Freitag, 21.09.2018 / 12:13 Uhr

Sürdirak: "Wir machen weiter"

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Aus dem Netz

Über die Proteste im Südirak berichtet Birgit Svensson aus Basra:

Die Proteste haben sich mittlerweile auf den gesamten Süden des Landes ausgeweitet. Auch in Bagdad ist die Welle inzwischen angekommen. Doch Basra bleibt die Hochburg, weil es hier besonders schlimm ist.

Basra ist derzeit in aller Munde im Irak. Teilweise mit Bewunderung, was dort vor sich geht, aber auch mit Abscheu und Angst. Es sind vornehmlich junge Männer wie Hussam und wenige Frauen, geschätzt 100 bis 200, die auf die Straße gehen und gegen das kontaminierte Wasser demonstrieren, das schon Tausende in die Krankenhäuser gebracht hat. Ihre Proteste richten sich gegen die unzureichende Versorgung mit Elektrizität, gegen Korruption und gegen die Perspektivlosigkeit der irakischen Jugend. Denn die Mehrheit der 33 Millionen Iraker ist unter 25 Jahre alt. Doch sie haben keine Chance in einem Land, das wie kein anderes von Kriegen, Embargo und Terror heimgesucht wurde.

"Wir haben jetzt nicht nur die Regierung in Bagdad gegen uns, sondern auch den Iran"

Die Alten sitzen an den Hebeln der Macht, an den Fleischtöpfen der Nation. Sie wurden von den Amerikanern 2003 nach dem Sturz Saddam Husseins aus dem Exil geholt, in politische Positionen gehievt und sitzen dort auch nach 15 Jahren noch. Oder aber sie kamen aus dem Exil im Iran – Schiiten, die von Saddam verfolgt wurden – und setzten sich besonders im Süden Iraks fest, wo die Schiiten die Mehrheit der Einwohner stellen. (...)

In Basra zerstören diese Jungen gerade das, was sie zerstört: Das Gebäude des Provinzrates geht in Flammen auf, ebenso der Gouverneurspalast und der staatliche TV-Sender Iraqia, der kaum über die Proteste berichtet und damit der Verharmlosung der Regierung in Bagdad Vorschub leistet. Doch als das iranische Generalkonsultat ebenfalls Feuer fängt und auch die amerikanische Vertretung gestürmt werden soll, sind die Unruhen nicht mehr zu kaschieren. Jetzt reden alle von der Misere in Basra.

Aufflammende Proteste an der empfindlichsten Stelle für die Zentralregierung in Bagdad: Am letzten Sonntag kam es auch in der Nähe des Ölfelds Zubair des italienischen Konzerns Eni zu Unruhen. Dort wurden den Polizeikreisen zufolge rund 20 Menschen verletzt, einige von ihnen durch scharfe Munition. Den lokalen Behörden zufolge wurde die für die irakische Wirtschaft zentrale Ölförderung in Basra bisher nicht beeinträchtigt. Eine Störung der Produktion könnte nicht nur die ohnehin schwache Wirtschaft im Irak ausbremsen, sondern auch die weltweiten Ölpreise in die Höhe treiben.

"Wir haben jetzt nicht nur die Regierung in Bagdad gegen uns, sondern auch den Iran", sagt Hussams Freund Ibrahim, der ebenfalls für eine Menschenrechtsorganisation arbeitet, die sich Al Firdous nennt. "Sie werden uns töten", befürchtet er. Doch die Demonstranten bekommen nicht nur Kritik und Drohungen. Aus dem ganzen Land gibt es Solidaritätsbekundungen. "Wir bewundern euch", heißt es immer wieder in den sozialen Medien, "macht weiter so!"

Auch aus dem sunnitischen Norden Iraks gibt es zustimmende Kommentare. Der Protest scheint junge Sunniten und Schiiten zu einen. Während die Demonstrationen 2013 die sich benachteiligt fühlenden Sunniten gegen die schiitische Regierung in Bagdad auf die Straße trieb und den IS begünstigten, demonstrieren heute Schiiten gegen ihre schiitische politische Elite. Von einem Religionskonflikt kann also keine Rede mehr sein.