Sonntag, 04.08.2024 / 12:33 Uhr

Jahrestag des Völkermordes an den Jesiden: Schönen Worten endlich Taten folgen lassen!

Bildquelle. Wikimedia Commons

Ein Grußwort anlässlich der Gedenkfeier an den Völkermord an den Jesiden im Irak vor zehn Jahren.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir erinnern heute an schlimmste Verbrechen, begangen an den Jesiden. Dieser Superlativ ist wörtlich zu nehmen, gibt es doch nichts Böseres als die systematische Ermordung, Vergewaltigung, Verschleppung und Versklavung einer ganzen Volksgruppe. Es ist der totale Abgrund – das absolut Schlimmste, was auf diesem Planeten geschehen kann. Das festzustellen relativiert nicht die singulären Verbrechen der Deutschen an den Juden und den Sinti und Roma vor 80 Jahren, für die das in gleicher Weise gilt. 

So etwas tun Menschen Menschen an. Ich halte es grundsätzlich für wichtig, auch die Täter zu benennen. Die Verbrechen vor 10 Jahren in Shingal wurden von Islamisten begangen – verrohten, verhetzten Muslimen, oft Nachbarn. Im Namen des Islam. Das muss man auch aussprechen können, ohne damit in irgendeiner Weise Muslimen zu nahe zu treten. Denn ich finde, diese Tatsache geht oft ein wenig unter, wenn von Daesh oder IS die Rede ist, als seien die irgendwie vom Himmel gefallen oder aus irgendeinem Höllenloch gekrochen. Nein, die Täter stammten aus der muslimischen Mehrheitsgesellschaft, und die vertiefte innermuslimische Auseinandersetzung darüber wäre eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Jesiden irgendwann einmal wieder ohne Furcht in ihre angestammten Gebiete zurückkehren könnten. 

(Bild: Gedenkveranstaltung in Berlin, Quelle: privat)

Wir haben kürzlich gemeinsam mit Pro Asyl ein sehr sehr fakten- und kenntnisreiches Papier zur Situation der Jesiden herausgegeben, damit Entscheidungsträger in der Politik die Hintergründe kennen und verstehen, warum Abschiebungen gegenwärtig und für die absehbare Zukunft weder mit unserem Selbstverständnis noch überhaupt mit den Menschenrechten vereinbar sein können. Aber leider liegt es oft  nicht nur an fehlendem Wissen, sondern andere Erwägungen stehen im Vordergrund, wenn gegen die Aufnahme von Jesidinnen und Jesiden entschieden wird. Also:

Warum will man ausgerechnet Jesiden, die in ihrer Heimat extrem bedroht sind und dort keine Lebensgrundlage mehr haben, weiter abschieben? Menschen, die Deutschland als ihre zweite – und de facto erste – Heimat gerade zu umarmen, sich integrieren, alles dafür tun, dazuzugehören? Menschen, die schreckliche Dinge erlebt haben? Warum retraumatisiert man diese Menschen wieder und wieder? Aus einem Grund: Weil man es kann. Der Irak ist schließlich eines der wenigen Länder, das sich, gegen stattliche Zahlungen, versteht sich, auf Rückführungen einlässt. Der Irak nimmt die Menschen zwar in Empfang, aber er kann nicht für ihre Sicherheit sorgen, denn der irakische Staat hat im Siedlungsgebiet der Jesiden ja nicht das Gewaltmonopol. Und dass sich Jesiden „in anderen, sicheren Landesteilen niederlassen“, mag in deutschen Beamtenstuben als Möglichkeit gehandelt werden, denn man selbst ist ja auch schon mal von Paderborn nach Hamburg gezogen. Aber so funktioniert das eben nicht im Nahen Osten. Das ist einfach nicht machbar, schon gar nicht für gefährdete Minderheiten, denen von Teilen der Mehrheitsgesellschaft Teufelsanbetung nachgesagt wird! 

Schon dies also ein Grund, warum diese Abschiebungen niemals stattfinden dürften. Doch man besteht darauf, weil man glaubt, das kommt beim Wähler an, weil immer mehr und mehr Abschottung gegen Menschen, die unsere Hilfe brauchen, ja gerade so im Trend liegt.  

Und dann die ganzen warmen Worte, denen niemals Taten folgten:

Der Bundestag hat am 19. Januar 2023 die IS-Verbrechen gegen die Jesiden einstimmig als Völkermord anerkannt. Da hieß es, dass Jesiden „unter Berücksichtigung ihrer nach wie vor andauernden Verfolgung und Diskriminierung im Rahmen des Asylverfahrens Schutz zu gewähren“ sei. Wie passt es da zusammen, dass inzwischen mehr als jeder zweite jesidische Asylantrag abgelehnt wird? Wie kann es da sein, dass Zehntausende Jesidinnen und Jesiden nur eine Duldung bekommen haben und jederzeit mit Abschiebung rechnen müssen – also hier, nach all dem Schrecklichen, was ihnen widerfahren ist, ein Leben in andauernder Ungewissheit führen müssen? Das KANN nicht sein! Diese Menschen brauchen Rechtssicherheit und ein Ende dieser brutalen Abschiebepraxis des Innenministeriums, für die es überhaupt keine Rechtfertigung gibt. Deshalb helfen wir als Wadi nicht nur im Nordirak, sondern unterstützen auch hier die jesidische Community in ihrem Kampf gegen diesen nicht enden wollenden Irrsinn.

Beitrag zuerst erschienen bei Wadi e. V.