Dienstag, 02.01.2018 / 10:59 Uhr

Europa und der Iran

Von
Aus dem Netz

Jennifer Nathalie Pyka schreibt für die Salonkolumnisten über Europa und den Iran:

Ein Umsturz im Iran wäre dagegen eine äußerst ungemütliche Angelegenheit. Kein Mensch weiß, was danach kommt. Niemand hat eine Idee, was dann zu tun wäre. Die liebgewonnenen Autokraten würden nicht mehr ans Telefon gehen, stattdessen müsste man sich mit neuen Führungsfiguren arrangieren. Export-orientierte Unternehmen wären sauer und stünden ebenso in europäischen Außenämtern auf der Matte wie unzählige Vertreter aus der arabischen Nachbarschaft, deren Karten nun ebenfalls neu gemischt würden. Nicht zuletzt bekäme auch das eigene Image einige Kratzer ab. Ein neuer Post-Mullah-Iran wäre ein Ort, an dem auch die Verbrechen der Mullahs schonungslos offengelegt würden. Zu erklären, warum man sich mit eben jenen Mullahs jahrelang gemein machte, wäre keine sonderlich angenehme Aufgabe.

Kurzum, ein Ende des Status Quo wäre lästig und daher nichts für eine Politikergeneration, die es sich in puncto Nahost auf der Zuschauertribüne gemütlich gemacht hat. Die sich dabei nicht von humanitären Krisen oder nuklearen Ambitionen stören lässt und erst dann aus der Fassung gerät, wenn das eigene Interesse an „Stabilität“ berührt wird. Denn dann müsste man womöglich selbst etwas tun, und das überlässt man gemeinhin doch lieber den anderen (zumeist den Amerikanern). Die Europäer trifft man nie dort, wo es zählt, dafür aber immer dann, wenn es „Appelle an beide Seiten“ zu verteilen gilt und auf Leichenbergen an „Wiederaufbau“ gedacht werden kann. Revolution und Wandel klingen ausschließlich in Geschichtsbüchern gut, in der eigenen Amtszeit möchte man sie lieber nicht erleben.

Das gilt auch dann, wenn sich der nahöstliche Frieden als Friedhofsfrieden erweist und die Probleme Arabiens plötzlich vor der eigenen Tür stehen. Die Flüchtlingskrise ist das Resultat eines skrupellosen Zusammenspiels von „Stabilitätsgaranten“ wie Assad, Putin und Rohani, die sich von westlichen Idealen und völkerrechtlichen Prinzipien eher selten irritieren lassen. Sie ist aber auch das Resultat westlicher Abstinenz. Die Untätigkeit, die sowohl von Europa als auch von Amerika ausging, kostete in Syrien nicht nur hunderttausende Menschenleben, sondern erzeugte auch eine europäische Krise, auf die niemand eine gute Antwort findet. Während die Amerikaner schon länger begriffen haben, dass den eigenen Interessen – von Sicherheit bis Wohlstand – am besten gedient ist, wenn die Zahl freier, demokratischer Staaten wächst und die der unfreien Regime sinkt, klammern sich die Europäer beharrlich an das brüchige Stabilität-durch-Despotie-Modell und geben der Autokratie stets gern den Vorzug. Dass ein Ende der khomeinistischen Diktatur ein Segen wie auch eine Chance auf tatsächlichen Frieden wäre, hält der europäische Diplomat folglich für einen schlechten Scherz.