Dienstag, 09.04.2024 / 21:03 Uhr

In Gambia soll ein Gesetz gegen weibliche Verstümmelung (FGM) aufgehoben werden

Von
Arvid Vormann

Protest gegen den Versuch das Gesetz gegen FGM in Gambia aufzuheben, Bildquelle: Frontline Ending FGM

Eine Koalition aus Klerikern und traditionellen Politikern wollen in Gambia FGM erneut legalisieren. Begründet wird dies unter anderem mit dem "Recht auf religiöse Selbstbestimmung". Dies könnte zu einem fatalen Beispiel für andere Länder werden.
 

In Gambia droht ein gefährlicher Präzedenzfall: die Aufhebung des gesetzlichen Verbots von weiblicher Genitalverstümmelung. Auf islamisch-konservativen Druck hin wurde ein entsprechender Antrag in das Parlament des kleinen westafrikanischen Landes eingebracht. Ein irritierender Vorgang, wenn man bedenkt, dass UN-Institutionen und internationale Hilfsorganisationen sich seit Jahrzehnten bemühen, die besondere Rolle des Islam in dieser Frage in Abrede zu stellen, wie etwa die Patenschaftsorganisation Plan: "Mythos 2: FGM/C ist ein religiöser Brauch - Realität: FGM/C ist eine kulturelle Tradition, keine religiöse."

Dieser Narrativ hat sich so weitgehend durchgesetzt, dass aufgeklärte Menschen heutzutage sicher sind, zu wissen, dass FGM nichts mit dem Islam zu tun habe. Auch der erste Impuls selbst der wohlmeinendsten Aktivistinnen ist ja stets, die Rolle des Islam zu leugnen. Es sei alles ein großes Missverständnis, heißt es, die Menschen seien ungebildet und nicht wirklich vertraut mit dem Islam. Das behauptet man selbst dann noch, wenn große Islamverbände und führende muslimische Gelehrte (in Gambia etwa der einflussreiche Imam Abdoulie Fatty) das Gegenteil erklären. Immer wird dabei das Strohmann-Argument angeführt, dass FGM nicht im Koran erwähnt werde. Doch: Viele Dinge stehen nicht im Koran, gelten aber je nach Rechtsschule durchaus als islamische "Pflicht", "sunna", "ehrenhaft" oder Ähnliches. Denn die Sunna – die Überlieferungen des Lebens Mohammads – ist eine weitere zentrale Quelle des islamischen Rechts. Und in der Sunna gibt es mehrere Geschichten (Hadithe), die sich als Beleg für FGM als islamische Praxis heranziehen lassen. An dieser Stelle wird also - bewusst oder aus Unwissenheit - irregeführt. Die Menschen sind nicht zu dumm, den Islam zu verstehen (was ist das eigentlich für eine anmaßende Attitüde, über richtiges und falsches Religionsverständnis zu richten?). Es ist kein Missverständnis. Warum heißt wohl die islamgemäße Form der Verstümmelung "Sunna-Beschneidung"? Ist das alles "Irrglaube"? Nun gut, dann wäre wohl der Islam selbst "Irrglaube", dann müsste man ihn aber auch nicht mit zweifelhaften Argumenten schönreden.

Wenn man in einem Land wie Gambia die These unterstützt, dass FGM unislamisch sei, so ist das vertretbar und sogar mutig und ehrenwert. Man macht dann eben Politik, konkurriert um Deutungshoheit als Muslimin unter Muslimen. Da gibt es scharfe innerislamische Debatten und sehr pointierte Plädoyers für einen Islam, der mit den Menschenrechten vereinbar wäre.

Und wenn das tatsächlich irgendwann einmal allgemeine Auffassung würde, wäre es ein großer Durchbruch. Problematisch wird es allerdings, wenn man, wie all die Organisationen und Aktivistinnen, Gleiches vor internationalem Publikum behauptet, um es zu täuschen und den Islam zu exkulpieren. Dann wird die normative Forderung nämlich zur banalen Falschbehauptung. Dann geht es nicht mehr darum, die Mädchen zu schützen, sondern die Religion. Dass man ihnen so in den Rücken fällt, haben gerade all jene nicht verdient, die sich jeden Tag aufs Neue engagiert gegen FGM in ihren Ländern einsetzen.

 

Siehe auch: Thomas von der Osten-Sacken and Thomas Uwer:  Is Female Genital Mutilation an Islamic Problem? Middle East Quaterly,