Vor der Parlamentswahl in Indien zerstreitet sich die Opposition gegen die Hindu­nationalisten

Oppositioneller Block bröckelt

Indiens Premierminister Narendra Modi und seine BJP hoffen bei der im April und Mai anstehenden Unterhauswahl auf eine überwältigende Mehrheit. Der Block ihrer liberalen, linken und regional orientierten Gegner kämpft mit Abgängen.

Mit Verkündung einer 195 Namen umfassenden ersten Kandidatenliste der Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei, BJP) am 2. März hat endgültig der Wahlkampf für die im April und Mai anstehende Wahl in Indien begonnen. Insgesamt geht es um 543 Sitze in der Lok Sabha, dem Unterhaus des Parlaments.

Auf dem Dokument finden sich bereits die Namen nicht nur von Premierminister Narendra Modi sowie seines Innenministers und engsten Vertrauten Amit Shah, sondern auch von zwei Dutzend weiteren Ministern. Als Ziel der regierenden Nationalen Demokratischen Allianz (NDA), in der die hindunationalistische BJP den Ton angibt, gilt diesmal sogar, 400 Mandate zu erringen.

Schon jetzt stellen die Hindunationalisten und ihre Partner eine geradezu erdrückende Mehrheit im Parlament.

Schon jetzt stellen die Hindunationalisten und ihre Partner eine geradezu erdrückende Mehrheit im Parlament. Seit Modis Machtantritt vor zehn Jahren haben linke und liberale Parteien beständig an Boden verloren. Einzelne Erfolge auf regionaler Ebene können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich insbesondere die Kongresspartei (Indian National Congress, INC), die das Land nach der Unabhängigkeit 1947 über Jahrzehnte dominierte, in einer ernsten Krise befindet.

Aber auch der Linksfront geht es kaum besser. Die einstige Bastion Westbengalen, wo sie 33 Jahre lang regierte, hat sie schon vor längerer Zeit an den konservativen Trinamool Congress (TMC), eine INC-Abspaltung, verloren, später den Bundesstaat Tripura an die BJP. Heutzutage können sich die Communist Party of India – Marxist (CPI-M) und die kleinere Schwester CPI als nennenswerte Kraft nur noch im südlichen Kerala halten.

Vielen Oppositionellen ist bewusst, dass sich eine drohende dritte Amtszeit Modis – wenn überhaupt – nur mit einem gemeinsamen Auftreten verhindern lässt. Dass im vorigen Juli 27 liberale bis linke Parteien mit der Indian National Developmental Inclusive Alliance (I.N.D.I.A.) ein neues Bündnis aus der Taufe hoben, galt als Hoffnungszeichen. Eine Weile schien es, als wären die alten Rangeleien zwischen INC und einigen mächtigen Regionalparteien zumindest hintangestellt. Doch inzwischen haben mehrere besonders wichtige Partner dem Bündnis mit reichlich Rhetorik den Rücken gekehrt.

Den Anfang machte die sozialdemokratische Janata Dal – United (JD-U) von Nitish Kumar, seines Zeichens Chief Minister des Bundesstaats Bihar, der sogar als Spitzenkandidat des Oppositionsblocks gehandelt worden war. Die JD-U ist nunmehr in die Reihen der regierenden NDA zurückgekehrt, wo sie schon früher einer der wichtigsten Verbündeten war. Anfang Februar folgte die Ankündigung des TMC von Mamata Banerjee, in Westbengalen allein anzutreten, wo Banerjee Chief Minister ist. Sie hatte auch schon Ambitionen, als Herausforderin Modis anzutreten, hätte zwar dem INC zwei Parlamentswahlkreise überlassen, wollte aber keine Kooperation mit den Kommunisten, die mit der Kongresspartei verbündet sind.

Zwar hat das Krisenmanagement in der Spitze von I.N.D.I.A. zumindest dazu gereicht, die aus der Antikorruptionsbewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (Partei des einfachen Mannes, AAP) bei der Stange zu halten, die im Territorium Delhi, zu dem die Hauptstadt Neu-Delhi gehört, und im Punjab die Regionalregierungen stellt. Im Punjab werden AAP und INC aber getrennt antreten, was der BJP dort einige umkämpfte Sitze sichern dürfte. Ein gutes Zeichen war zuletzt, dass im bevölkerungsreichsten Unionsstaat Uttar Pradesh, wo allein rund 80 Mandate zu holen sind, die Einigung zwischen der dort starken sozialdemokratischen Samajwadi Party (SP) und dem INC hinsichtlich Wahlkreisabsprachen bekanntgegeben wurde.

Seit Mitte Februar sind abermals Tausende Bauern zu einem »Marsch auf Delhi« auf der Straße, um garantierte Mindestabnahmepreise für Agrarerzeugnisse, Schuldenerlass und die Einführung einer Bauernrente zu fordern.

An dem PR-Desaster, das die Abgänge von JD-U und TMC aus I.N.D.I.A. aus­gelöst haben, ändert dies jedoch wenig. Und die Krise des noch jungen Oppositionsbündnisses wird in erster Linie der Führung der Kongresspartei angelastet – dort, so die Kritik, habe man bisher nicht gelernt, Partner mit gebührendem Respekt zu behandeln. Zwar ist der INC weiterhin die größte oppositionelle Partei von nationaler Bedeutung, er stellt aber inzwischen weniger als ein Zehntel der Abgeordneten in der Lok Sabha und spielt in etlichen Bundesstaaten nur noch eine Nebenrolle. Nach wie vor versuche der INC, allein seine Vorstellungen im Bündnis durchzudrücken, heißt es immer wieder vorwurfsvoll von Verbündeten. Auch Alleingänge wie eine landesweite Tour von Rahul Gandhi – dessen Familie mit Urgroßvater Jawaharlal Nehru, Großmutter Indira Gandhi und Vater Rajiv Gandhi drei indische Premierminister angehörten – kommen bei einigen regionalen Partnern nicht gut an.

Derweil hält sich Modi ein solides Wirtschaftswachstum und den Ende ­Januar eingeweihten riesigen neuen Ram Mandir, dem Rama-Tempel in Ayodhya, zugute, der an der Stelle einer 1992 von einem Hindu-Mob zerstörten Moschee erbaut wurde. Die BJP fordert nun die Umwandlung weiterer Moscheen in hinduistische Tempel mit noch größerem Nachdruck – das betrifft zum Beispiel die Gyanvapi-Moschee in Modis Wahlkreis Varanasi.

Mit solchen Debatten, die religiöse Konflikte anstacheln, lässt sich von ­unliebsamen Themen wie der weiterhin großen Armut, Angriffen auf Grundrechte wie die Pressefreiheit und den erneuten Bauernprotesten ablenken. Seit Mitte Februar sind abermals Tausende Bauern zu einem »Marsch auf Delhi« auf der Straße, um garantierte Mindestabnahmepreise für Agrarerzeugnisse, Schuldenerlass und die Einführung einer Bauernrente zu fordern. Vier Gesprächsrunden brachten bisher keine Einigung, die Polizeigewalt, mit der der Marsch aufgehalten werden sollte, hat derweil schon mehrere Todesopfer gefordert. 2020/2021 hatten die Bauern, die ein geschlagenes Jahr lang protestierten, die Regierung Modi zur Rücknahme dreier Gesetze zur Liberalisierung des Agrarmarkts gezwungen.