Streiks und Universitätsbesetzungen gegen die Sparpolitik der rechten Regierung in Finnland

Heißer Herbst in Helsinki

Universitätsbesetzungen, Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen: Das Austeritätsprogramm der rechten finnischen Regierung stößt auf Widerstand.

Rosa Rauch zieht in langen Schwaden an der Domkirche vorbei, als am Donnerstag voriger Woche Studierende ihre Demonstration »Leipää, ei leikkauksia« (Brot statt Kürzungen) am Hauptgebäude der Universität Helsinki vorbeiführen. Drinnen wurde gerade ein zehn Meter langes Transparent mit der Aufschrift »Besetzt« aus einem Fenster gehängt. Seit über drei Wochen ist das Hauptgebäude am prestigeträchtigen Senatsplatz im Zentrum der finnischen Hauptstadt besetzt. In der Eingangshalle liegen Teppiche und Schlafsäcke, die Besetzer:innen haben eine kleine Handbibliothek aufgebaut. Onni Ahvonen, 24 Jahre alt und Doktorand in politischer Geschichte, sagt der Jungle World: »Mit unserer Besetzung wollen wir uns gegen die Kürzungen positionieren, aber auch solidarisch mit den gesellschaftlichen Gruppen zeigen, die am meisten unter dieser Politik leiden.«

Besetzungen von Räumen hat es an fast allen Universitäten in dem Land gegeben, das in der Pisa-Studie einst als europäischer Spitzenreiter glänzte. Auch Dutzende Technische Hochschulen, Fachschulen und Gymnasien wurden besetzt. Seit 2015 gab es in Finnland keine vergleichbare Welle von studentischen Protesten mehr. Damals sprangen die Besetzungen allerdings nicht auf andere Ausbildungsstätten über.

In der laufenden Legislaturperiode will die Regierung sechs Milliarden Euro einsparen. Arbeitslosen- und Wohngeld sollen gekürzt und der Arbeitsmarkt soll liberalisiert werden.

Ministerpräsident Petteri Orpos rechte Regierung aus konservativer Sammlungspartei, der rechtsextremen Partei Die Finnen (Perussuomalaiset, PS), Christdemokraten und Schwedischer Volkspartei hat ein umfangreiches Austeritäts- und Kürzungsprogramm vorgelegt. In der laufenden Legislaturperiode sollen sechs Milliarden Euro eingespart werden, bei einem jährlichen Staatshaushalt von 85 bis 90 Milliarden Euro. Arbeitslosen- und Wohngeld sollen gekürzt, der Arbeitsmarkt soll liberalisiert werden. Die Regierung will Kündigungen und Befristungen erleichtern und das Recht auf politische Streiks (die in Deutschland verboten sind) stark einschränken. Während ein durchschnittlicher studentischer Haushalt im kommenden Jahr zwischen 70 und 120 Euro weniger Wohngeld monatlich erhalten könnte, sollen Spitzeneinkommen über 14 000 Euro pro Monat um bis zu 2 000 Euro im Jahr entlastet werden.

Der 23jährige Theologiestudent Valtteri Harakka befürchtet, die Kürzung des Wohngelds werde ihn hart treffen: »Ich werde mir wahrscheinlich eine neue, günstigere Wohnung suchen müssen. Ich kann nicht unbedingt mehr arbeiten, denn ich will mich ja aufs Studieren konzentrieren. Die einzige Möglichkeit ist, mehr Studienkredit aufzunehmen.«

Die Kürzung des Wohngelds würde arme Haushalte besonders hart treffen, denn die Mieten in Helsinki explodieren derzeit. Die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft Heka, die mit ihren 50 000 Wohnungen eigentlich eine günstige Alternative zum freien Markt bieten soll, hat angekündigt, im neuen Jahr die Mieten um mehr als zwölf Prozent zu erhöhen. Die Soziologiestudentin Uurika Sofia Laine verweist im Gespräch mit der Jungle World auf einen weiteren Aspekt: »Es ist wichtig, ­daran zu erinnern, dass durch die Kürzungsvorhaben im Sozialsektor laut Ex­pert:innen 40 000 Menschen direkt in die Armut rutschen werden.«

Wie weit Orpos Kabinett seine austeritäre Reform des finnischen Wohlfahrtsstaats vorantreiben kann, wird auch vom Widerstand der Opposition und der Gewerkschaften abhängen. In der vergangenen Woche hat der zentrale finnische Gewerkschaftsbund SAK landesweit bereits einstündige Arbeitsniederlegungen in einigen Betrieben organisiert. Sowohl beim halbstaatlichen Rüstungskonzern Patria als auch in der Papierindustrie und bei einem halben Dutzend Biogasanlagen kam es zu Arbeitsunterbrechungen.

Orpos Regierung drückt bei ihren Vorhaben ordentlich auf Tempo. Einige der Kürzungen, zum Beispiel beim Arbeitslosengeld, sollen bereits Anfang 2024 in Kraft treten. Die Einschränkungen des Streikrechts sollen binnen eines Jahres durch den Gesetzgebungsprozess gebracht werden. Das schnelle Vorgehen dürfte auch am geringen Vertrauen in die Stabilität der eigenen Koalition liegen.

Bereits im Sommer hatte die neu gewählte finnische Regierung international für negative Schlagzeilen gesorgt. Erst musste der Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila (PS) nach nur zehn Tagen im Amt zurücktreten; er war nach Hitler-Witzen und dem Prahlen mit seiner Kandidatennummer 88 – dem rechtsextremen Zahlencode für »Heil Hitler« – bei der Par­lamentswahl 2019 untragbar geworden. Auch die PS-Vorsitzende und derzeitige Finanzministerin Riikka Purra wurde kritisiert. In Blogeinträgen hatte sie davon phantasiert, Bettler anzuspucken, von »türkischen Affen« geschrieben und muslimische Frauen als »schwarze Säcke« verunglimpft. Da einige der rassistischen Entgleisungen aber bereits vor über zehn Jahre stattgefunden hatten und Purra sich nach öffentlichem Druck halbherzig entschuldigt hatte, überstand sie das Misstrauensvotum im Parlament.

Purras Partei PS hatte in den Koalitionsverhandlungen die Austeritätsvorhaben mitgetragen und zudem Verschlechterungen in der Migrationspolitik durchgesetzt: Migrant:innen ohne gültige Papiere soll die ärztliche Versorgung erschwert, ein Test für das Erlangen der Staatsbürgerschaft eingeführt und arbeitssuchenden Migrant:innen nach drei Monaten Arbeitslosigkeit die Aufenthaltsgenehmigung entzogen werden. Der Doktorand Ahvonen meint zu dieser Politik: »Ich persönlich finde, dass die von Orpo geführte Rechtsregierung eine zerstörerische Kombination aus Rassismus und neoliberaler Wirtschaftspolitik schafft.«

Das Vertrauen der Bevölkerung in die finnische Regierung ist während der Rassismusskandale im Sommer geschwunden. In einer Umfrage Ende September gaben nur noch 41 Prozent ­der Befragten an, der Regierung Orpo zu vertrauen. Das Vertrauen in die vorherige Regierung unter Sanna Marin, getragen von einer Mitte-links-Koalition, hatte sich zwischen 60 und 70 Prozent bewegt.

Nicht ausgeschlossen ist es, dass sich die sozialen Auseinandersetzungen in den kommenden Monaten in der bereits stark polarisierten finnischen Gesellschaft zuspitzen. Insbesondere die Gewerkschaften könnten hier eine entscheidende Rolle spielen. Der gewerkschaftliche Organisierungsgrad und die Streikbereitschaft sind in Finnland traditionell recht hoch. Sollte es zu Arbeitsniederlegungen im öffentlichen Nahverkehr kommen, könnten sich besetzte Universitäten noch als das geringste Problem für Orpos Regierung erweisen.