Dienstag, 07.08.2018 / 09:51 Uhr

Die Vollverschleierung im Kopf kann man nicht wegverbieten

Von
Amed Sherwan

„Ohne Hijab?“ Ich habe meinen eigenen Augen nicht getraut, als sie mir kürzlich ein aktuelles Foto von sich in einem Restaurant in Erbil geschickt hat, auf dem sie ihre langen schwarzen Haare offen zur Schau trägt. Seit ihrer Pubertät bedeckt sie ihre Haare in der Öffentlichkeit. „Ich habe es meinem Mann versprochen, einmal ohne Kopftuch rauszugehen. Er findet es schön, aber ich mache das nie wieder, denn ich bin eine ehrbare Frau!“ erklärt sie mir. Tja, manchmal ist die Wirklichkeit kompliziert.

Die weibliche Kopfbedeckung ist nicht nur ein religiöses Symbol. Es ist ein Instrument, um die strenge und frauenfeindliche Sexualmoral der Scharia durchzusetzen.

Einige ältere muslimische Frauen in Flensburg sind modisch so in der Zeit stehengeblieben, dass meine Oma im Irak dagegen modern wirkt. Einige junge Frauen tragen Hijab und reden von Keuschheit, sind dabei aber voll sexy aufgebrezelt und geschminkt. Viele moderne muslimische Eltern finden das Kopftuch bei ihren Töchtern furchtbar. Und viele Frauen tragen ihre Kopfbedeckung lediglich aus Stolz und Rebellion. Einige Frauen werden mitten in Europa von ihren Männern zu Vollverschleierung gezwungen. Und andere Frauen entscheiden sich seltsamerweise dafür, so gibt es hier in Flensburg eine deutsche Konvertitin in Niqab.

Die weibliche Kopfbedeckung ist nicht nur ein religiöses Symbol. Es ist ein Instrument, um die strenge und frauenfeindliche Sexualmoral der Scharia durchzusetzen. Viele Frauen in der muslimischen Welt leiden täglich unter diesen frauenunterdrückenden Regeln. Und ich kann nur schwer nachvollziehen, warum viele Frauen sich freiwillig dieser degradierenden Kleidermoral unterwerfen. Als ich noch neu war in Europa, hat es mich deshalb wirklich provoziert, wie einige Frauen hier rumlaufen.

Ich bin noch immer dafür, dass Kinder religionsfreie Schutzräume brauchen.

Ich habe daher lange die Haltung vertreten, dass zumindest die Vollverschleierung verboten werden sollte. Und auch Kopftücher hätte ich früher gerne mitverbannt. Ich kam halt aus einem System mit vielen Verboten und Regeln und dachte ernsthaft, dass man die Frauen durch Vorschriften schützen kann und muss. Das hat für mich lange gedauert zu verstehen, dass Verbote schnell kontraproduktiv werden und dass Freiheit nicht durch Vorschriften erzwungen werden kann.

Ich bin noch immer dafür, dass Kinder religionsfreie Schutzräume brauchen, und unterstütze daher ein Kopftuchverbot in Schulen und Kindergärten. Ich bin auch dafür, dass Leute in bestimmten Situationen ihr Gesicht zeigen sollen und dass Muslimas davon natürlich nicht ausgenommen werden können, auch schon deshalb nicht weil die Kopfbedeckung nicht mal eindeutig im Koran vorgeschrieben ist. Ich verstehe auch, dass an Arbeitsplätzen Kleidervorschriften unterschiedlicher Art Sinn ergeben können. Aber es geht sonst echt niemanden etwas an, wie sich jemand aus welchen Gründen kleiden will.

Ich engagiere mich daher nicht gegen Verschleierung, sondern für das Recht jeder und jedes einzelnen über den eignen Körper und die eigene Kleidung zu entscheiden. Und deshalb macht mich das sogenannte Burkaverbot in Dänemark nicht glücklich. Denn ein Burkaverbot ändert gar nichts an der Situation vieler Frauen in muslimischen Zusammenhängen. Denn die Unterdrückungsstrukturen sind viel zu komplex, als das man sie einfach wegverbieten kann.

Frauen, die direkt aus dem Iran oder Saudia-Arabien hierhergekommen sind, interpretieren das Verbot vielleicht noch als einen Befreiungsschlag, weil es für sie in ihren Heimatländern so gewesen wäre. Aber die Situation hier in Europa ist ganz anders. Die Frauen, die hier Vollverschleierung tragen, machen es entweder ganz freiwillig und fühlen sich durch so ein Verbot ihrer Freiheiten beraubt. Oder sie leben in so krass repressiven Strukturen, dass das Verbot für sie bedeutet, dass sie gar nicht mehr vor die Tür kommen.

Ich bin hier her geflüchtet, weil ich die Freiheit liebe. Freiheit entsteht durch Aufklärung.

Einen Typen, der seine Frau mitten in Europa dazu zwingt mit Burka oder Niqab zu geben, erreicht man doch nicht durch ein Verbot. Das neue Gesetz wird ihn höchstens noch weiter radikalisieren und in seiner Ablehnung gegenüber dem Westen bestätigen. Und die islamistischen Hassprediger freuen sich bestimmt schon darauf, das Verbot nutzen zu können, um noch mehr Wut gegen die Ungläubigen zu schüren.

Andere solidarisieren sich mit den betroffenen Frauen, verschleiern sich im Protest und machen Tragen des Niqab zu einem Freiheitssymbol. Und wenn ich an die Situation der Frauen im Iran und in Saudi-Arabien denke, ist das schon extrem zynisch und zeigt wie kontraproduktiv die Maßnahmen sind.

Ich bin hier her geflüchtet, weil ich die Freiheit liebe. Freiheit entsteht durch Aufklärung. Aufklärung kann nicht durch Kleidervorschriften und Kampfansagen erzwungen werden, sondern darüber, dass wir miteinander reden. Das ist anstrengend und viel komplizierter als Verbote. Aber für komplexe Probleme, gibt es leider keine einfachen Lösungen. Tut mir leid, aber isso!

Ich verteidige das Recht jeder Frau, selbst zu entscheiden, wie sie leben und was sie anziehen will – auch ein Kopftuch und selbst eine Vollverschleierung!  Aber ich hoffe auf mehr offene Haare – hier und anderswo!