Mittwoch, 18.07.2018 / 16:24 Uhr

Kleine Richtigstellung in eigener Sache

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Ein Interview, das Stefan Laurin mit mir für die Ruhbarone führte:

Der Publizist und Buchautor Thomas von der Osten-Sacken wurde lange Zeit wegen seiner israelsolidarischen Haltung angefeindet. Nun wirft ihm die  Zeitschrift Bahamas vor, zum Gegner Israels geworden zu sein. Stefan Laurin sprach mit Thomas von der Osten-Sacken.

Ruhrbarone: Du hast heute online einem  Beitrag in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Bahamas widersprochen. Was war geschehen?

Thomas von der Osten-Sacken: Vorab: Normalerweise reagiere ich nicht auf Denunziationen und Verleumdungen, aber in diesem Fall hat ein Autor schon eine rote Linie überschritten. In der letzten Ausgabe der Zeitschrift Bahamas behauptet Martin Stobbe, ich „wünschte (mir) in einem Beitrag für Mena-Watch einen ‚friedlichen‘ Marsch Zehntausender auf Israels Grenzen herbei, die ‚statt AK-47-Gwehren, Zwillen oder Molotow-Cocktails nur Olivenzweige in den Händen‘ halten. In dem unbedingten Willen, Grenzen fallen zu sehen, fällt ihm nicht einmal auf, dass die Erstürmung einer Grenze, ob mit oder ohne Waffen, gar nicht friedlich sein kann, sondern einen gewalttätigen Akt gegen einen souveränen Staat darstellt.“

'Es war in den 90er Jahren und vor allem nach Ausbruch der so genannten Al Aqsa Intifada und dann 9/11 enorm wichtig gewesen ist, linken Antisemitismus, der sich als Antizionismus oder Israelkritik verkleidet, anzugreifen, zu entlarven und eben auch zu spalten.'

Was ich geschrieben habe? Nun es ging um eine Diskussion, die ich mit Thomas Eppinger führte, ob gewaltfreier Protest nicht langfristig für Israel gefährlicher werden könnte, als die Ausschreitungen während des so genannten March of Return.

Ich schrieb in dem Beitrag:

„Die Idee und der Plan, Israel mit gewaltfreien Mitteln zu konfrontieren, nämlich ist auch nach den Ereignissen im Mai keineswegs begraben. Aus welchen Gründen auch immer die Proteste so eskalierten, sie müssen es das nächste Mal nicht wieder tun. Damit stellt sich erneut die zentrale Frage: Was, wenn eines Tages Zehntausende nur mit Olivenzweigen und Bildern von Gandhi, Mandela und Lind in den Händen auf die Grenzen zumarschieren? Wie werden israelische Sicherheitskräfte und Armee dann regieren? Ich bin überzeugt, ein solches Szenario birgt für Israel eine weit größere Gefahr als ein paar mit Brandsätzen bestückte Flugdrachen. Denn es würde die israelische Gesellschaft vor eine moralische Zerreißprobe stellen.

Solange sich die Situation im Gazastreifen nicht grundlegend ändert – auf absehbare Zeit bleibt ein „Free Gaza from Hamas“ wohl Wunschtraum –, wird es immer wieder zu Protesten, Ausschreitungen, Demonstrationen und militärischen Konflikten kommen. Heute leben in Gaza fast zwei Millionen Menschen, bald werden es 2,5 Millionen sein. Die einen fordern eine Verbesserung ihrer Lebenssituationen und geben Israel, Ägypten und der Hamas gleichermaßen die Schuld, andere träumen – angestachelt auch von einer völlig unverantwortlichen internationalen Politik, die sie in dem Irrglauben unterstützt, sie hätten irgendwo in Israel ein Heim – von einer Rückkehr, die es so nicht geben wird und wieder andere sehen sich im Auftrag Allahs bestimmt, das „zionistische Gebilde“ zu zerstören. (…)

'Auf der anderen Seite hätte auch nie jemand erwartet, dass ein Muqtada Al-Sadr, der früher ein übler Milizführer war, vor einigen Jahren Gewaltfreiheit bei Massendemonstrationen für sich entdecken würde.'

Zugleich wird, auch das ist, ob man will oder nicht, ein Fakt, der Gazastreifen auch in Zukunft in der unmittelbaren Nachbarschaft Israels verbleiben. Für einige Zeit mögen Grenzzäune, ägyptische Interventionen und scharfe Schüsse diese Grenze weiter sichern, der 14. Mai hat allerdings gezeigt, wie wenig ein Zaun auszurichten vermag, sollten eines Tages wirklich Zehntausende bereit sein, ihn unter allen Umständen zu überwinden, bzw. welcher Preis dann gezahlt werden müsste.“ In dem Bahamas-Artikel behauptet der Autor nun, ich hätte meine „Israel-Solidarität“ aufgekündigt und das grenzt dann schon einerseits an Rufschädigung, andererseits betrifft es etwas, was mir Zeit meines Lebens ganz wichtig gewesen ist: Die Verteidigung Israels und der Kampf gegen alle Formen von Antisemitismus.

Ruhrbarone: Antisemitismus tritt in Deutschland immer offener zu Tage, Juden werden direkt angegriffen, die antisemitische BDS-Bewegung  gewinnt an Boden. Wäre es nicht sinnvoller, zusammen zu arbeiten anstatt sich in solche Streitigkeiten zu verkämpfen?

Thomas von der Osten-Sacken:  Nun, ich habe keinerlei Streit angefangen und bin seit je her der Ansicht, dass linke Grabenkämpfe nicht besonders fruchtbar sind, außer es geht wirklich um ganz existentielle Fragen. Die zur Haltung gegenüber Israel war so eine, weshalb es in den 90er Jahren und vor allem nach Ausbruch der so genannten Al Aqsa Intifada und dann 9/11 enorm wichtig gewesen ist, linken Antisemitismus, der sich als Antizionismus oder Israelkritik verkleidet, anzugreifen, zu entlarven und eben auch zu spalten. Um so wichtiger wäre es natürlich heute, die unzähligen Gefahren mit denen einerseits sich Israel konfrontiert sieht, die andererseits von altem und neuem Antisemitismus in Europa und Deutschland ausgeht, mit allen möglichen Mitteln zu bekämpfen.

Ruhrbarone: Hältst Du einen palästinensischen Gandhi wirklich für realistisch? Die Führung der Hamas und anderer palästinensischer Gruppen setzt nach wie vor vor allem auf Terror und Gewalt.

Thomas von der Osten-Sacken:   Erst einmal halte ich Gandhi für keine besonders sympathische Figur. Alleine seine Äußerungen zu Frauen sprechen Bände. Ich habe Szenarien ausgemalt, einfach weil im Nahen Osten sehr viel in Bewegung ist und das Thema Gewaltfreiheit seit dem arabischen Frühling eine ganz neue Bedeutung gewonnen hat. Ursprünglich sollten diese Demonstrationen gegen Israel im Frühjahr wohl wirklich gewaltfrei vonstatten gehen und wurden dann von der Hamas übernommen und instrumentalisiert. Ob bei der in Gaza leider vorherrschenden politischen (Un)-Kultur sich so etwas durchsetzen kann, weiß ich nicht. Auf der anderen Seite hätte auch nie jemand erwartet, dass ein Muqtada Al-Sadr, der früher ein übler Milizführer war, vor einigen Jahren Gewaltfreiheit bei Massendemonstrationen für sich entdecken würde. Veränderungen im Nahen Osten können sehr schnell gehen und ich weiß, dass palästinensische Aktivisten seit Jahren über neue Formen des gewaltfreien Protestes und Widerstandes diskutieren.

Das heißt nicht, das ihre Ziele sympathisch sind. Es geht um die Mittel und welche Auswirkungen sie auf Israel hätten. Meine Sorge ist: Wie reagiert eine israelische Öffentlichkeit, wenn eines Tages wirklich Zehntausende nach dem Vorbild von Gandhis Salzmarsch auf den Grenzzaun zumarschieren und ihn zu überwinden versuchen?

Ruhrbarone: Das wäre eine existenzielle Bedrohung Israels.

Thomas von der Osten-Sacken:   Das ist ein Szenario, über das ich mal vor vielen Jahren  mit jemandem aus dem israelischen Sicherheitsestablishment gesprochen habe. Der meinte damals, genau vor solchen Szenarien hätten sie weit mehr Angst als vor gewalttätigen Palästinensern. Und umgekehrt meinte Anfang der 90er Jahre ein Vertreter der KP-Palästinas in Gaza bei einem Gespräch, nicht mit Waffen, sondern den Mitteln von Gandhi und den Slogans von Mandela „One Man, one Vote“ ließe sich Israel zerstören.

Ruhrbarone: Es geht also immer um die Zerstörung Israels, nie um die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Palästinenser in Gaza oder der Westbank?

Thomas von der Osten-Sacken:   Nicht unbedingt. Aber das war auch gar nicht mein Thema. Die Lage in Gaza ist auf Dauer nicht haltbar. Und Gaza bleibt, ob man es will oder nicht, ein Nachbar Israels. Da leben inzwischen fast zwei Millionen Menschen auf engstem Raum, ohne Perspektive, der Propaganda der Hamas in Schulen und Moscheen ausgesetzt. Das hat so keine Zukunft und wird früher oder später explodieren. Und niemand hat eine wirkliche Idee, wie man diese Situation ändern könnte. Man klammert sich, wie so oft im Nahen Osten, an einen unhaltbaren Status Quo. Wie es aussieht, sind sehr viele Menschen sehr unzufrieden mit der Herrschaft der Hamas, nur, würden sie aufbegehren, erlitten sie das Schicksal der Protestierenden in Syrien oder anderswo. Wie viele Menschen nun wirklich die Zerstörung Israels wollen, kann man unmöglich sagen. Was wir wissen: Sie ist das offizielle Ziel und Programm der Hamas und ihrer Paten in Teheran. Solange sich die Situation in Gaza nicht ändert, besteht also kaum Hoffnung und zugleich profitiert wiederum die Hamas (noch) davon, dass die Situation so schlecht ist. Das unter anderem nannte ich in dem inkriminierten Beitrag ‚Das Dilemma von Gaza‘.