Ein Spielfilm erzählt die letzten Jahre der deutschen Schauspielerin und Sängerin Nico

Das Geräusch der Niederlage

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Der Film »Nico, 1988« geht zwar respektvoll mit der Musikerin um, unterlässt es allerdings nicht, Nico in tendenziöser Art und Weise auf ihren Sohn Ari festzunageln. Dieser ist ihr Kind mit dem französischen Schauspieler Alain Delon, der bis heute die Vaterschaft abstreitet. Ari ­Päffgen wuchs bei Delons Eltern auf, Nico konnte sich wegen ihrer Drogenabhängigkeit und ihres Musikerdaseins nicht um ihn kümmern. Ein ohne Zweifel tragischer Umstand, der Christa Päffgen aber nun, 30 Jah­re nach ihrem Tod, vorgehalten wird. In Rückblicken sieht man, im Stil von Super-8-Aufnahmen, ein kleines Kind im Kreise einer Partygesellschaft, ein Erwachsener trägt eine weiße Perücke, es soll Andy Warhol sein, wir befinden uns also in der New Yorker Factory. Der kleine Lockenkopf Ari streift durch die feiernde Meute, greift nach einem Glas Sekt und trinkt daraus. Skandal! Die Nico im Film wird gezeigt als eine, die von Gewissensbissen geplagt wird, weil sie nicht bei ihrem Kind ist. Diese Darstellung dient allerdings dazu, die Rabenmutter vorzuführen. Ari versucht, sich das Leben zu nehmen, die Mutter ist am Boden zerstört. Dass die Abwesenheit des Vaters vielleicht etwas mit dieser Situation zu tun hat, das wird nicht zum Thema.

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We’re a happy family. Nico (Trine Dyrholm) besucht ihren Sohn Ari (Sandor Funtek) in der Psychiatrie 

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Verleih: Film Kino Text

In Internetforen wurde von glühenden Fans bereits widersprochen: Die stärkste Szene des Films ist eine, in der zwar die Rahmenbedingungen den Tatsachen entsprechen, die Darstellung von Nico aber ziemlich weit von der Realität entfernt scheint. Die Tour der Band führt sie auch in den Ostblock, besser gesagt nach Prag, wo sie ein illegal organisiertes Konzert spielten. Nico, völlig unzufrieden mit ihrem Leben, sitzt hinter der Bühne und wird von ihrem heimlich in sie verliebten Tourmana­ger motiviert. Er macht ihr klar, dass die Konzertbesucher tatsächlich etwas riskieren, nur um sie zu sehen.

In einem dadurch entfachten Rausch singt sie das Lied »My Heart Is ­Empty« in ekstatischer Manier, schreit ins Mikrophon, tanzt zuckend dazu, feuert das Publikum an.

Nico hätte solch einen Auftritt wohl nicht hingelegt, für gewöhnlich saß sie hinter ihrem Harmonium und hielt sich mit Gesten eher zurück. Die Imagination einer anderen Nico verzeiht der eingefleischte Anhänger dem Film nicht, obwohl doch die Produktion solcher Illusionen gerade das Handwerk des Films im Allgemeinen ausmacht. Nein, authentisch soll es zugehen: »So hätte Nico sich nie verhalten«, oder: »Die Schauspielerin hat sich doch nie einen Clip von Nico angesehen«, faucht es da aus den Kommentarspalten. »Ich weiß, dass das Publikum Klischees mag«, gibt Nico im Film selbst zu. Ihr Wunsch, diesem Klischee nicht entsprechen zu müssen, wird ihr von ihrem eigenen Publikum aber nicht erfüllt.

Das Image der schönen Femme fatale, wie eben auch einer ihrer Songs auf der Velvet-Underground-Platte hieß, verwandelte sie in ein Image der Düsteren und Todessüchtigen, der Morbiden. Pop geht eben nicht ohne Imago.

Auf anderes Authentisches wird hingegen verzichtet. Nico, unter ihren schwarzen Haaren immer noch eine blonde Deutsche, eröffnete Konzerte gerne mit dem Ausruf »Are there any Jews here?« Sie coverte die deutsche Nationalhymne inklusive der ersten Strophe, stach in einem rassistischen Anfall mit einem Stück Glas auf eine schwarze Frau ein, beendete ihre Beziehung mit Lou Reed mit den Worten, sie habe keine Lust mehr, mit Juden zu schlafen. Koketterie? Vielleicht. Völlig daneben? In jedem Fall. Stattdessen legt der Film eine merkwürdige Fährte: Die Eröffnungsszene ist ein Rückblick in das Jahr 1945, die sechsjährige Christa steht mit ihrer Mutter in Brandenburg und schaut aus der Ferne zu, wie Bomben auf Berlin fallen. Nico sieht man später dann des Öfteren mit einem Aufnahmegerät umherstreifen, die Geräusche der Umgebung aufnehmend. Als sie gegen Ende des Films darauf angesprochen wird, eröffnet sie, sie suche nach dem Geräusch, das sie hörte, als der Bombenhagel auf Nazideutschland prasselte, »the sound of defeat«, wie sie es nennt. Eine merkwürdige Parallele zwischen dem tragischen Leben der Nico, die einen Sound sucht, der etwas über ihre Verfassung aussagt, und dem Untergang des Naziregimes wird hier evoziert.

Das Image der schönen Femme fatale, wie eben auch einer ihrer Songs auf der Velvet-Underground-Platte hieß, verwandelte sie in ein Image der Düsteren und Todessüchtigen, der Morbiden. Pop geht eben nicht ohne Imago. Wenn nicht die Schöne, dann eben die absichtlich Hässliche; aus diesem Spiel der Extreme kommt man nicht heraus. »Ich war nicht glücklich, als ich schön war«, sagt Nico zu ihrem Tourmanager im Film. Glücklicher war sie auch nicht, als sie weniger schön war. Das Leben von Nico und damit auch der Film »Nico, 1988« ist ein Lehrstück über diese Mechanismen im Pop und über den Druck, auf Teufel komm raus zu gefallen, dem gerade Frauen in der Musik ausgesetzt sind. Und ein Lehrstück, dass man dem Klischee, sei es als Musikerin oder als Film, nicht entkommen kann.

 

Nico, 1988 (Italien/Belgien 2018). Buch und Regie: Susanna Nicchiarelli. Filmstart: 18. Juli