Zapfen statt zanken

Gefährliche Orte XXI: Die legendäre Autonomen-Kneipe "Ex" wird nur vier Wochen nach ihrer Schließung von der Szene selbst übernommen

18 Jahre war das "Ex" in Kreuzberg das, was man landläufig eine Szenekneipe nennt. Ein sich mit der Zeit immer wieder erneuerndes Kollektiv schmiß den Laden, und die Szene kam, um ihr Bier zu trinken, bzw. einen Getreidemilchkaffee. Am 31. Januar dieses Jahres schloß das Ex die Türen - wie es zunächst schien, für immer. Doch jetzt hat die Kneipe im Mehringhof wieder geöffnet. Die Szene selbst hat das Ex übernommen. Über 15 Gruppen aus dem undogmatisch-linksradikalen, autonomen, schwäbischen und schwul-lesbischen Spektrum betreiben es jetzt in Eigenregie. Vom Guatemala-Komitee über das Anti-Atom-Plenum, über eine Männer- und mehrere FrauenLesben-Gruppen, das Anti-Olympia-Komitee, den AnarchistInnen aus dem Moabiter A-Laden, den Antiimp-Kommunisten von Venceremos, eine SchülerInnen- und zwei StudentInnengruppen bis zu verschiedenen Hausprojekten - ein seltenes Bündnis für Berliner Verhältnisse. Eine Demo könnte man in dieser Konstellation sicher nicht vorbereiten, ohne daß man sich nach kurzer Zeit an der einen oder anderen Frage zerstreiten würde. Nun versucht sich dieser Haufen sozusagen als ideeller Gesamtkneipier. Den Revolutionsrat wird's freuen. Denn wer einmal gemeinsam hinterm Tresen gestanden hat, kann später auch an derselben Barrikade eingeteilt werden.

Eine wichtige Rolle in dem Konglomerat spielt der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), aus dessen Kreis auch die Geschäftsführung bestellt wird. Der RGW ist ein Zusammenschluß von linken Berliner Kollektiven. Hier konzentriert sich das, was ansonsten in der Szene eher rar ist: betriebswirtschaftlicher Fachverstand. Einige Experten aus dem RGW fuhren kürzlich nach Utrecht, um sich dort Anregungen zu holen. In Utrecht gibt es seit rund 20 Jahren zwei Kneipen, aber auch andere Projekte, die auf dem sogenannten Soli-Prinzip basieren, das ab jetzt auch das Ex tragen soll. Grundlage dessen ist, daß sämtliche Gruppen unentgeltlich arbeiten. Lediglich einige feste Stellen für die Gesamtkoordination werden finanziert. Ansonsten ist das einzige betriebswirtschaftliche Ziel, keine roten Zahlen zu schreiben. Das bedeutet, daß zunächst im bisher eher teuren Ex die Preise gesenkt werden, speziell für alkoholfreie Getränke. Eine Selters ist künftig schon für eine Mark zu haben, für ein großes Pils von Faß sind vier Mark zu zahlen. Mit den Preissenkungen hoffen die neuen BetreiberInnen, das Ex wieder attraktiver zu machen, denn der Publikumsandrang war in den letzten Jahren stetig zurückgegangen, was auch ein Auslöser für den Rückzug des alten Kollektivs war.

Grund für den mangelnden Zuspruch waren jedoch nur bedingt die hohen Preise. Hauptsächlich wirkte sich die Umstrukturierung der Szene auf den ehemaligen Kulminationspunkt der Autonomen aus. Das Ex, 1980 unter dem Namen "Specki" im Projektehaus Mehringhof etabliert, stellte zur Hochzeit der Autonomen den wichtigsten Szenetreffpunkt dar, auch nach 1984, nachdem das Specki-Kollektiv gemeinsam nach Nicaragua ausgewandert war und ein neues Kollektiv das "Ex-Specki" (daraus wurde dann "Ex") übernahm. Wer damals nach Berlin kam und echte Autonome angucken oder kennenlernen wollte, brauchte nur ins Ex zu gehen. Hier gingen fast alle politischen Gruppen nach ihren Treffen noch ein Bierchen trinken, hier standen die wichtigsten Demo-Termine auf einer großen Tafel, hier gab es die neuesten Flugblätter. Doch die autonome Szene hat ihre besten Zeiten längst hinter sich gelassen und konzentrierte sich zudem immer mehr auf den Kreuzberger Bezirk SO 36. Kreuzberg 61, wo der Mehringhof zuhause ist, wurde mehr und mehr aufgegeben. Nach dem Mauerfall 1989 verlagerte sich zudem ein großer Teil der Szene in den Osten der Stadt, nach Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Und eine Strecke von 15 Kilometern legt man nicht mal eben so abends mit dem Rad zurück, nur um im legendären Ex ein Becks zu trinken, das dort doppelt soviel kostet wie das Berliner in der HausbesetzerInnenkneipe nebenan. Das Ex verwaiste zunehmend, Mieten und Löhne konnten nicht mehr bezahlt werden, eine Schuldenspirale begann sich zu drehen, die Einstellung des Betriebs blieb unausweichlich.

Das neue Soli-Konzept wird wegen der geringen Lohnkosten wohl keine roten Zahlen schreiben, dicke Gewinne werden dennoch nicht erwartet. Zunächst müssen die Kredite für Kauf und Renovierung zurückbezahlt werden. Bleibt dennoch Geld übrig, wollen die Gruppen damit politische Projekte und Flüchtlingsarbeit unterstützen. Hauptsächlich erhoffen sich die beteiligten Gruppen aber von dem neuen Konzept ein besseres Kennenlernen der verschiedenen Projekte und durch diese Kontakte eine neue Dynamik für die Berliner Szene.

Ob aus dem Tresen im Ex aber künftig so etwas wie ein Runder Tisch der Radikalen Linken wird, darf zumindest skeptisch beurteilt werden. Einen ersten Konflikt gab es bereits. Die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB), die eigentlich mit zwei Schichten pro Woche einsteigen wollte, gab noch vor dem ersten gezapften Bier ihren Ausstieg bekannt. Ihr paßte es nicht, daß sich der DelegiertInnenrat der Gruppen ein Vetorecht vorbehielt, um bei starken inhaltlichen Bedenken geplante Veranstaltungen einzelner Gruppen verhindern zu können. Die Frauengruppen verlangten etwa, daß es keine Veranstaltungen mit Vergewaltigern geben dürfe, andere wollten speziell stalinistischen Organisationen kein Forum geben. Die AAB forderte hingegen eine völlige Autonomie der Gruppen - vergebens.

Doch auch für die verbliebenen Gruppen wird die bewußt unhierarchisch gehaltene Struktur einigen Diskussionsstreß mit sich bringen. Bei politischen Entscheidungen, bei denen es zu keiner Einigung kommt, soll - so der Anspruch - möglichst immer bis zum Konsens diskutiert werden. Erst wenn es auf dem dritten Plenum hintereinander nicht dazu kommt, gibt es ein Vetorecht. Gut, daß die meisten der neuen Kneipiers so plenumserfahren sind. Bleibt zu hoffen, daß ihnen das Pilszapfen bald genauso professionell von der Hand geht.