Sonntag, 18.02.2018 / 21:26 Uhr

Münchner Sicherheitskonferenz: Gruseln am Sonntagnachmittag

Von
Philipp Thiée

Was man an einem Sonntag, an dem man im Bett liegend, Serien sehen, Schokoladeneis frühstücken und vieles anderes tun könnte, nicht machen sollte: Sich die Münchner Sicherheitskonferenz im Livestream anschauen. Das ist das pure Grauen ... mit einer Ausnahme (den Aufritt Netanjahus habe ich nicht mitbekommen), die eigentlich keine sein sollte: Der Rede ausgerechnet des saudischen Außenministers:

Den Beginn machte eine Diskussionsrunde zum Nahen Osten. Das Thema hat man wohl extra  besonders allgemein gehalten, damit keiner der Teilnehmer aus seiner eigenen Realität heraustreten muss.

Auftritt türkischer Außenminister

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu macht den Anfang. Er macht schnell und klar deutlich, dass er in seiner ganz eigenen Welt lebt. Er führt aus, dass die Türkei gegen die YPG, ISIS, Al Nusra und alle terroristischen Gruppen seien. Dank Sotchi und Astana, das "wir", womit wohl die Türkei gemeint ist, jetzt mit Genf verbinden, sei die Situation in Syrien - "on the ground" - viel besser geworden. Naja, in Idlib gäbe es noch Probleme. Man würde jetzt aber auch über Wahlen sprechen, die in Syrien abgehalten werden sollen. Und es gäbe eine Transition. 

Außerdem solle man doch endlich mal über die Palästinenser reden. Dann wären alle Probleme des Nahen Ostens gelöst.

Auch hätte es im gemeinsamen Kampf gegen Daesh viele Erfolge gegeben - "Which is good. Wir haben sie aber noch nicht ganz besiegt". Die YPG habe in Raqqa mit Daesh kooperiert und jetzt zwinge sie christliche Kinder gegen die Türkei zu kämpfen. Da liegt es nah, dass die YPG auch Daesh Kämpfer entlassen habe und mit ihnen jetzt Schulter an Schulter gegen türkische Truppen stünde.

Mal über die Palästinenser reden

Der libanesische Verteidigungsminister Yacoub Riad Sarraf zittert vor Nervosität. Jedoch schafft er es bravorös in seinem ganzen Beitrag über die Lage im Libanon nicht einmal den Namen Hizbollah in den Mund zu nehmen. 

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Aboul-Gheit, weisst darauf hin, dass der Arabische Frühling keine Revolution gewesen sei und es daher auch keine Konterrevolution gebe. Es sei einfach alles eine Katastrophe. Außerdem solle man doch endlich mal über die Palästinenser reden. Dann wären alle Probleme des Nahen Ostens gelöst. Das hatte natürlich auch schon Çavuşoğlu in seinem Statement ganz am Anfang gesagt. Es kam also nicht ganz aus dem Nichts. Die Andeutung, dass Israel Daesh gegründet hätte, wurde nicht so richtig ausgeführt, was eigentlich schade ist, denn es hatte ja schon Çavuşoğlu keiner widersprochen, als aus YPG und DAESH eins wurde und die Türkei offensichtlich den Sieg über letztere schon fast errungen hätte, wenn nicht die PKK ISIS gerettet hätte. 

"Very wise words" kommentiert die Moderatorin Herrn Aboul-Gheit.

Dann spricht Aleksey Pushkov der Vorsitzende des Ausschusses für Information und Medien der Russischen Föderation - mit diesem Amt offensichtlich der zuständige Mann, wenn es um Darstellung russischer Außenpolitik  im Westen geht. In Syrien gäbe es jetzt weniger Terroristen, Assad sei der einzig legitime Präsident. Es gäbe niemanden, der sich mit irgendeiner Legitimität gegen Assad stellen dürfe. Pushkov geniesst es sichtlich, dass er von der BBC-Moderatorin als Vertreter der Macht angesprochen wird, von der jetzt alle erwarten, dass sie die Probleme des Nahen Ostens lösen wird. Wenn andere reden scheint er zu schlafen. Ansonsten hat er auch nicht richtig viel zu sagen. Er ist stolz, dass jetzt Sotchi und nicht Genf im Zentrum steht.

Daher fällt ihm auch nicht weiter auf, dass in keiner dieser beiden Städte irgend eine Lösung für Syrien entwickelt wurde. Auf die Frage, warum durch die USA und die SDF denn wahrscheinlich circa 100 russische Söldner der Firma Wagner getötet wurden, obwohl Putin zum wiederholten mal den Sieg erklärt und Truppenabzüge beschlossen hat, hat er auch keine Antwort, da die Frage ihm erst gar nicht gestellt wurde. 

Was John Kerry alles nicht sagte

John Kerry wird schliesslich aus dem Publikum gefragt, wie es sich denn so anfühlt als Amerikaner völlig an der Seite zu stehen, wenn es um internationale Politik geht. Er antwortet nicht, dass das ja nicht stimmen würde, schliesslich habe man es geschafft, dass die YPG jetzt SDF heisst und man mit der zusammen dann Daesh nahezu besiegt habe. Ausserdem sei der Welt vor Augen geführt worden, dass die russischen Truppen in Syrien durchaus angreifbar wären, so dass man auch vor einer osmanischen Ohrfeige keine Angst haben brauche. Der Massenmörder Assad sollte sich auch nicht zu sehr in Sicherheit wiegen. Da die Türkei Jahre unfähig gewesen sei, zu verhindern, dass ISIS Kämpfer an die Grenze kommen, hätte man erkannt, dass die Stalinisten aus den Kandilbergen halt zuverlässigere Partner sind, weil sie vollkommen von einer Großmacht hinter ihnen abhängig seien. 

Er ist ja auch nicht mehr Teil der aktuellen Administration, die es selbst offensichtlich nicht geschafft hat, jemanden zu finden, der qualifiziert genug wäre, in München ein außenpolitisches Konzept zu vertreten. Wer sollte von denen auch kommen?

Die letzten Tagen waren nicht nur in Idlib, sondern gerade in Ost Ghouta bei Damaskus die blutigsten Tage seit Jahren

Kerry antwortet statt dessen gerade heraus, man habe es geschafft, zusammen mit den russischen Partnern Assad seine Chemiewaffen abzunehmen!!!

Staffan de Mistura sieht Fortschritte. Als Diplomat muss man immer das Positive sehen. Dass jetzt plötzlich so viele Armeen in Syrien seien, sei schon bedenklich. Da aber irgendwer in der Runde festgestellt hat, dass es keinen Proxykrieg in Syrien gäbe, scheint das nicht so schlimm zu sein.

Doch plötzlich passiert etwas unerwartetes. Im Publikum steht einer auf, der sich als Harriri vorstellt und arabisch spricht. Er sagt, dass er überhaupt nicht verstehe worüber auf dem Podium geredet würde. Es gäbe circa 500.000 Tote. Wahrscheinlich seien bis auf 5 % davon alles Zivilisten. Fast alle seien durch das Regime ermordet worden.  Mehrere Millionen Menschen seien auf der Flucht. Es sei inzwischen durch unabhängige Untersuchungen nachgewiesen worden, dass durch Assad Giftgas gegen Zivilisten eingesetzt worden sei. Das sei vielleicht 20 mal seit der "Entwaffnung" geschehen. Jetzt im Moment würde in Syrien bombardiert. 

In der Tat waren die letzten Tagen nicht nur in Idlib, was immerhin durch Çavuşoğlu noch in einem Restanflug von Realitätswahrnehmung erwähnt wurde, sondern gerade in Ost Ghouta bei Damaskus die blutigsten Tage seit Jahren - von den Verlusten Israels, Irans, der Türkei und Russlands der letzten Tage ganz zu schweigen.

Eine Antwort weiß auf diesen Realitätsschock keiner - außer John Kerry: Er sei ja nicht doof. Natürlich hätte man auch beim Abtransport des Chemiewaffen aus Syrien gewusst, dass man nur die deklarierten Waffen abtransportiert. Es wäre doch klar, dass es undeklarierte Depots gibt. Nur wenn man das damals nicht gemacht hätte, dann hätten jetzt Daesh diese Chemiewaffen. Und dann wäre die Situation auch für Paris, Beirut und andere Städte außerhalb Syriens jetzt eine ganz andere.Ach so...

An dem Punkt ist die Zeit Gott sei dank vorbei. Aber nur für dieses Panel.

Für einen starken persischen Golf

Denn als nächstes darf Mohammad Javad Zarif, der iranische Außenminister ans Mikrofon. 

Es gäbe keine iranischen Truppen an der Grenze zu Israel. Und was man da so hören würde gegen den Iran, sei alles wie Comicbilder mit denen man anderen für die eigenen Fehler die Schuld geben würde, um die innenpolitischen Krisen zu übertünchen. Er wolle auch lieber über die Golf Region reden. Die Zeit der Hegemonie einzelner Länder sei vorbei. Der Helsinki-Prozess sei ein gutes Vorbild für die Golfregion. Man müsse eine starke Region schaffen mit einer neuen Sicherheitsarchitektur. Europa atmet auf.

Herr Ischinger, der Organisator der Konferenz, freut sich so; ihm fällt gar nicht auf, dass Zarif statt vom Golf dauernd von persischen Golf spricht. Auf die Frage, was passieren muss, damit Iran Israels Existenzrecht anerkennt, sagt Zarif es gäbe ein Problem allgemein mit Aggressivität in der Welt und mit der kriminellen Politik Israels auch und das seit Jahren... und manche ließen es zu, dass Israel davon ablenken kann. Womit er von der Frage, die ihm gestellt wurde, genug abgelenkt hatte, so dass Ischinger zu einem anderen Thema übergehen konnte.

Die Moderatorin des BR ist im Anschluss ganz glücklich. Die Rede sei so sachlich gewesen, so ganz anders als die von Netanjahu. Die Teheran Korrespondentin der ARD, Natalie Amiri, sagt darauf hin nicht, dass er halt immer um den Punkt herum redet. Sie sagt nicht, dass im iranischen TV Spots liefen, die Minderjährige dazu aufgefordert haben, in Syrien zur Verteidigung des Grabes von Zeinab zu Kämpfen. Sie sagt nicht, dass die Aufhebung der Sanktionen zwar Geld ins Land gespühlt haben, aber nichts bei der Bevölkerung angekommen ist. Sie sagt nicht, dass dem Regime deshalb die eigene Basis bei Protesten im Januar vorgehalten hat, statt sich um Syrien, Gaza und den Jemen zu kümmern, solle besser im Iran investiert werden. Sie sagt nicht, dass auf Iranischen Raketen die Namen israelischer Städte stehen. Sie sagt auch nicht, dass im Iran vom Regime plakatiert wurde Bush hätte ihnen den Irak, Obama ihnen Syrien und Trump würde ihnen Israel schenken. Sie versucht nicht zu erklären, warum jüngst der aussichtsreiche Nachfolger von Rohani, der Mullah Raisi, Hisbollahstellungen an der Israelischen Grenze inspiziert hat.

Sie sagt aber: Zarif betont, was er immer sagt, es muss verhandelt werden. Ausserdem hätten die Iraner andere Probleme als Krieg. Die seien nämlich zu 35 % arm.

Saudischer Außenminister für lebenswerte Zukunft

 Und dann kommt zuletzt der bizarrste Auftritt der Konferenz: Adel bin Ahmed Al-Jubeir, der Außenminister Saudi Arabiens.

Plötzlich spricht der erste Referent auf dem Podium über Erwartungen von Individuen auf eine glückliche Zukunft im nahen Osten und der Notwendigkeit von Reformen im eigenen Land.

Er beschreibt einfach so, dass Saudi Arabien vor Herausforderungen steht. Man habe erkannt, dass die Bevölkerung jung sei und man ihnen eine lebenswerte Perspektive in der Zukunft geben müsse. Deshalb müsse man die Gesellschaft reformieren. Saudi Arabien würde in viele Projekte investieren, um der saudischen Jugend eine vielfältige Zukunft zu ermöglichen. Es müsse auch eine gesellschaftliche Öffnung geben. Plötzlich spricht der erste Referent auf dem Podium über Erwartungen von Individuen auf eine glückliche Zukunft im nahen Osten und der Notwendigkeit von Reformen im eigenen Land. Dann fragt er, ob ihm irgendwer auch nur den Namen eines Krankenhauses oder eines Projektes für die Bevölkerung des Irans nennen könne, welches vom Iran nach dem Fall der Sanktionen mit dem neuen Geld geschaffen worden sei. Da auch sonst keiner Fragen, die ihm gestellt werden, auf dieser Konferenz beantwortet, gibt Al-Jubeir die Antwort selber: Iran habe nur aufgerüstet und seine Präsenz in anderen Ländern verstärkt: Houthi, Hizbollah...

Warum ausgerechnet der Außenminister von Saudi Arabien, das selber im Kampf gegen den Iran im Jemen brutal vorgeht, der einzige ist, der von allen hier Genannten auf dem Podium, meint, dass die Jugend im Mittleren Osten ein Glücksversprechen braucht und Regierungen nicht nur über Erfolge und Sicherheitsarchitektur reden sollten, kann eigentlich nur zwei Gründe haben:

Entweder will er den Europäern nach dem Mund reden und hat nicht verstanden, dass hier keiner mehr an Glücksversprechen glaubt und man sie den arabischen Moslems auch nicht gönnt. Viel besser ist es über Dialoge, Arbeitsgruppen, Versprechen und Verträge zu reden. So wie es das iranische Regime tut. Das ist sachlich... nach hiesigem Verständnis. Dann wäre Al-Jubeir halt dumm und würde die falsche Musik spielen.

Oder er hat erkannt, dass es besser ist, wenn kurzfristig einige Funktionsträger des eigenen Regimes mit dem Hubschrauber abstürzen, Frauen Autos fahren, in Fußballstadien gehen dürfen und allgemein Kinos in Saudi Arabien aufmachen. Denn die Alternative könnte es sein, das man eines Tages in Muammar Gadaffis Fußstapfen tritt. Im Gegensatz zu Zarif will Al Jubeir es auf diese Kraftprobe vielleicht nicht ankommen lassen.

Und so schalte ich den Livestream der Münchner Sicherheitskonferenz ab und stelle mir die Realität jetzt so vor, dass das Königshaus der Familie Saud die letzten sind, die noch - wenn auch verbrüchlich - für Humanismus in der Internationalen Politik stehen. Nächsten Sonntag schaue ich mir, wenn mir nochmal nach Nahem Osten ist, lieber einen Film von Mia Khalifa an.