Montag, 20.08.2018 / 09:55 Uhr

Deutschland, an der Seite der Mullahs gegen die iranische Bevölkerung

Von
Gastbeitrag von Matthias Küntzel

Allerortens begehren die Iranerinnen und Iraner auf. Was sie eint, ist die Hoffnung auf einen Sturz des Regimes. Deutschland aber hört nicht nur weg, sondern geriert sich als dessen Helfer in der Not.

Es war kein Zufall, dass es vorletzten Freitag beim Fußballmatch zwischen Tractor Sazi Täbris und Esteghlal Teheran die Fans aus Täbris waren, die Sprechchöre gegen das Regime initiierten. Tractor Sazi ist die Mannschaft der iranischen Nordprovinz Aserbaidschan; 90 Prozent seiner Fans gehören der im Iran diskriminierten Minderheit der Aserbaidschaner an. Dann aber fielen auch die Anhänger der Heimmannschaft im Teheraner Azadi-Stadion in die Sprechchöre ein, wobei zeitweilig die erste Hälfte einer Parole von den Täbris-Fans und deren zweite Hälfte von den Esteghlal-Anhängern aus Teheran gerufen wurde. Massenhaft verbreiteten sich auf diese Weise Slogans wie „Tod dem Diktator!“, „Wir holen uns den Iran zurück!“ oder „Endstation für die Mullahs!“ Die Wut auf das Regime erreichte im Spielverlauf eine derartige Lautstärke, dass sich das iranische Staatsfernsehen, das das Spiel live übertrug, genötigt sah, den Ton aus dem Stadium zeitweise herunterzudrehen oder ganz abzustellen.[1]

Der Wandel der Stimmung wird auch im Wandel der Parolen evident: „Fürchtet euch nicht, denn wir stehen zusammen!“, rief man.

Der Parolenpegel im Azadi-Stadion kennzeichnet die Stimmung im Iran. Während das Regime noch im Januar den Versuch einer antiamerikanischen Großdemonstration unternahm, kann es sich derzeit eine derartige Mobilisierung nicht mehr leisten: Die Gefahr, dass Regimekritik alles übertönt, ist zu groß.

Einen Beleg für die neue Stimmung liefert die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur, der man übertriebene Kritik am Regime nicht vorwerfen kann. Es sei „tragisch“, erklärte sie nach einem kürzlich erfolgten Iranbesuch, dass die iranische Jugend auf eine „Form des Regime-Change setzt, also letztlich das machen möchte, was Trump ja eigentlich auch will“. Man könne dies jedoch  „auch irgendwo verstehen“, fuhr sie fort. Es scheine sich

„da wirklich so ein Graben zwischen den Generationen aufzutun, dass die jungen Leute, die die Revolution eben nicht mehr miterlebt haben von ‘78/’79, dass die sagen, ja nun, dann ist es eben so. Wir haben so viel auf Reformen gesetzt, wir haben so viel vertraut darauf, dass wirklich was passieren kann von innen heraus. Aber es hat alles nicht gefruchtet, und dann muss es vielleicht wirklich mal zu diesen harten Maßnahmen [wie von Trump vorgesehen] kommen. Dass eben aufgrund von solchen harten wirtschaftlichen Sanktionen, von so einer schlimmen wirtschaftlichen Lage die Menschen auf die Straße gehen und dann eben eventuell das Regime stürzen.“[2]

Amipurs Einschätzung, dass es „vor allem unter jungen Leuten … sehr viele Befürworter dieses Trump’schen Kurses“ gebe, trifft einen Punkt. Natürlich sehnen sich besonders die unter 30-jährigen, die 50 Prozent der iranischen Bevölkerung stellen, nach Freiheit. Gleichzeitig aber hat die gegenwärtige Revolte, die am 28. Dezember 2017 in Mashhad, der zweitgrößten Stadt Irans, begann und sich Anfang Januar lauffeuerartig auf 142 Städte in sämtlichen 31 Provinzen des Landes ausbreitete[3], nicht nur die Jugend, sondern alle Alters- und Berufsgruppen mit- und das Regime in seine bislang größte Krise gerissen.

Eine weitere Zeugin ist Shirin Ebadi, die 1947 geborene Trägerin des Friedensnobelpreises, die sich in der Vergangenheit stets für die Reform, nie aber für die Beseitigung der Islamischen Republik stark gemacht hat. Jetzt revidierte sie diese Position: „Die iranische Bevölkerung hat erkannt, dass dieses System nicht reformierbar ist.“[4]Mit der Revolte von 2018 habe „der Sturz des Regimes begonnen. Wir erleben mit dieser Bewegung den Anfang vom Untergang dieses Regimes.“[5]

Im Februar 2018 veröffentlichte Ebadi gemeinsam mit 15 anderen prominenten Dissidenten, darunter der jetzt erneut verhafteten Nasrin Sotoudeh, einen Aufruf, der „einen friedlichen Wechsel von der Islamischen Republik zu einer säkularen parlamentarischen Demokratie“ fordert, „basierend auf einem freien und allgemeinen Wahlrecht, einer vollständigen Beachtung der Menschenrechte und der Abschaffung aller institutionalisierten Diskriminierung“, besonders was die Lage der Frauen betrifft. „Auf Grundlage des Rechts auf nationale Selbstbestimmung fordern die Unterzeichner ein Referendum unter der Aufsicht der Vereinten Nationen, so dass die iranische Nation ihre Regierungsform wählen kann“, heißt es abschließend in diesem in Deutschland ignorierten Appell.[6]

Der Wandel der Stimmung wird auch im Wandel der Parolen evident: „Fürchtet euch nicht, denn wir stehen zusammen!“, rief man, an die Demonstranten gerichtet, noch im Juni 2009 anlässlich der Massenbewegung gegen Ahmadinejads Wahlbetrug. Jetzt war diese Parole erneut zu vernehmen, diesmal jedoch leicht abgeändert und an die Machthaber adressiert: „Fürchtet euch, denn wir stehen zusammen!“[7]

Die klerikale Elite Irans hat Gründe sich zu fürchten: Sie hat erstens eines der rohstoffreichsten Länder der Welt zu Tode gewirtschaftet; sie hat zweitens mittels ihrer religiösen Diktatur den Islam diskreditiert. Und sie hat es drittens mit einer todesmutigen Bevölkerung zu tun.

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