Samstag, 10.08.2024 / 18:36 Uhr

Die Politisierung der israelischen Polizei unter Itamar Ben-Gvir

Itamar Ben-Gvir und Sieldungsaktivist Bentzi Gopstein in Sheikh Jarrah, Quelle: Wikimedia Commons

Unter dem rechten Minister Itamar Ben-Bvir wird die Polizei in Israel zunehmend politisiert. Mit teils fatalen Auswirkungen.

 

Der derzeitige Konflikt in Gaza und die zunehmenden Spannungen mit der sogenannten „Achse des Widerstands“, angeführt vom Iran, haben das Potenzial, den Nahen Osten in eine neue Eskalationsstufe zu führen. Doch während dieser geopolitischen Entwicklungen die Schlagzeilen dominieren, findet innerhalb Israels ein bedrohlicher Wandel statt, der das Fundament der israelischen Demokratie erschüttert. Unter der Führung von Itamar Ben-Gvir, dem rechtsextremen Minister für Nationale Sicherheit, wird die israelische Polizei systematisch politisiert und in ein Instrument der extremen Rechten verwandelt, die derzeit an der Macht ist.

Ben-Gvir, der Anführer der offen anti-arabischen Partei „Jüdische Macht“ (Otzma Yehudit), hat sich von einem am Rand der israelischen Politik stehenden Extremisten zu einer Schlüsselfigur in der Regierung Netanjahu entwickelt. Seine Vergangenheit als Gefahr für die nationale Sicherheit führte dazu, dass er nicht einmal in die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) aufgenommen wurde. Heute jedoch hat er als Minister für Nationale Sicherheit erheblichen Einfluss auf die Sicherheitskräfte des Landes.

Kahanisierung

Ein zentrales Element dieser Entwicklung ist die mögliche Ernennung von Generalmajor Danny Levy zum Polizeipräsidenten, einem Kandidaten, der als enger Vertrauter Ben-Gvirs gilt. Kritiker*innen warnen, dass Levy, der als Marionette des Ministers angesehen wird, die umstrittene Politik Ben-Gvirs umsetzen könnte, was die „Kahanisierung“ der israelischen Polizei weiter vorantreiben würde. Der Begriff „Kahanisierung“ bezieht sich auf die extrem rechten Ideen des Rabbiners Meir Kahane, dessen Partei in Israel verboten wurde. Die Sorge ist, dass die israelische Polizei unter Ben-Gvirs Einfluss zunehmend politisiert wird und extremistische Ansichten unterstützt.

Die Auswirkungen dieser Politisierung sind bereits spürbar. Vor kurzem wurde in Tel Aviv ein Vorfall gemeldet, bei dem Demonstrant*innen von der Polizei aufgefordert wurden, ihre Plakate zu zeigen, die einen Waffenstillstand im Gazastreifen und vorgezogene Neuwahlen forderten. Die Polizei rechtfertigte diesen Eingriff in die Meinungsfreiheit mit der Behauptung, es gehe darum, „Aufwiegelung“ zu verhindern. Dieser Vorfall zeigt, wie die Polizei in den 18 Monaten unter Ben-Gvirs Kontrolle zunehmend als Werkzeug zur Durchsetzung einer politischen Agenda genutzt wird.

Noch besorgniserregender ist die Tatsache, dass die Polizei in mehreren Fällen extreme rechte Demonstrant*innen, die in Armeestützpunkte eingebrochen sind und IDF-Soldaten festgehalten haben, nicht zur Rechenschaft gezogen hat. Diese Soldaten standen im Verdacht, einen palästinensischen Gefangenen misshandelt zu haben, und die Tatsache, dass keiner der Täter verhaftet oder verhört wurde, obwohl die Vorfälle auf Video festgehalten wurden, wirft ernsthafte Fragen über die Neutralität und Unabhängigkeit der Polizei auf.

Ermittlungsverfahren gegen Siedler nehmen ab

Ben-Gvirs Einfluss erstreckt sich auch auf das Westjordanland, wo die Polizei für jüdische Siedler zuständig ist. Trotz einer Zunahme der Gewalt durch Siedler ist die Zahl der Ermittlungen gegen sie in den ersten 12 Monaten von Ben-Gvirs Amtszeit um die Hälfte gesunken. Gleichzeitig hat die Polizei eine Vielzahl von Ermittlungen gegen palästinensische Staatsbürger*innen Israels wegen des Verdachts auf Online-Unterstützung für Terrorismus eingeleitet, selbst bei so harmlosen Handlungen wie dem Posten eines Bildes der palästinensischen Flagge.

Die tiefe Spaltung in der israelischen Gesellschaft wird durch die Diskussion um Levy's Kandidatur und die zunehmende Politisierung der Sicherheitskräfte deutlich. Israel, einst als lebhafte Demokratie in einer Region bekannt, in der solche Werte selten sind, steht nun vor der Herausforderung, die Integrität seiner Institutionen zu bewahren. Die enge Beziehung zwischen Levy und Ben-Gvir, verbunden mit den Bemühungen, die Macht der Polizei zu zentralisieren und sie zu einem operativen Arm der extremen Rechten zu machen, bedroht das demokratische Fundament des Landes.

Premierminister Benjamin Netanjahu, der selbst unter Korruptionsverdacht steht, scheint diese Entwicklung zu tolerieren, solange sie ihm politisch nützt. Trotz Spannungen zwischen ihm und Ben-Gvir zögert er, den Minister zu entlassen, da er sonst seine politische Mehrheit verlieren könnte. Diese taktischen Überlegungen könnten langfristig verheerende Auswirkungen auf die israelische Demokratie haben, wenn die Sicherheitskräfte des Landes weiter politisiert und als Werkzeug zur Durchsetzung einer extremistischen Agenda missbraucht werden.

Israel steht vor einer entscheidenden Phase, in der es darum geht, die Unabhängigkeit seiner Institutionen zu verteidigen und den Versuch, die Polizei in ein politisches Instrument zu verwandeln, entschieden zurückzuweisen. Andernfalls könnte das Land einen Weg einschlagen, der die Grundfesten seiner Demokratie unwiderruflich erschüttert.

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Quellen:

https://www.timesofisrael.com/former-police-commissioners-demand-netanyahu-remove-ben-gvir-from-office/ 

https://en.idi.org.il/articles/54565 

https://www.jpost.com/israel-news/article-749144 

https://www.jpost.com/breaking-news/article-795982 

https://www.haaretz.com/opinion/editorial/2024-08-08/ty-article-opinion/israels-nominee-for-police-chief-is-ben-gvirs-agent-of-kahanization/00000191-3392-d940-a991-f7d6c0f50000