Freitag, 02.11.2018 / 09:54 Uhr

Der Fall Aschwaq T. Teil II.: Asylbetrügerin oder Symbol von Merkels Versagen?

Der Aufschrei über den Skandals ist zwar nicht mehr so groß, wenn die Sau einmal durchs Dorf getrieben wurde, aber ausbleiben tut er nicht. Einen lieb gewonnenen Skandal will man einfach nicht mehr so gerne loslassen. Und so wird folgende Legende weitererzählt:

Da war doch vor ein paar Monaten die Sache mit diesem jesidischen Mädchen, dass aus Deutschland in den Irak fliehen musste. Was ist davon nochmal hängen geblieben? Die war vom IS Entführt und versklavt worden und hatte dann ihren Peiniger in Schwäbisch Gmünd wieder gesehen. Und die deutsche Polizei? Na die ist so islamisiert, dass sie nicht helfen wollte oder konnte. Der IS-Häscher sei ja auch Flüchtling. So runtergekommen ist Deutschland unter Merkel. Der halbgebildete Durchschnittsspießer heuchelt dann seine Empathie mit der Verfolgten in den Sozialen Medien so:

„Ashwaq T., geflohen vor einer keine Verfolger und Verfolgte, sondern nur noch "Flüchtlinge" kennenden Willkommenskultur.“

Und jetzt stellt sich das raus: „Von der Familie als Hebel benutzt“ (Focus). Der Vater soll deutschen Behörden gedroht haben, wenn sie nicht seiner Familie 20 Visa ausstellen, beginnt er eine Medienkampagne gegen Deutschland. FAZ und Spiegel berichteten schon vor  ein paar Tagen, dass das Mädchen seit Ende September zurück in Schwaben ist. Der SWR hat genauer recherchiert, wer welche Motive in der Angelegenheit gehabt haben kann. Der Focus meint jetzt, es gäbe Zweifel an der Geschichte von Aschwaq T.

Sie hecheln von Skandal zu Skandal. Heute ein traumatisiertes Mädchen aus einem Kriegsgebiet und morgen eine Vergewaltigte aus Freiburg.

Also doch nur Betrüger, die unsere Gutmütigkeit ausnutzen wollen…? Das wäre dann kein Grund für die Halbgebildeten die Anführungszeichen beim Begriff Flüchtlinge wegzulassen. Oder doch? Denn was ist eigentlich passiert? 

Viele Akteure

Der Sachverhalt hat viele Akteure, um ein paar zu nennen:

Ein Mädchen, dass versklavt worden ist und offensichtlich traumatisiert;

 - Die Polizei, die durchaus auf den IS angespitzt ist und in der Regel lieber zu früh als zu spät einen Islamisten zu verhaften;

 - Ein einmaliges Projekt in Baden Württemberg, dass mit immenser Arbeit jesidische Mädchen zur Behandlung nach Deutschland geholt hat und dabei besondere Bedingungen mit dem Staat ausgehandelt hat, um deren Aufenthalt zu bewilligen und sich selbst zu finanzieren;

 - Nordirakische Presse, die versuchen muss den Gesichtsverlust, der sie bezahlenden Regierung, aufzufangen, als sie die Jesiden in Shingal im Stich gelassen hat;

 - Ein Teil der Familie des Mädchens, der weiterhin in Nordirakischen Flüchtlingslagern vor sich hin lebt, weil der Status von Shingal weiterhin zwischen den Siegern über den IS umstritten ist;

 - Teile der deutschen Öffentlichkeit, die sich eingeredet hat, die Flüchtlingskrise habe etwas mit Grenzen und deren Effektivität und nicht mit sozioökonomischen Bedingungen in der Welt süd-östlich von Europa zu tun.

Selbsternannte Helfer

Viele verschiedene Interessen, Wahrnehmungen und Drucksituation von vielen Leuten in unterschiedlichen Situationen, die alle nun mit dem Schicksal von Aschwaq T. verbunden sind. Dass man Wahrheit nicht nur aus der Nähe, sondern auch aus der Ferne nur schwer erfassen kann, scheint irgendwie ein seltsamer Gedanke zu sein, wenn man Verständnis mit Vorverständnis verwechselt. Insbesondere dann, wenn es nur noch Überschriften sind, die man liest und die dann ausreichen, um die eigenen Neurosen auszulösen, die man dann als Analyse bezeichnet und die ein Weltbild formen.

Aschwaq T., um die es den selbsternannten Helfern in erste Linie gehen sollte, mag ihren Entführer in Schwäbisch Gmünd wirklich gesehen haben oder nicht. Sie mag Angst bekommen haben, weil die deutsche Polizei ihr nicht vermitteln konnte, dass sie sie ernst nehmen, oder sie wirklich nicht ernst genommen hat – wobei Letzteres bei dem geschilderten IS Hintergrund extrem unwahrscheinlich ist. Aschwaq T. mag sich die Begegnung wegen ihrer Traumatisierung eingebildet haben oder gelogen haben, um ihren Vater ein Visum zu besorgen. Vielleicht hat auch ihr Vater erkannt, dass das Dilemma seiner Tochter eine Möglichkeit ist, der ganzen Familie ein neues Leben zu ermöglichen. Alles möglich und alles menschlich.

Eins ist aber sicher. Die Klagemeute, die sich in Pose geworfen hat, um angeblich das Schicksal eines Mädchens zu betrauern, mit dem sie sich nicht im geringsten auseinandergesetzt haben, ist im besten Fall verachtenswert. Sie hecheln von Skandal zu Skandal. Heute ein traumatisiertes Mädchen aus einem Kriegsgebiet und morgen eine Vergewaltigte aus Freiburg. Sie fordern auf mit ihnen zu trauern und dann im Gestus der Empörung anzuklagen.

Warnungen wurden nicht beachtet

Als Verantwortliche des Projektes für Jesidinnen zur Vorsicht aufriefen, im Falle von Aschwaq T. zu verfrühten Urteilen zu kommen, wurde ihnen vorgeworfen, sie seien auch nur Teil einer naiven Willkommenskultur. Dass es diesen derart trauernden Helfern nicht um die Sache der Jesidinnen geht, zeigt sich auch an ihrem Desinteresse an dem Projekt, in dem Aschwaq T. betreut wurde. Über dieses Projekt gibt es eine informative Dokumentation, die Menschen zeigt, die sich ernsthaft mit den von islamistischen Verbrechen Gepeinigten auseinandersetzen. Menschen die sehen, was eine Versklavung in der Gemeinschaft der Jesiden und den einzelnen Betroffenen angerichtet hat. Für die wird es nicht hilfreich sein, wenn sich die Geldgeber in irgendwelchen Ministerien denken: Was hatten wir von dem Projekt? Einerseits wurde deshalb darüber berichtet, dass Deutschland vor Islamisten einknickt, und andererseits, dass das Projekt Asylmissbrauch Vorschub leistet. Soll man so etwas fördern?

Den skandalverliebten Trauerklössen wird diese Frage dann egal sein. Denn wahrscheinlich kümmern sie sich dann schon mit der ihnen eigenen Empathie um ein deutsches Mädchen, dass von einem syrischen Jesiden vergewaltigt wurde, um sie dazu zu benutzen Frau Merkel vorzuwerfen, dass sie im Auftrag von George Soros versucht Europa zu islamisieren.