Dienstag, 21.08.2018 / 11:26 Uhr

"Ich wünschte, ich wäre nie geboren worden!"

Von
Amed Sherwan

Mein Freund hat nach seiner Flucht aus Syrien nach Deutschland alles richtig gemacht.  Sobald es möglich war, hat er sich eine Arbeit gesucht. Er hat bereits in Syrien als Handwerker gearbeitet und ist in seinem Fach sehr versiert und arbeitet nun in seinem Spezialgebiet. Aber natürlich ist die Stelle befristet und selbstverständlich bekommt er nicht denselben Stundenlohn wie seine Kollegen, schließlich ist er nach deutschem Maßstab ungelernt. Trotzdem wird er oft allein auf schwierige Einsätze geschickt, er hat sehr lange Schichten außer Haus und ist abends oft zu müde, überhaupt etwas zu unternehmen, geschweige denn Hobbys zu pflegen.

Wenn er doch mal rausgeht, kommt aber in keine der Discotheken rein, die ihn ansprechen. Mein Freund ist gutaussehend und gutgekleidet, aber mit Flüchtlingsgesicht sind die schicken Locations ohne deutsche Begleitung praktisch verschlossen. Und Deutsche lernt er nicht kennen. Er hat Deutschkurse belegt und spricht recht gut Deutsch, aber in den Kursen hat er natürlich nur Araber und Afghanen kennengelernt. Auf der Arbeit wird er für seine Fachlichkeit respektiert, private Einladungen erhält er aber keine und er traut sich auch nicht, jemanden einzuladen. Die meisten dort sind auch viel älter als er.

Außerhalb der Arbeit sind die Begegnungen mit Deutschen fast immer unangenehm. Der Busfahrer pampt ihn an, wenn er beim Zahlen der Busfahrkarte, seine Kopfhörer trägt. Er solle gefälligst respektvoll sein. Dass er die Musik beim Bezahlen immer ausmacht und sagt, dass er gerade gut hört, interessiert den Busfahrer wenig. Auch dass die beiden deutschen Jungs hinter ihm auch Kopfhörer tragen, ist dem Busfahrer egal. Beim Fahrradfahren wird er von wildfremden Leuten gemaßregelt und belehrt, wie man das in Deutschland zu machen habe, obwohl alle anderen Fahrräder genau wie er an diesem Abschnitt kurz auf den Fußgängerweg wechseln.

Er fühlt sich ständig misstrauisch beobachtet und hat Angst jemanden anzusprechen. Und vermutlich ist er inzwischen so verängstigt, dass er selbst freundliche Ansprachen als Kritik interpretieren wird. Er hasst es in Deutschland, sagt er. Er wünschte, er wäre nie geboren worden. Aber er muss ja, geht Arbeiten, trinkt Tee und schickt jeden Monat Geld an seine Eltern im Kriegsgebiet. Vermutlich wird er irgendwann eine Frau aus Syrien heiraten. Vielleicht werden sie die Moschee als neue Heimat auswählen und sich in der Exilwelt isolieren. Denn eins steht für ihn nach zwei Jahren fest, die Deutschen verachten ihn und würden ihn am liebsten verrecken sehen.

Ich habe nach meiner Flucht alles falsch gemacht. Ich war im Kinderheim rebellisch und galt im Jugendamt als Problemfall. Ich war wohnungslos und habe Drogen konsumiert. In der Schule war ich unkonzentriert und unengagiert und meinen Hauptschulabschluss verdanke ich nur der unendlichen Geduld der Lehrkräfte. Meine nette Sachbearbeiterin im Jobcenter verzweifelt an meiner Dreistigkeit und meine wenigen Arbeitserfahrungen waren für alle Beteiligten unerquicklich. Mir sind schicke Discotheken egal und in die alternativen Kneipen komme ich locker rein. Ich habe in meinen vielen katastrophalen Lebenssituationen immer wieder lustige Leute kennengelernt und bin in meiner Stadt mit allen – von den Alkis, die vor dem Kiosk abhängen, bis zur Oberbürgermeisterin – per Du. Ich fühle mich zuhause und willkommen.

Und was ist die Moral von der Geschichte?