Donnerstag, 09.11.2023 / 12:59 Uhr

Über so genannte Gewaltspiralen

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Ich weiß nicht, wie viele solcher Memes ich in den letzten Wochen gesehen habe. Sie werden vor allem von Europäern verbreitet, die offenbar meinen, damit eine irgendwie humane Weltsicht zu verbreiten und über psychologische Einsichten zu verfügen, die in so Sätze wie "Gewalt erzeugt nur Gegengewalt" gipfeln.

Aus nunmehr dreißigjähriger Erfahrung und Arbeit mit Folteropfern, Opfern sexuellen Missbrauchs, Überlebenden von Massakern, Giftgasangriffen, Völkermord, Vertreibungen und ungefähr allen Scheußlichkeiten und Grausamkeiten, aus denen nahöstliche Geschichte der letzten Dekaden bestand, kann ich nur sagen: Nein! So ist es nicht!

Opfer von Saddams oder Assads Terror, egal ob Kurden oder Araber, Überlebende des Völkermordes durch den IS, sie alle habe ich nie nach Rache rufen gehört. Nach Gerechtigkeit und Abstrafung der Täter ja, aber eigentlich nie hörte ich, man wolle sich selbst nun rächen und gar an Kollektiven, also Araber, Muslimen oder was auch immer.

Diese Beobachtung habe nicht nur ich gemacht, sondern eigentlich alle, die mit Opfern zu tun haben (so wenig ich das Wort Opfer mag, Überlebende ist besser).

Nur im palästinensischem Narrativ (und zwar dem offiziellen, von den wenigsten Palästinensern, die ich in meinem Leben getroffen habe, hörte ich ähnliches) ist das anders: Da scheint es selbstverständlich, dass wer Angehörige verloren hat, Elend und Grausamkeit erlebt, selbst dann zu suicide bomber oder Jihadist wird. Nun, wenn man das Leuten einredet und als natürlich bezeichnet, sie förmlich indoktriniert, so mag das funktionieren, "normal" ist es allerdings nicht.

Und wer in Europa so etwas teilt und auch noch Verständnis aufbringt, reproduziert einen toxischen Narrativ, der mit der Realität von Überlebenden nichts oder nur sehr wenig zu tun hat.