Freitag, 29.12.2017 / 13:31 Uhr

'Verschwundene" palästinensische Flüchtlinge im Libanon

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Laut UNRWA, der UN-Agentur zur Betreuung „palästinensischer Flüchtlinge“, sind 10% der libanesischen Bevölkerung eben „palästinensische Flüchtlinge“: „Rund 450.000 Flüchtlinge sind bei der UNRWA im Libanon registriert.“ Nun muss man wissen, dass „palästinensische Flüchtlinge“ sich per Definition von allen anderen Flüchtlingen auf der Welt grundsätzlich unterscheiden. Ein normaler, d.h. nichtpalästinensischer Flüchtling nämlich ist jemand, der von einem Ort an den anderen flieht, wo sofort alles unternommen werden sollte, damit er aufhört, Flüchtling zu sein. 1939 schon schrieb der britische Völkerrechtler Yewdall Jermings dass „der Status des Flüchtlings natürlich kein permanenter“ sein dürfe und es das Ziel von Flüchtlingspolitik sein müsse, „dass der Flüchtling sich dieses Status so schnell wie möglich entledigt, sei es durch Repatriierung oder durch Naturalisierung in seinem Zufluchtsland“.[1]

Was für die UNRWA eine schlechte Nachricht sein dürfte ist eine gute für die Betroffenen selbst, denn offenbar leben schlicht über 60% weniger Menschen unter den elenden Bedingungen der Lager im Libanon als angenommen.

Daran hat sich bis heute eigentlich nichts geändert, außer eben im Fall der UNRWA. Denn als „palästinensischer Flüchtling“ wird man geboren, es ist eine Art Eigenschaft, wie Haarfarbe oder Geschlecht und man vererbt sie auch weiter. Dafür existiert das ominöse „Rückkehrrecht“, auf das sich palästinensische Organisationen und ihre internationalen Unterstützter, wie etwa die BDS-Bewegung, berufen. Palästinenser nämlich haben angeblich nicht das Recht auf Einbürgerung in jenen Ländern, in denen sie seit Jahrzehnten leben, sondern eines auf Rückkehr in das Land, aus dem ihre Großeltern einst flohen.

Deshalb sind sie im Libanon auch keine Staatsbürger, egal ob sie dort schon in dritter Generation geboren wurden, sondern eine Art „Gäste“ ohne bürgerliche Rechte. Verwaltet werden sie von der UNRWA, die wiederum ein Interesse daran hat, dass möglichst viele dieser „Flüchtlinge“ existieren, denn je mehr es gibt, je mehr Geld erhält UNRWA.

Bislang hat, außer der UNRWA selbst, sich offenbar noch niemand die Mühe gemacht, nachzuzählen, wieviele Palästinenser es eigentlich gibt. So hielten sich über Jahre die von der UN angegebenen Zahlen – Tendenz steigend, denn es kommen qua Geburt ja ständig neue Flüchtlinge dazu.

Jetzt endlich wurde ein Zensus durchgeführt und die Ergebnisse veröffentlicht:

„Die erste Volkszählung der libanesischen Palästinenser hat ergeben, dass es in dem Land gut 174.000 Palästinenser gibt. Die Zählung wurde vom Libanesisch-Palästinensischen Dialogkomitee der Regierung in zwölf Flüchtlingslagern und ungefähr 150 informellen palästinensischen Siedlungen durchgeführt. Das Volkszählungsergebnis von 174.422 liegt unter der von vielen im Libanon angenommenen Zahl. (…) Zudem liegt es weit unter der Zahl von 469.331 Menschen, die im Libanon bei der UNO-Agentur für palästinensische Flüchtlinge registriert sind.

‚Die UNRWA verfügt über keine Gesamtzahl palästinensischer Flüchtlinge im Libanon. Was wir haben, sind die offiziellen Registrierungsvorgänge für die registrierten palästinensischen Flüchtlinge im Libanon’, erklärte die UNRWA-Sprecherin Huda Samra. ‚Wenn jemand sich im Libanon bei der UNRWA registriert und dann beschließt, den Libanon zu verlassen, wird uns das nicht mitgeteilt.’“

Was für die UNRWA eine schlechte Nachricht sein dürfte ist eine gute für die Betroffenen selbst, denn offenbar leben schlicht über 60% weniger Menschen unter den elenden Bedingungen der Lager im Libanon als angenommen. Außerdem könnte, wenn denn alle Beteiligten es wollten, so auch wesentlich einfacher eine Lösung des Problems gefunden werden. Seit Jahren schon scheitern Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern regelmäßig am „Rückkehrrecht“; keine israelische Regierung, die nicht lebensmüde wäre, könnte der Rückkehr von Millionen sogenannter Flüchtlinge zustimmen. Längst gibt es aber praktikable Vorschläge: Etwa dass ein Teil im Libanon endlich eingebürgert wird, ein Teil nach Europa oder in die USA migrieren und ein kleiner Teil auch nach Israel „zurückkehren“ kann, so noch enge familiäre Beziehungen bestehen oder es sich um humanitäre Härtefälle handelt.

Angesichts von Millionen von Flüchtlingen weltweit erscheint dieses Problem sogar eher mariginal, sollte denn der Wille bestehen, es anzugehen. Nur: Dieser Wille besteht nicht. Zu viele Akteure profitieren von dem chronischen und völlig überflüssigen Elend der Palästinenser im Libanon. Nicht zuletzt die UNRWA selbst.

Anmerkung:

[1] R. Yewdall Jermings, „Some International Aspects of the Refugee Question“, in: British Yearbook of International Law, London 1939, S. 63

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch