Freitag, 31.08.2018 / 18:09 Uhr

Ein bewährtes Drehbuch in Syrien

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Da das Drehbuch schon bei der gewaltsamen Beseitigung anderer so genannter Deeskaltionszonen in Syrien so erfolgreich war, findet es nun offenbar erneut für die geplante Eroberung von Idlib Anwendung.

Der Nordwesten Syriens um Idlib ist eines der letzten von den Überresten syrischer Rebellen kontrollierter Gebiete und steht außerdem unter dem Schutz der Türkei. Hierher haben sich nicht nur verschiedene, teils radikalislamistische Milizen zurückgezogen, die Region ist außerdem letzter Zufluchtsort für fast eine halbe Millionen Binnenvertriebener. Im Rahmen diverser Waffenstillstandsabkommen mit Rebellen in anderen Teilen Syriens, wurde diesen die Evakuierung nach Idlib ermöglicht.

Seit Monaten nun kündigt der syrische Präsident an, auch dieses Gebiet zurück erobern zu wollen und seit Monaten intensivieren russische und syrische Luftwaffe ihre Angriffe.

Sah es bislang so aus, dass Moskau wenig Bereitschaft zeigte, seinem Verbündeten in Damaskus effektiv zu helfen, schließlich hat in diesem Fall auch die Türkei ein Wort mit zu reden, scheint das Blatt sich nun zu wenden. Vergangene Woche etwa begannen russische Medien einmal mehr Fake-News zu verbreiten und erklärten, man wisse, dass ein Giftgasangriff syrischer Rebellen unmittelbar bevorstehe. Ähnliche Anschuldigungen kursierten häufig in der Vergangenheit, wenn dann das Assad-Regime in der Tat Gas zum Einsatz brachte oder dies vorhatte. Entsprechend alarmiert zeigten sich die Gegner Assads in Idlib, müssen sie doch nun täglich mit einem entsprechenden Angriff rechnen.

Kampf gegen Terroristen und Warnung der UN

Das nächste Kapitel des Drehbuchs ging jedesmal so: Russland erklärte – ob in Aleppo, den Ghoutas oder in Der’a – dass es ihm einzig um den Kampf gegen Terroristen gehe, die man ausschalten wolle, keineswegs um die „moderate Opposition“ oder gar die Zivilbevölkerung. Eine Behauptung, die Moskau bislang vor jeder Offensive verbreitete. So auch diesmal:

Zur Ankündigung aus Moskau gehört laut dem Drehbuch auch die, dann völlig folgenlos bleibende, dringende Warnung seitens der UN.

„Russland forderte den Westen am Mittwoch auf, sich der ‚Antiterrorkampagne‘ im syrischen Idlib nicht in den Weg zu stellen. Unterdessen vermehren sich die Spekulationen, Damaskus plane eine von Russland unterstützte Offensive gegen die von Aufständischen kontrollierte Provinz. ‚Ich hoffe, unsere westlichen Partner werden auf die Provokationen (der Aufständischen) nicht eingehen und sich der Antiterroroperation nicht in den Weg stellen‘, erklärte Außenminister Sergej Lawrow auf einer gemeinsam mit seinem saudischen Amtskollegen Adel al-Jubeir abgehaltenen Pressekonferenz in Moskau. Zwischen Russland und der Türkei herrsche ‚vollstes politische Einvernehmen‘, so Lawrow weiter. Die beiden Länder unterstützen im syrischen Bürgerkrieg entgegengesetzte Parteien, verhandeln aber zurzeit intensiv darüber, wie sie sicherstellen können, dass die Situation in Idlib nicht zum Bruch ihres Bündnisses führt. ‚Man muss die sogenannte gemäßigte Opposition von den Terroristen trennen und zugleich eine Operation gegen diese so vorbereiten, dass die Zahl der zivilen Opfer möglichst klein gehalten wird‘, erklärte Lawrow. ‚Dieser Abszess muss beseitigt werden.‘“

Nicht nur die Menschen in Idlib verstehen die Botschaft, auch international scheint man zu wissen, was Russen und syrische Regierung planen. Denn zur Ankündigung aus Moskau gehört laut dem Drehbuch auch die, dann völlig folgenlos bleibende, dringende Warnung seitens der UN:

„Die Vereinten Nationen haben vor den Folgen einer Großoffensive der syrischen Regierung im Norden des Landes gewarnt. Der Direktor des UNO-Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, Ging, sagte in New York, ein Angriff auf die Provinz Idlib könne eine humanitäre Notsituation schaffen, wie es sie in diesem Ausmaß noch nicht gegeben habe.“

Damit dürfte klar sein: Moskau, Damaskus (der Iran hält sich bei dieser Offensive wohl eher zurück) planen ganz offenbar, in nächster Zeit Idlib zurück erobern zu wollen und die USA und Europa werden, wie zuvor auch schon, in der Rolle des mahnenden Zuschauers verbleiben.

Wie verhält sich Erdogan?

So bleibt einzig die Frage, ob die Türkei einer solchen Offensive zugestimmt hat. Schließlich steht die Provinz unter ihrem informellen Schutz und für Erdogans Prestige spielt dieses Engagement in Syrien eine wichtige Rolle. Immerhin auch hatte vor kurzem Ankara noch verkündet, man werde einen Angriff auf die Provinz nicht zulassen, sondern das Engagement in Syriern sogar noch ausdehnen. Bei einem russisch-türkischen Treffen schien man sich bislang nicht geeinigt zu haben, denn dort warnte  Außenminister Mevlut Cavusoglu: „Würde ganz Idlib, einschließlich der Krankenhäuser, Schulen und Zivilisten bombardiert, weil sich dort Terroristen aufhalten, gäbe es ein Massaker, das eine ernsthafte Krise auslösen würde. Kurzum: Es wäre eine Katastrophe.“

Schließlich hat sich bislang das türkische Interesse in Nordsyrien fast ausschließlich darauf beschränkt, den kurdischen Einfluss zurückzudrängen. Mit Jihadisten hat Erdogan bekanntermaßen weniger große Probleme oder Berührungsängste.

Denn in Idlib steht nicht nur das Prestige der Türkei auf dem Spiel. Ankara plant seit längerem in Nordsyrien eine Art „safe haven“ für Flüchtlinge einzurichten, um einen Großteil der Millionen Syrer, die seit 2012 in die Türkei geflohen sind, dorthin zurück zu siedeln. Sollte die Provinz nun auch Assad in die Hände fallen, löste sich nicht nur dieser Plan in Luft auf, vielmehr dürfte sich die Türkei dann mit einer neuen Flüchtlingswelle aus Syrien konfrontiert sehen.  

An dieser Situation ist die türkische Regierung keineswegs unschuldig.  Sie kann kaum behaupten, dass Jabhat al-Nusra nicht in Idlib aktiv sei. Und dieser syrische Ableger von Al-Qaida ist ausdrücklich aus den Vereinbarungen für Deeskaltionszonen ausgeschlossen.  So hat und hatte Russland immer ein Argument, Waffenstillstände zu brechen. Selbst wenn Damaskus und Moskau diesmal aus Rücksicht auf die Türkei, die ja immerhin auch NATO-Mitglied ist, keine Großoffensive starten, wird Ankara erpressbar bleiben. Schließlich hat sich bislang das türkische Interesse in Nordsyrien fast ausschließlich darauf beschränkt, den kurdischen Einfluss zurückzudrängen. Mit Jihadisten hat Erdogan bekanntermaßen weniger große Probleme oder Berührungsängste.

Russland wiederum demonstriert gerade seinen Willen, das bislang erprobte Drehbuch auch auf Idlib anzuwenden. Ob es sich dabei wirklich nur um Drohungen handelt oder man die Konfrontation mit der Türkei sucht, wird sich in den nächsten Wochen herausstellen.

Die Menschen in Idlib jedenfalls haben auf ihr Schicksal keinerlei Einfluss, über sie wird einzig in Moskau, Ankara und Damaskus entschieden. Sollte es zu einer großangelegten Offensive kommen,  ist es die nächste humanitäre Katastrophe mit Ansage. Denn die Türkei wird ihre Grenzen, die inzwischen hermetisch mit Mauern und Zäunen, finanziert mit EU-Geldern, abgeriegelt sind, wohl kaum öffnen. Aus Idlib wird es dann kein Entkommen geben.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch