Freitag, 20.10.2023 / 12:43 Uhr

Jesiden in Deutschland: Erst Völkermord, dann Abschiebung

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Bildquelle: JKFB e. V.

Immer weniger Jesidinnen und Jesiden aus dem Irak werden in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt. In Berlin traten deshalb einige von ihnen in den Hungerstreik.

 

Jesiden aus dem Irak sind von Abschiebungen bedroht und das im Jahr, in dem der Bundestag die Massaker des Islamischen Staates von 2014 als Völkermord einstufte und anerkannte. Zu Recht kann man sich nun fragen, was dieser Schritt soll, wenn Überlebende von Abschiebungen in ein Land bedroht sind, in dem noch immer Hunderttausende in Camps vor sich hin vegetieren müssen.

Aus Protest gegen diese Entscheidungen trat nun eine Gruppe von Jesidinnen und Jesiden in Berlin den Hungerstreik. Die taz berichtet:

Die Situation in den Flüchtlingscamps sei „inakzeptabel“ und biete „keinerlei Zukunftsperspektiven“. Man fordere die Bundesregierung auf, Êzî­d*in­nen „weiterhin unter Berücksichtigung ihrer nach wie vor andauernden Verfolgung und Diskriminierung im Rahmen des Asylverfahrens Schutz zu gewähren“.

Genau das aber passiert seit 2018 immer seltener. Seit der IS Ende 2017 zurückgedrängt wurde, sank die Schutzquote bei inhaltlichen Entscheidungen rapide – von über 90 Prozent im Jahr 2017 knapp unter 49 Prozent 2022. Deutschland hat aber wegen der Lage vor Ort lange nur Straftäter und Gefährder in den Irak abgeschoben. „Im Mai dieses Jahres hat sich das plötzlich geändert“, sagt Kareba Hagemann. Die Rechtsanwältin steht ebenfalls vor dem Bundestag, will den Protestierenden beistehen. Sie vertritt seit Jahren Êzîd*innen, deren Asylanträge abgelehnt wurden. (...)

 

g

 

Ein bayerisches Gericht bestätigte die Ablehnung seines Asylantrags: Der IS sei seit 2017 „in der Fläche“ besiegt, und auch durch den Staat oder andere Akteure drohe den Êzî­d*in­nen keine Gruppenverfolgung. Minderheiten erlebten zwar „weitreichende faktische Diskriminierung“, allerdings nicht so erheblich, dass es asylrechtlich relevant wäre.

Es ist nicht lange her, da sah das Bundesinnenministerium das noch anders. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärte das BMI im März, Êzî­d*in­nen sei es wegen des Völkermords durch den IS „ungeachtet veränderter Verhältnisse“ auch weiterhin „nicht zumutbar, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren“.

Rechtsanwältin Hagemann weiß von mindestens 20 Fällen seit Mitte Mai, in denen Êzî­d*in­nen in den Irak abgeschoben wurden, alle aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. Viele andere, deren Asylgesuche abgelehnt wurden, bangen nun. Jahrelang hatten die Ausländerbehörden ihnen gesagt, in den Irak werde nicht abgeschoben. Nun gilt das plötzlich nicht mehr.