Die Serie »The Big Cigar« erzählt die Flucht des Black-Panther-Anführers Huey Newton

Flucht à la Hollywood

Mitte der Siebziger floh Huey Newton, Gründungsmitglied der Black Panther Party, vor der Strafverfolgung in den USA nach Kuba. Hilfe erhielt er von dem Filmproduzenten Bert Schneider. Die Serie »The Big Cigar« nimmt sich dieser Geschichte nun an.

Die Hollywood-Schauspielerin Susan Sarandon wähnte sich auf der vielbeschworenen richtigen Seite der Geschichte, als sie sich Mitte April am antiisraelischen Protest an der Columbia University in New York City beteiligte. In ihrer Rede sprach sie den Demonstranten, die ihre strophenartigen Sätze als menschliche Mikrophone wiederholten, Mut zu: »Ihr gebt mir und so vielen Menschen Hoffnung. Am Ende wird die Wahrheit siegen.« Bereits im November vergangenen Jahres kündigte United Talent Agency, eine der wichtigsten Schauspielagenturen der USA, die Zusammenarbeit mit ihr auf, nachdem sie auf einer Kundgebung zweifelhafte Äußerungen im Kontext des Kriegs gegen die Hamas von sich gegeben hatte.

Der radical chic, mit dem sich Sarandon als Fürsprecherin der Unterdrückten geriert, ist in der US-amerikanischen Filmbranche keineswegs neu. Bereits in den sechziger und siebziger Jahren war es in Hollywood en vogue, sich in eine Anti-Establishment-Pose zu werfen. Man denke nur an die Fotos von Jane Fonda, auf denen sie aus Protest gegen den Vietnam-Krieg der US-Regierung auf einer Flugabwehrkanone der Streitkräfte des feindlichen kommunistischen Nordvietnam sitzt. Oder an Marlon Brando, der sich bei der Oscar-Verleihung 1973 von der Aktivistin Sach­een Littlefeather vertreten ließ, die in Brandos Namen die Auszeichnung für dessen Hauptrolle in »Der Pate« ablehnte und eine wütende Rede über die Repression gegen die amerikanischen Ureinwohner hielt.

Ausladende Hemdkragen, weite Schlaghosen, erdige Retro-Farben und samtige Wildledersofas lassen zusammen mit einem treibenden Funk-Soundtrack die Ästhetik der Siebziger in jeder Sekunde aufleben.

Eine der schillerndsten Figuren aus der Riege der Hollywood-Aktivisten jener Zeit ist zweifellos der Produzent Bert Schneider. Als bereitwilliger Finanzier und Unterstützer der Black Panther Party verhalf er deren Mitgründer Huey Newton 1974 zur Flucht nach Kuba, nachdem dieser beschuldigt worden war, eine Prostituierte ermordet zu haben. Die Miniserie »The Big Cigar« erzählt nun diese fulminante Fluchtgeschichte, die ohnehin klingt, als könne sie nur aus der Feder eines Hollywood-Autors stammen.

Die sechs Episoden handeln aber nicht nur davon. In vielen Rückblenden wird Newtons Werdegang als Galionsfigur der militanten Black-Power-Bewegung nachgezeichnet: wie ihn immer wieder Polizisten drangsalieren und verprügeln, wie er und Bobby Seale als Reaktion auf die ausufernde Polizeigewalt im kalifornischen Oakland die Black Panther Party gründen und wie er die Zeit in Einzelhaft absitzt, als er für den Mord an einem Polizisten angeklagt ist.

Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Artikel von Joshuah Bearman, der 2013 in der US-Ausgabe des Playboy erschien und dort als »true-life 1970s Hollywood epic« angepriesen wurde. Und genauso verhält sich auch die Serie. Ausladende Hemdkragen, weite Schlaghosen, erdige Retro-Farben und samtige Wildledersofas lassen zusammen mit einem treibenden Funk-Soundtrack die Ästhetik der Siebziger in jeder Sekunde aufleben. Hinzu kommt der großzügige Einsatz von Splitscreens, wie er in den Filmen jener Zeit gern genutzt wurde.

Angesichts der launigen und arg gefälligen Inszenierung ist es nicht verwunderlich, dass die Serie sich einige Aussparungen genehmigt. So findet die Gewalt wenig Beachtung, die von den Mitgliedern der Black Panther Party ausging, darunter viele tödliche Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten. Huey Newton wird mehr als charismatischer Anführer gezeigt denn als der gewalttätige und herrische Hitzkopf, als den ihn einige Zeitgenossen beschrieben. Auch die antisemitischen Tendenzen innerhalb der Black Panther Party und ihre rigoros antizionistische Haltung kommen nicht vor, mehrmals aufgegriffen wird hingegen die jüdische Herkunft Bert Schneiders und seines Produzentenkollegen Stephen Blauner (P. J. Byrne), mit dem er Newtons Flucht organisiert.

Ambiguitäten lässt die Serie dennoch zu. André Holland, bekannt aus Berry Jenkins‘ »Moonlight«, spielt Newton vor allem als unsichere und mit sich hadernde Figur. Immer wieder sieht man ihn in Rückblenden mit seiner damaligen Partnerin Gwen Fontaine (Tiffany Boone) über seine Zweifel diskutieren. Hollands Newton sieht sich nicht länger als Symbol des bewaffneten Widerstands. Während in einer Szene das berühmte Foto von ihm auf einem Rattanstuhl sitzend mit Lederjacke, Gewehr und Lanze minutiös nachgestellt wird, grübelt er im Off über Foucaults Verständnis eines ikonischen Bildes: »If the image is iconic, the subject becomes impossi­ble to be anything else.«

Auch der Richtungsstreit innerhalb der Black Panther Party kommt zur Sprache. Als sich Newton mit einer Initiative für kostenloses Schulessen von der militanten Ausrichtung seiner Partei abwendet, kommt es zu schweren Zerwürfnissen innerhalb der Bewegung. Die einen stilisieren sich als strenge Guerilleros, die auf die Revolution warten, die anderen glauben an die kleinen Schritte der Reformpolitik. »We have to shift in order to survive, brother«, erklärt Newton einem Genossen einmal. Auch seine wachsende Paranoia spielt eine zentrale Rolle. Als er sich immer mehr und nicht unbegründet einer Bespitzelung durch das FBI ausgesetzt wähnt, verschanzt er sich wie ein wirrer Fürst in seinem (von Schneider finanzierten) Penthouse und späht mit dem Fernrohr die Straßen vor seinem Haus aus.

Neben Huey Newton ist es vor allem die exzentrische Figur Schneiders, gespielt von Alessandro Nivola, die die Serie trägt. Der New-Hollywood-Produzent war bekannt dafür, gern sein Scheckbuch zu zücken, wenn es um linken Aktivismus ging. Sein enormes Vermögen – bereits sein erster Film, der Gegenkultur-Klassiker »Easy Rider«, spielte bei einem Budget von nur 360 000 Dollar das 100fache davon ein – gab er bereitwillig für die »richtige« Sache aus. Wenn Schneider bei ausschweifenden Poolpartys nicht gerade eine Nase Koks nach der anderen zieht, schwadroniert er über die revolutionäre Kraft des Kinos. »I wanna finance the revolution«, verkündet er einmal großspurig.

Abgesehen von den vielen Rückblenden beschränkt sich die Handlung größtenteils auf die von skurrilen Missgeschicken geprägte und stümperhaft organisierte Flucht Newtons nach Kuba. Einmal macht sich der kubanische Flugkapitän mit dem im Voraus bezahlten Geld aus dem Staub, ein anderes Mal kentert das für die Überfahrt vorgesehene Segelboot, nachdem es eine Jesus-Statue gerammt hat, die zu Tauchzwecken vor der Küste Floridas versenkt worden war.

Dass sich Newton auf seiner Flucht Schneider komplett anvertraut, ist keine Selbstverständlichkeit. Als er ihm 1970 erstmals vorgestellt wird, begegnet er dem Möchtergern-Revolutionär aus Hollywood mit großer Skepsis. Der möchte nach seinen Erfolgen mit »Five Easy Pieces« und »The Last Picture Show« nur allzu gerne ein Biopic über Huey Newton produzieren. Newton lässt sich letztlich von der Hartnäckigkeit des Produzenten – und seinen Tausenden von Dollars – überzeugen. »Politics is telling a story. And Hollywood helps amplify my story«, rechtfertigt er seinen Entschluss rückblickend.

Obwohl der Film nie gedreht wird, freunden sich die beiden an, und so steht Newton vier Jahre später auf der Flucht vor dem FBI auf Schneiders Türschwelle. Um verdeckt über die Fluchtpläne sprechen zu können, fingiert Schneider zusammen mit Stephen Blauner kurzerhand ein neues Filmprojekt. »The Big Cigar«, so der Name des Projekts, ist der Codename für Kuba.

Diese aberwitzige Story, die noch dazu auf wahren Begebenheiten beruht, kommt einer Serien-Branche wie gerufen, die angesichts eines übersättigten Markts derzeit händeringend nach guten Geschichten sucht. Nur schade, dass sich »The Big Cigar« allzu sehr auf seine Vorlage aus dem Playboy verlässt, die keine Miniserie mit sechs Folgen trägt. Die vielen temporeichen Zeitsprünge zwischen 1967 und 1974 sorgen zudem oft für Verwirrung. In jenen Momenten wünscht man sich, Bert Schneider hätte sein Biopic über Huey Newton doch realisiert.

»The Big Cigar« kann bei Apple TV+ gestreamt werden.