Freitag, 18.08.2017 / 11:58 Uhr

Bloß nicht zu integriert

Von
Amed Sherwan

Ich habe ein Integrationsproblem. Dabei ist es gar nicht so, dass es mir schwer fällt, mich in die deutsche Gesellschaft einzuleben, im Gegenteil. Aber genau deswegen falle ich seltsamerweise immer wieder auf. Vielleicht bin ich einfach zu integriert?

Lieber Bier als Tee

Ich gehe lieber in die Kneipe als in den Kulturverein, denn ich trinke lieber Bier als Chai. Ich esse lieber vegetarisch als halal, rauche lieber Weed als Shisha und finde Frauen mit Dreadlocks schöner als mit Kopftuch. Ich tanze lieber bei LGBTI-Partys als in der Oriental-Disco und feiere lieber CSD als Eid. Ich gehe lieber Wandern als ins Fitnessstudio, spare lieber für eine Weltreise als auf ein Auto, und ich sage lieber Moin als Salaam.

Ich habe mir einen Spaß gemacht und den Spruch an meine eigenen religiösen Wurzeln angepasst, mir ein T-Shirt mit »Thank Allah I’m an Atheist« bedruckt und ein Foto davon auf Facebook veröffentlicht.

Wenn ich im Ausland gefragt werde, wo ich herkomme, sage ich Deutschland und empfinde das auch so. Deutschland ist derzeit meine Heimat, Kurdistan nur der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Mit meiner Flucht habe ich meine Vergangenheit hinter mich gelegt und alles Neue begeistert aufgesogen. Meine erste Zeit in Deutschland war ich das einzige Kind mit Migrationshintergrund in einem Kinderheim – ich musste einfach auch schnell ankommen, um nicht alleine zu sein.

Ich kenne viele Geflüchtete, die ihre Heimat vermissen. Sie mussten weg, wären aber viel lieber dort geblieben. Und nun hängen sie in einer Art kulturellem Niemandsland fest. Sie kommen nicht richtig an, haben aber auch keinen Kontakt mehr nach Hause. Sie isolieren sich in ihrem Communities, hören traurige Musik aus ihrer Heimat und zelebrieren ihre Kultur. Im Exil werden sie dabei oft viel traditioneller, als sie jemals in ihrer Heimat gewesen sind.

Ein Zoobesuch?

Komischerweise kommt das in der deutschen Gesellschaft teilweise gut an. Begeistert gehen Deutsche zu allen möglichen Kulturfesten, kosten kulinarische Kostproben, lauschen traditioneller Musik und lernen exotische Tänze. Wird da auch darüber diskutiert, wo die wirklichen kulturellen Unterschiede liegen und wie Zusammenleben funktioniert? Und werden da echte Freundschaften geschlossen? Für mich sieht es manchmal eher aus wie ein Zoobesuch.

Ich habe im Mittleren Osten nie traditionelle Musik gehört und fand Fast Food interessanter als das Essen meiner Mutter. Ich habe westliche Popmusik gehört, Simpsons geguckt und Minionsspiele gespielt. Ich wüsste nicht, warum ich plötzlich kurdische Tänze tanzen und mich für Kulturabende interessieren sollte? Ich kann mit dieser Exilkultur wenig anfangen und frage mich manchmal, warum viele Geflüchtete lieber ihre eigene Kultur feiern, statt die europäische kennenzulernen.

Dabei gibt es so viel zu entdecken. Manchmal ist es wie eine richtige Zeitreise. Natürlich lebt man im Mittleren Osten nicht auf dem Mond und hat schon vorher Einblick in europäische Kultur. Aber oftmals sind es sehr vage Vorstellungen – der Alltag in Europa wird in den Erzählungen auf der einen Seite glorifiziert und auf der anderen dämonisiert. Ich hatte deshalb eine sehr komische Vorstellung davon, wie Menschen hier miteinander umgehen, bis ich es selber kennengelernt habe.

Man lernt eher Dari als Deutsch

Insofern ist es aus meiner Sicht unglaublich wichtig, sich nicht zu isolieren, sondern zu konfrontieren. Aber viele Geflüchtete haben da weniger Glück als ich. Als junger Geflüchteter trifft man in den typischen Wohngruppen und Bildungsmaßnahmen wenn überhaupt keinen Querschnitt der deutschen Bevölkerung. Und in der Regel wird man mit anderen Geflüchteten zusammengesteckt und lernt eher Dari und Arabisch als Deutsch.

Auch inhaltlich haben die Integrationsmaßnahmen, die ich erlebt habe, nicht wirklich Neugier auf Deutschland geweckt. Sexualkunde, Politik und Menschenrechten standen bei mir erst auf dem Stundenplan, als ich in eine normale Schule gekommen bin. In allen den vorausgegangenen Maßnahmen sind wir fast nie über »Ich heiße Amed« und »Ich komme aus dem Irak« sowie das endlose Üben von »Entschuldigen Sie bitte!« und »Vielen Dank!« hinausgekommen.

Unter sich bleiben

Es ist daher eigentlich nicht verwunderlich, wenn viele Geflüchtete eher unter sich bleiben und nur sehr oberflächliche Beziehungen zu Deutschen aufbauen. Ich glaube, dass vielen die neue Welt einfach Angst macht. Also bleiben sie unter sich und finden Halt und Trost. Aber wenn sie Pech haben, enden sie damit genau wie einige Kurden, die ich kenne, die hier schon in zweiter Generation leben und trotzdem kaum Kontakte zu Deutschen pflegen.

Deutsche schauen mich aber oft genauso irritiert an, wenn ich ihre selbstverständliche Annahme, dass ich Muslim sei, verneine.

Es ist natürlich in Ordnung, wenn sie an ihrer Kultur festhalten. Solange sie damit keinem auf den Keks gehen, sollen sie doch so glücklich werden. Ich verstehe nur nicht, warum sie sich Europa als Zufluchtsort ausgesucht haben, wenn ihnen europäische Kultur so wenig gefällt. Und ich akzeptiere ganz sicher nicht, von denen darüber belehrt zu werden, wie ich mich zu verhalten und äußern habe, so als ob sie das Patent darauf haben, wie Geflüchtete zu sein haben.

Deutsche schauen mich aber oft genauso irritiert an, wenn ich ihre selbstverständliche Annahme, dass ich Muslim sei, verneine. Und sie meinen mich gelegentlich auch darüber belehren zu müssen, wie ich mich als Geflüchteter zu verhalten habe. Lustigerweise legen sie dabei nicht normale Maßstäbe für deutsche Teenager an. Nein, als geflüchteter Teenager muss man stets dankbar, höflich und tolerant sein – und auf keinen Fall wie ein stinknormaler aufmüpfiger Teenager.

‚Thank God I’m an Atheist‘

Der selbstironische Spruch »Thank God I’m an Atheist« ist weltweit unter Atheisten beliebt. Ich habe mir einen Spaß gemacht und den Spruch an meine eigenen religiösen Wurzeln angepasst, mir ein T-Shirt mit »Thank Allah I’m an Atheist« bedruckt und ein Foto davon auf Facebook veröffentlicht. In einer internationalen atheistischen Gruppe mit vielen Ex-Muslimen hat mir das Shirt fast 1000 Likes eingebracht und zahlreiche Anfragen dazu, wo man das Shirt bestellen könne.

Auf meinem privaten Profil fanden es auch viele lustig. Viele meinten aber, das sei erstens gefährlich und zweitens respektlos. Nicht nur gläubige Muslime, auch nichtgläubige Migranten und erwachsene Deutsche haben mich scharf kritisiert. Dass ich mit dem Spruch weder den Islam noch Muslime angreife, sondern mich über meinen eigenen Atheismus lustig mache, hat sie nicht gestört. Ich solle nicht »Allah« sondern »Gott« schreiben, um nicht unnötig zu provozieren.

Als ich deshalb einige Tage später auf einer Urlaubswanderung auf ein Kruzifix stieß und ein Foto davon mit dem atheistischen Wortwitz »Jesus ist für mich gestorben« gepostet habe, dachte ich auf der sicheren Seite zu sein. Aber auf meiner Seite wurde wieder heftig diskutiert zwischen denen, die diesen Witz harmlos, und jenen, die ihn provokativ und gotteslästerlich fanden. Mit einer solchen Attitüde sei es kein Wunder, wenn ich Drohungen ausgesetzt sei. 

Ich weiß, dass es auch streng religiöse christliche Gemeinschaften gibt, in denen die Jugendlichen nicht solche Witze machen dürfen. Aber die norddeutsche Jugendkultur, die mich umgibt, kennt keinen Respekt vor Religion, und für mich als Ex-Muslim ist das eine Befreiung. Aber ich habe den Verdacht, dass ich weniger Probleme hätte, wenn ich auf meiner Facebook-Seite kurdische Gedichte veröffentlichen würde statt norddeutsche Witze.