Dienstag, 16.01.2018 / 10:15 Uhr

Wofür eine halbe Million Syrer sterben mussten

Von
Aus dem Netz

In der taz bespricht Ulrich Gutmar den von Stephan Grigat herausgegeben Sammelband "Iran - Israel -Deutschland", der auch einer der Jungle World Abo-Prämien ist.:

Die wirtschaftliche Situation der iranischen Bevölkerung verschlechterte sich dadurch. Für die Syrer waren die Konsequenzen fatal. „Damit die sogenannte ‚Achse des Widerstands‘ gegen Israel zwischen Teheran, Damaskus und Beirut nicht am Sturz Assads zerbricht, mussten über eine halbe Million Menschen in Syrien sterben, Millionen sind auf der Flucht“, schreibt Andreas Benl. Andere Autorinnen des Bandes formulieren es weniger zugespitzt, kommen aber dennoch zu dem Schluss: Das Mullah-Regime ist einer der Hauptverantwortlichen für die syrische Katastrophe und die Massenflucht nach Europa.

Durch die Entwicklungen in Syrien und die westliche Nahostpolitik habe jeder Despot auf der Welt gelernt, „dass es ratsam ist, sich möglichst mit Russland und/oder dem Iran zu verbünden, und es sich durchaus auszahlt, Proteste mit aller nur erdenklichen Gewalt niederzuschlagen“.

Dass diese Massenflucht in Europa für erheblichen Konflikt gesorgt hat, dürfte ein Nebeneffekt sein, der ihren Verursachern durchaus zupasskommt, wie Thomas von der Osten-Sacken schreibt: „Die EU ist tief gespalten und außenpolitisch paralysiert, und im Nahen Osten spielen heute die USA und Europa kaum noch eine aktive Rolle. Die Hauptmitverursacher der Flüchtlingsströme aus Syrien, Russland und Iran werden zugleich als Partner hofiert, nicht etwa als Gegner behandelt.“

Schlimmer noch: Durch die Entwicklungen in Syrien und die westliche Nahostpolitik habe jeder Despot auf der Welt gelernt, „dass es ratsam ist, sich möglichst mit Russland und/oder dem Iran zu verbünden, und es sich durchaus auszahlt, Proteste mit aller nur erdenklichen Gewalt niederzuschlagen“. Wer hingegen gegen Tyrannen aufstehe, wisse, dass er sich auf den Westen nicht verlassen könne, schloss Osten-Sacken und prophezeite, trotzdem würden die Iraner wohl irgendwann einen nächsten Anlauf zum Sturz der Diktatur der Ajatollahs wagen. Im Oktober 2016, gut ein Jahr vor der jüngsten Protestwelle, die innerhalb weniger Tage das ganze Land erfasst hat, versammelten sich trotz erheblicher Störmanöver des Regimes Tausende von Iranern am Grab des altpersischen Königs Kuros. Dabei wurden Parolen gerufen, die schon 2009 zu hören waren und nun wieder zu hören sind: „Religiöses Regime – nur Tyrannei und Krieg“; „Nein zu Gaza, nein zum Libanon, mein Leben nur für den Iran“.

Trotz der syrischen Katastrophe, trotz der destruktiven Folgen der iranischen Außenpolitik in Irak, Jemen und für den israelisch-palästinensischen Konflikt, trotz der eklatanten Menschenrechtsverletzungen durch die Islamische Republik, trotz ihrer frauenfeindlichen, antimodernen, antisemitischen und islamistischen Ideologie, trotz des bereits vor Jahrzehnten selbst von dessen Befürwortern als gescheitert erklärten „kritischen Dialogs“ mit dem Iran halten quer über die Partei­grenzen hinweg führende deutsche Politiker weiterhin an der Idee fest, das Regime sei ein Garant für Stabilität in der Region.

Die deutsche Außenpolitik beruhe auf einer Reihe von Annahmen, die sich als illusionär erwiesen hätten, schreibt Ulrike Becker. Eine dieser Annahmen besteht darin, das Regime sei in „Hardliner“ und „gemäßigte Reformer“ gespalten, folglich gelte es, Letztere zu stärken. Dabei unterscheiden sich diese beiden Lager lediglich in ihren Strategien. Auch die „Reformer“ stellen weder die Herrschaftspraxis noch die Ideologie der Islamischen Republik infrage, in deren Zentrum „der Export der Revolution bzw. die Ausbreitung der Herrschaft des Islam über die Grenzen des Iran hinaus und der Antisemitismus stehen mit der Staatsdoktrin, Israel zerstören zu wollen“, wie Becker schreibt.

Die Feindschaft gegen Israel sei das wichtigste Thema, bei dem es eine fast vollständige Übereinstimmung zwischen den wesentlichen politischen Flügeln des iranischen Establishments gebe, ergänzt Raz Zimmt. Das „Nein zu Gaza“ der Iraner auf den Straßen aber richtet sich ausdrücklich gegen diesen Antisemitismus, der zum ideologischen Kernbestand des islamistischen Regimes gehört.

Unter dem als „Reformer“ geltenden Präsidenten Rohani werden derzeit jährlich mehr Menschen hingerichtet als unter dem „Hardliner“ Ahmadinedschad. Das ist wenig verwunderlich, sofern Fathiyeh Naghibzadeh mit ihrer Analyse recht hat: Die sogenannten Pragmatiker wüssten sehr genau, „dass ihr politisches Überleben ohne die terroristischen Prinzipien der Islamischen Republik und die despotische Herrschaft des religiösen Führers unmöglich ist“.

Die deutsche Außenpolitik verharrt jedoch in der Vorstellung, man könne wie seinerzeit im Ostblock „Wandel durch Handel“ herbeiführen. Es waren nach Abschluss des Atomabkommens nur wenige Tage vergangen, da landete Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als erster westlicher Spitzenpolitiker in Teheran, begleitet von einer hundertköpfigen Delegation aus der Wirtschaft. Die Illusionen der deutschen Außenpolitik und die Exporthoffnungen der deutschen Wirtschaft könnten den bemerkenswerten Vorgang erklären, der sich erst vor einigen Tagen abspielte.

Ajatollah Mahmud Haschemi Schahrudi gilt als möglicher Nachfolger von Ajatollah Chamenei. Von 1999 bis 2009 war er Vorsitzender des Obersten Gerichtshofes des Iran. In dieser Zeit war er für zahlreiche Hinrichtungen verantwortlich, mehr als 2.000 Urteile, auch gegen Kinder, die von der iranischen Justiz in diesen zehn Jahren vollstreckt wurden. Schahrudi hat sich anscheinend schon seit dem 21. Dezember in einer Klinik in Hannover medizinisch behandeln lassen.