitschülern noch zu den Erwachsenen kann der Trauma­tisierte eine stabile emotionale Bindung herstellen. Lediglich im Kontakt mit einer Schauspiellehrerin kann er sich öffnen. Doug verliebt sich in die junge Frau, die aber bald schon Karriere auf den Bühnen des Broadway macht. Als Doug erfährt, dass sie heiraten wird und ein Kind erwartet, bricht für ihn die Welt zusammen.

Auf Sinn- und Jobsuche findet er schließlich selbst den Weg ins Theater: auf die Bühne einer Drag-Bar. Dougs Lip-Sync-Performance des Edith-Piaf-Chansons »La Foule« haut nicht nur den Besitzer des Ladens und die Drag-Kolleg:innen um, sondern versetzt auch das herbeiströmende Publikum in Verzückung. Seine Darbietung zeigt den radikalen Neuentwurf seines Selbst als künstlerisches Ereignis.

In den sozialen Medien wurde darüber gestritten, ob Jones als Cismann die Rolle überhaupt spielen darf. Einige Kommentator:innen warfen dem Schauspieler sowie dem Regisseur vor, sich das Cross-Dressing »kulturell angeeignet« zu haben; der Film sei transphob. Besson wies die Vorwürfe zurück: Drag sei für die Figur des Doug eine Möglichkeit, sich von seiner Vergangenheit zu lösen. Den Transphobie-Vorwurf macht sich die Community ohnehin nicht insgesamt zu eigen. Bei den Filmfestspielen von Venedig wurde »Dogman« unter anderem für den Queer Lion Award nominiert. Nicht zuletzt enthält der Film auch mehrere Szenen in einem Drag-Queen-Kabarett mit echten Drag-Darstellern, die Besson in London gecastet hat.

Dogs und Drags, Gewalt und Erlösung, Geschlecht und Identität – in der Tat klingt das zunächst nach einer abenteuerlichen Mischung. Besson aber gelingt ein stimmiger und überraschend gewitzter filmischer Entwurf einer Charaktermetamorphose, die insbesondere im künstlerischen Ausdruck ein ungeahntes Potential erkennt. Die Psychiaterin unterstellt Doug zwar, dass er sich hinter seiner Kunstfigur verstecke, um sein wahres Ich zu verbergen, aber Doug sieht in der Performance eine Möglichkeit, sich aus der Opferrolle zu befreien.

Dogman ist zudem eine Rächer­figur. »Ich glaube an die Umverteilung des Reichtums«, wird der Prot­agonist an einer entscheidenden Stelle des Films sagen, auf die eine Reihe von Einbrüchen in Villen folgt – ausgeführt durch Dougs einschlägig abgerichtete Hundegang. Mit Sinn für Situationskomik und Pointen zeigt Besson die munter marodierende Kläfferbande bei ihren Beutezügen in bald schon leergeräumten Reichenhäusern.

Doug und seine Vierbeinercrew, bestehend aus hartnäckigen Terriern, bissigen Corgis, zielstrebigen Schäferhunden und ehrfurchtgebietenden Dobermännern, machen auch vor dem organisierten Verbrechen keinen Halt. Von einem verlassenen Schulgebäude aus, dem Hauptquartier der Hundebande, machen sie Jagd auf den lokalen Mafiazweig, der die Nachbarschaft mit einschlägigen Methoden zu terrorisieren pflegt. Den finsteren Mobster El Verdugo (John Charles Aguilar) hört der Zuschauer bald schon aufheulen, weil ihm ein eifriges Hündchen kräftig in die Eier beißt. Man ahnt an dieser Stelle, dass Doug den Bogen überspannen wird.

Natürlich ist es nicht das erste Mal, dass Hollywood auf den Hund gekommen ist. Die Hundefiguren fallen dabei so verschieden aus wie die filmischen Werke selbst: angefangen bei Dorothys treuem Terrier Toto im »Wizard of Oz« über Stephen Kings Höllenhund »Cujo« bis zu Lucy aus Kelly Reichardts todtraurigem Film »Wendy and Lucy«, dessen Ende kein Hunde- oder sonst wen liebender Mensch jemals unbeschadet überstanden hat. In die Reihe gehören auch der Action-Blockbuster »John Wick«, in dem Keanu Reeves gnadenlos Jagd auf die Killer seines vierbeinigen Freundes macht, und Matteo Garrones gleichnamiges Arthouse-Drama »Dogman«, das einen Hundefriseur zum Protagonisten hat – und nun auch Bessons packender Kläffer-Pulp.

»Dogman« ist ein Film, der sich selbst nicht immer ganz ernst nimmt. Wie ein zuverlässiges Uhrwerk lässt der Regisseur beim furiosen Showdown hochkomische Szenen ineinandergreifen: ein aberwitziges Hundegewusel zu den Klängen von Maschinengewehrsalven. Brutal wird es dabei in bewährter Besson-Manier bisweilen auch. Ein ganzes Heer von Gangstern versucht, das Hundeheim des Protagonisten zu erstürmen und geht dabei, einer nach dem anderen, drauf.

Es wäre ein perfekter kleiner Film, würde Besson am Ende das Schicksal seines zwischen Kaspar Hauser und Joker changierenden Helden nicht völlig überhöhen. Wenn zu Bildern, die mit christlicher Erlösungssymbolik aufgeladen sind, Edith Piafs »Non, je ne regrette rien« erklingt, nehmen selbst die Hunde Reißaus und verschwinden in der Schwärze der Nacht.

Dogman (F 2023). Buch und Regie: Luc Besson. Darsteller: Caleb Landry Jones, John Charles Aguilar, Lincoln Powell. Start: 12. Oktober