Ein Bericht aus Lwiw und Kiew, wie die Bevölkerung den Krieg zu bewältigen versucht

Gewöhnung an den Ausnahmezustand

Seit mehr als 19 Monaten befindet sich die Ukraine im Krieg, die Einwohner gehen so weit wie möglich trotzdem ihrem Alltag nach. Verletzte oder getötete Verwandte oder Freunde haben sie mittlerweile fast alle. Eine Reise nach Lwiw und Kiew.
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Die Cafés und Restaurants in der Altstadt Lwiws sind gut gefüllt, Menschen aller Altersstufen bevölkern bis in den späten Abend hinein die Straßen, flanieren, spielen Musik und singen, tanzen miteinander oder spielen Schach und Backgammon auf den Bänken.

Einige Kommentator:innen aus westeuropäischen Ländern gaben in Zeitschriften und sozialen Medien zu verstehen, dass diese Bilder nicht ihren ­Erwartungen entsprachen. Sie suggerierten, die Bilder sprächen dafür, dass der Krieg nicht so schlimm sei. Doch erlitt Lwiw im August die schwersten Luftangriffe seit Beginn des umfassenden russischen Angriffskriegs im Februar 2022. Ein zweiter Blick ist nötig, um zu verstehen, dass bei diesen Straßenszenen zwar nichts überspielt wird, sie aber auch kein umfassendes Bild der örtlichen Lebensumstände liefern.

Die Ukrainer:innen sind derzeit gezwungen, sich unter schwierigsten Bedingungen zu orientieren. Wo befinde ich mich, wo meine Angehörigen und Freund:innen? Wo ist die Front, von wo kommt die Gefahr? In welcher Beziehung stehe ich dazu? Welchen Beitrag leiste ich, um russische Erfolge im Krieg zu verhindern und die Widerstandsfähigkeit der Ukraine zu fördern? Unterschiedliche Schauplätze – das vordergründig entspannte Kiew, die Diaspora, die Front – sind eng verbunden.

Anders als noch vor einigen Jahren spricht man Fremde auf der Straße meist auf Ukrainisch an – und viele erweitern derzeit ihre Kenntnisse, um das Russische zu vermeiden.

Die Zusammensetzung der ukrainischen Bevölkerung ist derzeit nicht leicht erfassbar. Stand Juni 2023 regis­trierte die Internationale Organisation für Migration über fünf Millionen Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons, IDPs) in der Ukraine, aber auch knapp 4,8 Millionen, die an ihre Wohnsitze in der Ukraine zurückgekehrt waren. Verlässliche Zahlen sind schwer zu ermitteln, auch da viele die staatlichen Zuwendungen für IDPs nicht in Anspruch nehmen, weil sie beispielsweise innerfamiliär unterstützt werden und vermuten, andere benötigten sie dringender. Sie versprechen auch nur geringe Vorteile, etwa bei der Gesundheitsversorgung, bringen aber auch Nachteile. Immer wieder klagen Binnenvertriebene über Diskriminierung auf Ämtern in ihren neuen Wohnorten und bei der Wohnungssuche.

Löcher in einer Straße im Nordwesten Kiews

Spuren des Artilleriebeschusses. Löcher in einer Straße im Nordwesten Kiews

Bild:
Johannes Spohr

Zu den vor der umfassenden Invasion der Ukraine knapp 730 000 Ein­woh­ner:innen Lwiws sind seit Februar 2022 mehrere Hunderttausend Geflüchtete aus allen Landesteilen gekommen. Aus Lwiw selbst sind Menschen in westliche Länder ausgereist. Männer im wehrfähigen Alter wiederum können dies nicht mehr, auch die nicht, die regelmäßig als Fernfahrer oder in anderen Berufen in Polen gearbeitet haben. In Lwiw haben zudem einige ihre Arbeitsplätze bei ausländischen Firmen verloren, da diese die Ukraine nicht mehr als sicher ansehen und sich stattdessen in anderen Ländern Lohnabhängige suchen. Gleichzeitig sind die Mietpreise in Lwiw immens gestiegen – sie unterliegen keinerlei Regularien.

Dass in Lwiw kaum jemand an diesem Abend auf einen Luftalarm reagiert, ist nicht nur Folge der für die psychische Gesundheit notwendigen Gewöhnung, sondern auch der verbesserten Aufklärung und Warnsysteme, vor allem über Apps und soziale Medien. Schwierigkeiten bereiten den Warnsystemen Flugkörper, die ihre Richtung mehrfach wechseln. Die meisten Zivilist:innen haben mittlerweile Wissen über die Unterschiede zwischen Shahed-Drohnen, Buk-Raketenwerfern, Iskander-Raketen und Kalibr-Marschflugkörper angesammelt, deren Einsatz teils ­unterschiedliche Arten von Alarmen auslöst.

Auch Kwitoslawa Kossartschyn ist kürzlich, so erzählt sie, nicht vom Alarm wach geworden, sondern vom Einschlag einer Rakete im angrenzenden Haus. Es gab Tote. »Welche Normalität ist es dann, die ich habe?« fragt sie rhetorisch. Kossartschyn, eine jüngere ­Feministin, versucht, sich auf positive Entwicklungen zu konzentrieren. Dass immer mehr Frauen in der Armee dienen, sorge für eine Normalisierung und habe positive Effekte. In­fluence­­r:innen in der Armee wie etwa Marija Berlinska seien inzwischen sehr erfolgreich und angesehen, antifeministische Agitation kaum wahrnehmbar.

Zudem sei das Vertrauen in zivilgesellschaftliche Initiativen und Basisorganisierung rapide gewachsen, das verschaffe linken Aktivist:innen Handlungsspielräume. Die seit 2014 aktive Gruppierung Feminist Workshop beispielsweise hat sich im vorigen Jahr ganz auf die Kriegssituation eingestellt. Sie bietet unter anderem Schutzräume an, in denen geflüchtete Frauen und ihre Kinder bis zu einem halben Jahr lang wohnen können. Ihre Mitglieder kümmern sich um Kinderbetreuung und psychologische Unterstützung auch älterer Frauen.

Aber begeben sich die Feminist:in­nen damit nicht in den engen, klassisch weiblichen Rahmen reproduktiver Tätigkeiten? Kossartschyn verneint das. Sie sieht darin eher »die Fähigkeit, mit einem feministischen Blick zu erkennen, welche geschlechtsspezifischen Probleme gelöst werden müssen«. Dazu zählt etwa Gewalt gegen Frauen in gemischtgeschlechtlichen Unterkünften.

Einige Wandgemälde und Street Art in Lwiw präsentieren allerdings klassische Geschlechterrollen und Bilder heroischer Aufopferung: »Helden sterben nicht«, heißt es etwa. Dass es anders ist, wissen die Menschen selbstverständlich. Einer Umfrage des Kiewer Internationalen Soziologie-Instituts zufolge haben knapp 80 Prozent der Ukrai­ner:in­nen Verwandte oder Freunde, die wegen des Kriegs entweder gestorben sind oder verwundet wurden. Sie werden an unterschiedlichen Orten öffentlich betrauert.

Im Kiewer Stadtteil Podil zieren heldenhafte Soldaten manche Wände

Straßenkunst in Kriegszeiten. Im Kiewer Stadtteil Podil zieren heldenhafte Soldaten manche Wände

Bild:
Johannes Spohr

Einige patriotische Wandgemälde, so berichtet Kossartschyn, würden in Lwiw auch durchaus kontrovers diskutiert und teils sogar untersagt. Gleichzeitig befasse sich ein Teil der Gesellschaft auch offen mit schwierigen Themen wie posttraumatischen Belastungsstörungen, die Vulnerabilität aller Menschen würde öfter anerkannt. Das staatliche Programm »Ty jak?« (Wie geht es dir?) ermutigt dazu, über Ängste zu sprechen.

Die tägliche Routine kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Menschen psychisch vom Krieg beeinträchtigt sind. Zu Schlafstörungen kommen Gefühle der Ohnmacht und des Kon­trollverlusts sowie Ängste, die sich auch körperlich ausdrücken können. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums leidet mindestens ein Drittel der Bevölkerung unter Disstress, also seelischer Überlastung, bis zur Hälfte davon unter noch schwereren Beeinträchtigungen. Besonders Kinder leiden unter der Abfolge extremer Ausnahmesitua­tionen, in denen sich auch das soziale Leben verändert: zunächst die Covid-19-Pandemie, nun der Krieg. Viele Familien in- und außerhalb der Ukraine sind auseinandergerissen, und viele Kinder entfremden sich von ihren Vätern, wenn diese als Soldaten eingesetzt und somit lange nicht verfügbar sind.

Die Dauer des Kriegs führt dazu, dass viele Ukrainer:innen in einer ungewissen Situation einschneidende Entscheidungen treffen müssen, die ihr weiteres Leben auch ohne den Krieg erheblich beeinflussen werden. Das gilt insbesondere für Menschen mit Kindern, die etwa vor der Entscheidung stehen, wo diese in die Schule gehen sollen. Gleichzeitig berichten in die Ukraine Zurückgekehrte häufig, ihr psychisches Wohlbefinden sei besser als im Ausland, wo sie weniger handlungsfähig waren und sich von der Situation in ihrem Heimatland entfremdeten.

Auch die Hauptstadt Kiew ist mancherorts von spätsommerlicher Ausgelassenheit geprägt. Die Einwoh­ner:in­nen genießen die Sonne am Strand des Dnipro. Dahin gelangen sie über eine vor allem bei Jugendlichen beliebte Fußgängerbrücke am Fuße des Klosterhügels, von der einige von ihnen kreischend Bungee springen oder parallel zur Brücke mit der Seilrutsche den Dnipro in wenigen Sekunden überqueren. Zu einer beliebten Aussichtsplattform ist zudem die auf dem rechten Ufer gelegene, 2019 eingeweihte Glasbrücke geworden, von den Einwoh­ner:in­nen Kiews auch nach dem Bürgermeister »Klitschko-Brücke« genannt. Am 10. Oktober 2022 wurde sie bei einem Raketenangriff auf Kiew getroffen, hielt aber stand – »im Gegensatz zur Krim-Brücke«, lacht ein flanierendes Paar am Rande der Brücke.

Es ist unschwer verständlich, dass sich viele Gespräche der Spaziergänger:in­nen auch um ernstere Aspekte des Krieges drehen. An vielen Stellen sind derzeit Freiluftausstellungen zu sehen, die die Kriegsrealität in verschiedenen Landesteilen in die Hauptstadt tragen und gleichzeitig ein Beitrag zu ihrer Verarbeitung sind. Anders als noch vor einigen Jahren spricht man Fremde auf der Straße meist auf Ukrainisch an – und viele erweitern derzeit ihre Kenntnisse, um das Russische zu vermeiden.

Nicht weit entfernt von hier, auf dem Unabhängigkeitsplatz im Zentrum der Stadt, ist die Szenerie besonders stark von Symbolik bestimmt. Nicht nur zeugen ausgestellte zerstörte, gegnerische Militärfahrzeuge vom Widerstandswillen, auch sind Trauer und Traumata an vielen Stellen sichtbar. Unzählige Fähnchen mit Namen, teils zugeordnet zu Einheiten und hin und wieder auch mit Bildern versehen, erinnern an gefallene Soldat:innen. Meist sind es Frauen und Kinder, die am Rande der Installation sitzen und die Fahnen ihrer Angehörigen richten, während uniformierte Soldaten Spenden für die Armee sammeln. Die Zahl gefallener ukrainischer Soldat:innen wird aus strategischen Gründen nicht veröffentlicht – man geht derzeit von über 70 000 aus. Nahe der Fähnchen stehen Figuren zum Schnappschuss bereit – sie tragen ein Kostüm des zum Symbol gewordenen Sprengstoffspürhunds Patron, das die abgewetzten Mickey-Mouse-Kostüme ersetzt hat, die noch vor ein paar Jahren ein gängige Fotomotiv vom Maidan-Platzes darstellten.

Das ehemalige sowjetische Ruhmesdenkmal im Museum Territority of Terror

Umsturz. Das ehemalige sowjetische Ruhmesdenkmal im Museum Territority of Terror

Bild:
Johannes Spohr

Im hippen Stadtteil Podil trinken die Menschen Kaffee und Craft Beer mit Blick auf heroisch-soldatische Wandgemälde, deren Stil an Pendants in Nordirland erinnern. Rund um den verkehrsberuhigten Kontraktowa-Platz sammeln sich allabendlich Hunderte Menschen, hören Musiker:innen zu, singen mit und tanzen. Es ist weniger die Sperrstunde ab Mitternacht als vielmehr die Tatsache, dass die letzte Metro vor 23 Uhr fährt, die die Menschen schließlich nach Hause strömen lässt. Noch stärker als vor einigen Jahren wirkt es, als wisse man die guten Stunden des Lebens besonders zu schätzen.

Im Club »Closer« feiert die Techno-Szene tagsüber und bis 22 Uhr. Die Stimmung ist freundlich und ausgelassen. In der Nacht darauf werden 33 Shahed-Drohnen von Russland aus in die Region Kiew entsandt. Die ukrainische Luftabwehr zerstört 26 von ihnen. Die wenigsten hält das noch vom Schlafen ab, und auch in dieser Nacht wird kaum jemand in den Luftschutzraum eilen.

Zur Widerstandsfähigkeit gehört es ebenso, dass zerstörte Gebäude möglichst schnell repariert werden, zumindest dort, wo es machbar ist und sinnvoll erscheint. Das ist in den zu trauriger Bekanntheit gelangten Orten des Kiewer Speckgürtels wie Butscha, Hostomel und Irpin der Fall. Ende Februar 2022 waren einige Kiewer:innen in ihre dortigen Datschen geflohen, nur um unter die befürchtete russische Besatzung zu geraten. Einige Kilometer stadteinwärts sind die Spuren des Artilleriebeschusses noch sichtbar. Im Boden sind gesprenkelte Granatspuren zu sehen, einige Fenster sind noch nicht ersetzt. Nur an wenigen Stellen stehen noch zerstörte Fahrzeuge am Straßenrand.

Anna* und Ostap* haben hier im Frühjahr dieses Jahres eine Datscha erstanden, in der sie abseits der Arbeit viel Zeit verbringen. Das alte, marode Häuschen wollen sie künftig durch einen Neubau ersetzen, das wuchernde Grün noch etwas einhegen. Obstbäume werfen Früchte ab, in den Beeten kommen verschiedene Gemüsesorten zum Vorschein. Das junge Ehepaar hat bis 2014 in Donezk und seitdem in verschiedenen Orten in der Ukraine gelebt. »Was soll uns noch erschüttern?« fragt Anna. »Planen kann man sowieso nichts mehr, aber auf die Zukunft hinarbeiten ist uns wichtig. Es gibt dazu keine Alternative.«

Ein überall präsentes, wenn auch nicht immer offen behandeltes Thema sind die weiteren Rekrutierungen in die Armee. Die ukrainischen Behörden leiteten vor kurzem Strafverfahren wegen Korruption in Rekrutierungszentren und medizinischen Kommissionen der Armee ein. So wurde etwa ­Jewhen Borissow, der Leiter des Rekrutierungsbüros in Odessa, entlassen und festgenommen, wie kurz darauf auch landesweit alle seine Kollegen, nachdem Ermittler herausgefunden hatten, dass Beamte Bestechungs­gelder angenommen hatten, um Menschen die Möglichkeit zu geben, sich der Einberufung zu entziehen.

Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte ein Gesetz an, das Korruption an solcher Stelle für die Zeit des Kriegsrechts mit Staatsverrat gleichsetzen soll. Dies hieße lebenslange Haft bei Verstößen. Zudem sollen die potentiell wehrfähigen Männer durch zentrale Karteien, Digi­talisierung und die Zusammenarbeit mit Arbeitsstellen besser erfasst werden. Viele Bürger:innen der Ukraine sind, unter anderem aufgrund der Kriegswirren der vergangenen Jahre, nicht dort gemeldet, wo sie leben.

Derzeit wird nicht mit großen Rekrutierungswellen, sondern eher mit einer konstanten Zahl von Rekruten gerechnet. Die Gedanken derjenigen, die bisher keinen Armeedienst leisten mussten, drehen sich um Fragen, die kaum detailliert geklärt werden können. Manche erwägen, sich vor einer Einberufung lieber freiwillig zu melden, um eventuell einer gelernten Tätigkeit nachgehen zu können. Andere beginnen, sich Ausrüstungsgegenstände zu beschaffen oder zu trainieren. Viele versuchen, sich gedanklich auf einen Kriegseinsatz einzustellen. Und einige meiden größere Reisen, da sie die Checkpoints der Armee fürchten und nicht riskieren wollen, ad hoc einberufen zu werden.

Dass auch Frauen verpflichtet werden, damit rechnet bisher kaum jemand. Dabei braucht die Armee derzeit nicht nur Menschen an den Waffen, sondern auch Personal im Sanitätsdienst oder der Verpflegung. Dass von ihnen einige bereits über anderthalb Jahre ohne längere Auszeiten im Einsatz sind, bereitet nicht nur ihren Angehörigen Sorgen. Doch hinterfragt werden meist nicht die Rekrutierungen als solche. Der Wille, die Ukraine zu verteidigen, ist groß – vor allem aber erscheint er den meisten unumgänglich.

Ein sowjetischer Panzer im Nationalen Museum der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg

»Nach Moskau«. Ein sowjetischer Panzer im Nationalen Museum der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg

Bild:
Johannes Spohr

Der Krieg, er ist auch längst in den großen Museen der ukrainischen Städte angekommen. Ob künstlerisch verarbeitet im Nationalmuseum Lwiw oder im Ukrainischen Haus in Kiew, ob im Territory of Terror in Lwiw, das sich historisch mit Verbrechen der Zeit der NS-Besatzung und der Sowjets befasst, oder im Nationalen Museum der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg in Kiew: Keine Kulturstätte kommt ohne einen Bezug auf den derzeitigen Krieg aus. Museen werden immer mehr zu Orten, an denen die traumatische Gegenwart verarbeitet wird. So lassen sich echte Sandsäcke sowohl rund um die berühmte Kathedrale des Dominikanerordens in Lwiw als auch als Motiv eines gerahmten Bilds an der Wand einer Museumsausstellung betrachten.

Anatolij Podolskyj erkundigt sich seit anderthalb Jahren jeden Morgen bei seinen zwölf Kolleginnen und Bekannten, die derzeit als Soldaten frontnah eingesetzt sind, ob es ihnen gut gehe. Podolskyj ist Direktor des Ukrainischen Zentrums für Holocaust-Studien (UCHS), einer 2003 gegründeten NGO, die sich der Aufklärung über den Holocaust und andere NS-Verbrechen verschrieben hat. Das UCHS ist Teil des im März 2022 entstandenen Hilfsnetzwerks für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine, zu dem etwa 50 Gedenkstätten und Initiativen in der ­Ukraine und Deutschland gehören. Das Netzwerk leistet vor allem unbürokratische humanitäre Unterstützung betagter Menschen, zu denen Mitarbeiter an Ort und Stelle Kontakt herstellen. Auch Fachkolleg:innen werden immer wieder unterstützt – der Austausch zwischen ihnen hat sich bei dieser Kooperation intensiviert. Einer der zwölf Kolleg:innen Podolskyis ist Mychajlo Tjahlyj, der zur Verfolgung der Roma unter deutscher Besatzung forscht. Seit März 2022 ist der Historiker Soldat.

Sorgen bereitet den Menschen jetzt im Frühherbst vor allem der bevorstehende Winter. Russland intensiviert erneut die Angriffe mit Marschflugkörpern und Drohnen, erstmals seit längerem kommt es wieder zu einzelnen Stromausfällen. Nicht alle Schäden im Energiesystem vom letzten Winter konnten behoben werden. Auch Anna erinnert sich daran, wie sie morgens vor der Arbeit im Dunkeln ihre Sachen zusammensuchte und abends wieder in eine dunkle Wohnung kam. In ihrer jetzigen Bleibe nahe der Datscha funktioniert alles bereits elektrisch. Hoffnung setzen die Einwohner:innen der Städte jedoch auf die verbesserte Flugabwehr und einen erneut milden Winter. Daran, dass die Streitkräfte der Russischen Föderation mit solchen Angriffe aufhören könnten, glaubt in Kiew wohl niemand.

* Name von der Redaktion geändert.