Handys für alle

Mit einem bunten Sammelsurium von alten Forderungen wollen der Kanzlerkandidat und seine SPD die "Neue Mitte Deutschlands" gewinnen

"Das Strafrecht kann nicht die Ursachen von Kriminalität bekämpfen", doch "die Strafe muß der Tat auf dem Fuße folgen. Eine konsequente und schnelle Ahndung von Rechtsverstößen hat eine nachhaltige präventive Wirkung." - Der Entwurf für ein Regierungsprogramm, den das SPD-Präsidium am vergangenen Montag diskutierte und den der Wahlparteitag am kommenden Montag in Leipzig wohl ohne große Änderungen verabschieden wird, ist von derselben betörenden Konsequenz wie der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten. Es verspricht alles und nichts: Ein Trödelmarkt der sozialdemokratischen Programmatik, von dem sich jeder potentielle SPD-Wähler mit nach Hause nehmen kann, was ihm paßt.

Als erstes "Sofortprogramm" kündigen die Sozialdemokraten an, unmittelbar nach der Wahl 100 000 Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen. Mit Rezepten, die im wesentlichen aus Gerhard Schröders Programmentwurf "Innovationen für Deutschland" vom letzten September stammen, soll in der Bundesrepublik vor allem ein investitionsfreundliches Klima geschaffen werden. "Wir wollen, daß in Deutschland auch in Zukunft die besten Autos der Welt produziert werden. Wir wollen, daß hier auch künftig die wirksamsten Medikamente und die intelligentesten Maschinen hergestellt werden", geht der Gruß an die Verantwortlichen in den Schlüsselindustrien Fahrzeugbau, Chemie und Elektronik und an das Selbstbewußtsein der Stammtischrunden. Neue Arbeitsplätze sollen sich dann wie von selbst einstellen. "Starke Wirtschaft - Neue Arbeit" heißt die entsprechende Kapitelüberschrift.

Die Steuern sollen, der SPD-Konzeption für die Große Steuerreform gemäß, auf ganzer Breite sinken: Der Spitzensteuersatz von 53 auf 49 Prozent, der Eingangssteuersatz von 25,9 auf zunächst 21,9, später sogar auf 15 Prozent. "Wir werden auch den Steuersatz für gewerbliche Einkommen senken", heißt es weiter. Die Lohnnebenkosten sowieso. Auch die Vermögenssteuer für Privatleute wird wohl nicht wieder eingeführt werden, dafür soll "sofort nach der Bundestagswahl" das Kindergeld für das erste und zweite Kind von bislang 220 auf 250 Mark angehoben werden. Zur zentralen Forderung der Grünen findet sich der Satz: "Darüber hinaus werden wir die Abgabenbelastung durch eine ökologische Steuerreform verringern." Die Ökosteuer soll also nicht nur aufkommensneutral bleiben, sondern unter dem Strich sogar eine Steuerentlastung bringen. An keiner Stelle spricht der Wahlprogramm-Entwurf der SPD an, woher die Mehreinnahmen kommen sollen. Kaum zu glauben, daß die Rückfinanzierung über "eine strenge Haushaltsdisziplin" und die Streichung von Abschreibungsmöglichkeiten ausreichen könnte. Dennoch heißt es in dem Programmentwurf: "Unser Ziel ist die Rückführung der Staatsverschuldung."

Kein Zweifel: Das Regierungsprogramm der SPD ist in sich widersprüchlich. Es hat sich von dem Gedanken verabschiedet, umzuverteilen und verspricht anstatt dessen, einfach mehr zu verteilen, oben wie unten. Angereichert wird dieser zentrale Teil von einigen populistischen Versatzstücken wie der Forderung nach der Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene (die wohl - etwa in der Asylpolitik - vor allem rechte Tendenzen stärken würden) oder derjenigen, "auch der einfache Fußballfan muß Fußball unverschlüsselt sehen können". Das Programm ist dem Kandidaten Schröder wie auf den Leib geschnitten. Beider Stärke liegt gerade in der Widersprüchlichkeit, die sie scheinbar mühelos auflösen. Wer so viele Ansätze parallel und im Wechsel vertreten kann - so hofft eine Wählerschaft, die in ihrer Mehrzahl der Meinung ist, daß nur eine Große Koalition die Probleme in der BRD zu lösen imstande ist -, der wird sich auch flexibel genug zeigen, um es im Lande allen recht zu machen. Den "Kumpel der Bosse" und den Wiener Opernball trägt Schröder kaum einer noch nach, seit er per Preussag-Verstaatlichung selbst zum Boß geworden ist - und zum "Retter der Arbeitsplätze" dazu. So löst einer wie Schröder Probleme: So werden nicht nur in klassischer sozialdemokratischer Manier die Brüche zwischen den sozialen Gruppen geglättet, sondern darüber hinaus wird auch noch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit gestärkt, das Schröders Anhänger in der Moderne vermissen. Schröder - ein Stück Geborgenheit in der Nation.

Dazu paßt hervorragend das Äußere des Kanzlerkandidaten, der selbst im Designeranzug noch hemdsärmelig wirkt. Die wasserblauen Augen suggerieren jene Geradlinigkeit, die Schröder für gewöhnlich abgesprochen wird, kumpelhaft wirken die buschigen Augenbrauen. Schröders Kernbeißergrinsen verspricht Macherqualitäten, die Krähenfüße hinter den Augen verraten einen Menschen, der gerne lacht - wenn auch etwas verkrampft: Etwas zu steil sind die Falten auf den Wangen, zu tief eingeschnitten die Charakterfalte an der Nase. Aber ein Macher wie Schröder hat's eben nicht leicht: Einer, der sich, wie er stets betont, aus allerkleinsten Verhältnissen hochgearbeitet hat, zum "angesehenen Anwalt", zum Landesvater, und nun sogar zum Bundeskanzler. Wer möchte an solch einer Erfolgsstory nicht teilhaben?