Samstag, 20.01.2024 / 19:54 Uhr

Aufstand der Anständigen gegen gar nicht so geheimes Geheimtreffen

Von
Von Alice Blum und Thomas von der Osten-Sacken

Bildquelle: Wikimedia Commons

Ein "Geheimtreffen" von AFD-Funktionären mit anderen Rechtsextremen in Potsdam sorgt für einen Skandal. Dabei unterscheiden sich die dort formulierten Forderungen gar nicht so sehr von der herrschenden Regierungspolitik.

 

Deutschland ist in Aufruhr. Inzwischen ist er auch bei den Unternehmen angekommen, wie die Frankfurter Rundschau berichtet: „Nach dem Überschreiten der roten Linie in Potsdam scheint ein Ruck durch Deutschlands Chefetagen zu gehen“. Das demokratische Deutschland mobilisiert zu einem neuen „Aufstand der Anständigen“ und dies, wie es sich gehört, unter Führung der Regierung selbst.

Anlass des Ganzen war diesmal ein nicht mehr ganz so geheimes „Geheimtreffen der AfD“ mit anderen Rechtsextremen. Die Sozialen Medien sind seitdem voll an Aufrufen, nun endlich Position zu beziehen, Politiker beteuern ihr Bekenntnis zur Demokratie und zu den Menschenrechten, es folgte der ein oder andere Rücktritt und überall herrscht Aufregung. Besprochen wurde auf dem Treffen laut dem Bericht des spendenfinanzierten Recherchenetzwerks Correctiv unter anderem die massenhafte Vertreibung von Geflüchteten, assimilationsunwilligen Menschen mit Migrationsgeschichte und auch deren Unterstützern.

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Social Media Post der SPD, Bildquelle Facebook

 

Da trafen sich also im vergangenen November ein paar erlesene Rechtsxtreme der AfD mit anderen Rechtsextremen im Hotel Adlon in Potsdam. Es verwundert immer noch die berichtliche Differenzierung: „AfD-Politiker und Rechtsextreme besprechen „Vertreibungsplan““ (WDR) oder auch „Geheimtreffen mit AfD-Politikern und Rechtsextremisten sorgt für Empörung“ (Deutschlandfunk). Als sei die AfD nicht rechtsextrem und hätte sich ganz überraschend und schockierenderweise mit Rechtsextremen getroffen.

Dabei sind die Verbindungen der Partei zu anderen rechtsextremen Akteuren an einer Vielzahl von Beispielen belegt, auch trotz aller Beteuerungen zu Unvereinbarkeitsbeschlüssen. Es gilt endlich anzuerkennen: Die AfD ist Teil einer rechtsextremen Bewegung, die sukzessive auf einen völkischen Staat hinarbeitet. Darin fungiert sie als der parteipolitische Arm der extremen Rechten im Bundestag und bringt dort auf parlamentarischer Ebene regelmäßig völkisches Gedankengut ein.

Der “Remigrationsbegriff” wurde bereits vor dem Treffen bei Parlamentsdebatten von der Partei genutzt, um migrationspolitische Forderungen zu formulieren und beispielsweise das Recht auf Asyl in Deutschland in Frage zu stellen und eine konsequente Ausweisung zu fordern, ja er steht als Gegenstrategie zum imaginierten “großen Austausch” längst im Programm unzähliger rechter Gruppen und Parteien.

Noch dazu ist der angebliche „Geheimplan“, der bei dem Treffen vorgestellt werden sollte, tatsächlich gar nicht so geheim. Die Ideen zu den Massendeportationen, die den Rechtsextremen nach  stattfinden sollten, hat Sellner (ehemaliger Leiter der Identitären Bewegung in Österreich) in seinem Buch „Regime Change von rechts. Eine strategische Skizze“  für alle Interessierten niedergeschrieben. Im Februar soll eine Vertiefung folgen, in der Sellner begründen will wie „Remigration von illegal eingewanderten, von nicht integrierbaren und von unerwünschten Ausländern […] juristisch möglich, politisch gerechtfertigt, moralisch vertretbar und praktisch umsetzbar“ sei. Die Werbung läuft bereits dafür.

Und das nicht nur auf der Seite des Verlages, sondern auch durch die Debatten über das Treffen und den schreckhaften Umgang damit.

Gelassene Reaktionen

Entsprechend gelassen reagierten dann auch diejenigen, die angeblich von Correctiv entlarvt hätten werden sollen. So schrieb der Vordenker der Neuen Rechten aus Schnellroda, Götz Kubitschek in der Hauspostille der Szene, der Sezession, nichts an dem, was da besprochen oder gefordert worden wäre, sei irgendwie neu oder nicht in öffentlich zugänglichen Publikationen nachlesbar. Was, so fragte er, unterscheide die Forderung von denen regierender Parteien, wo doch selbst Kanzler Scholz im vergangenen Jahr im Spiegel eine „Abschiebeoffensive“ angekündigt habe? „Die AfD und die FPÖ möchten abschieben, remigrieren, möchten die Illegalität beenden, den Schaden massenhafter und unkontrollierter Einwanderung zunächst eindämmen und bemessen und dann reparieren“, erklärt er weiter und klingt, als habe er dabei irgendwie auch aus einem aktuellen Migrationspapier von FDP, SPD oder CDU abgeschrieben.

Worüber also regen sich dann alle so auf? Darüber, dass die Schmuddelkinder zur Kenntlichkeit entstellen, was alle anderen auch wollen, und fordern nur eben mit dem Wunsch, dabei anständig zu bleiben?

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Titelbild Spiegel 43/2023

 

Hat man immer noch nicht verstanden, dass der den Enthüllungen folgende Skandal und die nun überall stattfindenden Demonstrationen für Anstand, Demokratie und gegen Rechts durchaus im Kalkül der Veranstalter lag, die sich mit zufriedenem Lächeln zurücklehnen können, während, was sie MSM (Maninstreamedien) nennen, dafür sorgen, dass ihre Bekanntheit weiter wächst?  Regierende Parteien, die längst den Eindruck erwecken, als seien Flüchtlinge das größte Problem in Deutschland und  jeden Monat neue Gesetze und Erlasse zur „Eindämmung illegaler Migration“ verabschieden, können nichts, als hilflos solchen Plänen gegenüberstehen, die ja nur radikalisieren, was längst offizielle Politik ist.

Dies fiel etwa auch Patrick Bahners in der FAZ auf: “In der Sache gehen die Punkte in Sellners Konzept, die Correctiv referiert, an vielen Stellen nur ein oder zwei Schritte über die migrationspolitischen Planspiele der Ampelkoalition und der Unionsparteien hinaus. Ein „Musterstaat“ in Afrika – das ist erst einmal nur die konsequentere Variante des Projekts der Stabilisierung Libyens oder der Ruanda-Pläne von Rishi Sunak und Jens Spahn. Assimilationsdruck – für Linnemann-CDU und Giffey-SPD kein Tabu. Wie die AfD suggerieren fast alle Parteien, dass die Probleme von Migration und Integration ein einziges fatales Syndrom von höchster Dringlichkeit bildeten.”

Härte zeigen

Da aber angesichts von mehr als 100 Millionen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen weltweit, die Jahr für Jahr mehr werden, ohne dass es irgend eine außenpolitische Idee gebe, wie dem global wachsendem Elend begegnet werden könnte, keine dieser Maßnahmen in der Lage ist, das Übel an der Wurzel zu packen, werden sie immer als halbherzig und schwach erscheinen: „Da Regierungen nicht liefern können, was sie versprechen, erscheinen sie schwach und nicht willens, sich durchzusetzen. (…) Das Beispiel Italien, wo eine Regierung mit genau diesem Versprechen antrat, sollte zeigen, dass solche Härte mehr Leid und Elend produziert, aber nicht die gewünschten Resultate zeitigt. Einzig jene, die versprechen, wirklich ernst zu machen, wenn sie denn nur an die Macht kämen, werden davon gestärkt – bis auch sie an der Realität scheitern und am Ende abgelöst werden von anderen, die noch mehr Härte versprechen.“

Ist man sich erst einmal einig, dass Härte gegenüber Flüchtlingen, „unangepassten“ Menschen mit migrantischem Hintergrund und auch deren Unterstützerinnen und Unterstützern die Lösung des Problems ist, so gewinnt, wer zu dieser Härte steht. Um nichts anderes ging es bei dem Geheimtreffen oder, um erneut die FAZ zu bemühen: “Immer drastischere Maßnahmen werden versprochen, die nach Ansicht der meisten Experten keine Abhilfe schaffen werden. Die AfD wartet darauf, dass ihre Gegner nach den Symptombeschreibungen auch die Ursachenbehauptung übernehmen. Für Mar­tin Sellner und seine Leser läuft insoweit alles nach Plan.”

Langfristige Pläne

Natürlich sollen, das sieht dieser Plan an keiner Stelle vor, nicht morgen ein paar Millionen Menschen aus Deutschland deportiert werden, vielmehr sollen sie als Nichtdazugehörige identifiziert und markiert werden. Damit einher geht die Illusion in einer fernen Zukunft könne es ein völkisch gereinigtes Land geben, das wieder, um erneut Kubitschek zu bemühen, auf dem „ius sanguinis“ fuße. Schon in den 20er und 30er Jahren waren sich völkische Vordenker und Propheten nur allzu bewusst, dass ein rassereines Volk ein Zukunftsprojekt sei und ergingen sich in allerlei Züchtungs- und Vernichtungsphantasien.

Dies dürfte umso mehr heute zutreffen, wo in jeder westdeutschen Metropole ohne Menschen mit migrantischem Hintergrund so gut wie gar nichts mehr gehen würde und sie zusätzlich auch noch das Gros derjenigen unter dreißig Jahren stellen. Deportierte man sie, bräche die Wirtschaft binnen kürzester Zeit zusammen, während Wähler- und Anhängerschaft von AFD, die eher im oberen Drittel der Alterspyramide anzusiedeln ist, sich auch noch um ihre Versorgung in Altersheimen Gedanken machen müsste.

Kampf um Deutungshoheit

Deshalb schlagen jetzt auch deutsche Unternehmen Alarm, in deren Chefetagen man sich nur allzu bewusst ist, wie es um den DAX bestellt wäre, setzte irgendwer die Forderungen nach Remigration in absehbarer Zeit in die Tat um. Und so finden wie schon beim letzten “Aufstand der Anständigen” alle auf der Straße zusammen, die es irgendwie gut meinen, für Demokratie sind und auch noch wirtschaftliche Interessen zu verteidigen haben. Dass diese Koalition der Guten, angeführt vom Kanzler höchstpersönlich, außer bedingt wohlklingenden Plattitüden wenig zu sagen hat, liegt, wie gesagt, in der Natur der Sache selbst.

Derweil geht es parteiübergreifend auch darum, neue Deutungshoheiten zu gewinnen. Was den einen mit der Erfindung der “illegalen Migranten” gelang, der in Wirklichkeit in absoluter Mehrheit asylsuchende Flüchtlinge und als solche keineswegs illegal sind, versuchen die anderen mit Umdeutung des Begriffs Remigration, der ja so viel freundlicher als Deportation oder Abschiebung klingt.

 

Beitrag zuerst erschienen auf den Ruhrbaronen